Über den Urvater der Nerds
Charles Babbage über sein Philosophenleben
Von Stefanie Philipp
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseWir hören 'Dampfmaschine' und denken sofort an James Watt. Vielleicht denkt man noch an Alexander Graham Bell, wenn das Telfon schellt. Ganz bestimmt denkt der 'User'unweigerlich an Bill Gates, wenn das Betriebssystem nicht so will wie es soll ... Aber an wen denken Sie, wenn Sie Ihren PC ansehen? Konrad Zuse, richtig. Aber was Zuse in den Dreißiger Jahren geleistet hat, baut auf der Arbeit eines Mannes auf, bei dessen Namen die meisten vermutlich unweigerlich an "Rain Man" denken: Charles Babbage.
Der Erfinder der ersten programmierbaren Rechenmaschine, eben dieser Babbage, ist wohl kaum jemandem ein Begriff. Ein "aufmerksamer, exzentrischer und überaus geistvoller Zeitgenosse" soll er gewesen sein, dieser Urvater aller Nerds. Was liegt also näher, als in seiner Lebensbeschreibung "Passagen aus einem Philosophenleben" nachforschen, ob er auch tatsächlich der erste 'Computer-Freak' war.
Eine "zeitgenössische Xylographie" mit dem Porträt des Autors auf der ersten Seite (das Fremdwörterbuch aus dem Hause DUDEN schlägt hier 'Holzschnitt' vor, was dem Kadmos Verlag auch ans Herz zu legen sei bei einer Neuauflage) zeugt durchaus von Ähnlichkeiten zwischen dem typischen Nerd und Babbage. Nicht etwa eine schmächtige, latent kränkliche Figur und mit sieben Dioptrien, sondern vielmehr Unscheinbarkeit an sich ist das verbindende Merkmal der Programmierer heute und damals. Doch während sich bei dem einen keine sehr große Bereitschaft unter Nicht-Freaks finden lassen wird, sich in die Welt der Nullen und Einser entführen zu lassen, nimmt Babbage uns mit auf eine Reise in die Ursprünge des Digitalen Zeitalters.
"Was ist schon ein Name? Nichts als ein leerer Korb, bis man etwas in ihn hineinlegt." Babbages einleitende Worte zur Geschichte seines eigenen Lebens eröffnen ihm die Möglichkeit, mit erzählerischer Nonchalance, dieses Vakuum zu füllen. Der in der Tat exzentrische und geistvolle Wissenschaftler scheint sich auch als Autor virtuos der Umgestaltung der Dinge zu verschreiben. "Passagen aus einem Philosophenleben" ist sehr viel mehr als ein weitläufig ausformulierter Lebenslauf. Babbage gliedert sein Werden und Sein nur vereinzelt zeitlich - größeren Wert legt er auf thematische Zusammenhänge. Damit schafft er eine komplexe Struktur, die aus der Autobiographie ein literarisches Zeitbild und eine psychologische Skizze seiner Selbst entstehen lässt.
Anders, als man es von einem Wissenschaftler erwarten könnte, liest sich das 'Philosophenleben' so unterhaltsam wie man es sich nur vorstellen kann. Mit einer Mischung aus Anekdoten, Analysen des Zeitgeschehens, Schilderungen seiner Ideen und vielen weiteren Elementen füllt Babbage das Bild hinter seinem Namen aus. Dieser Name kann, wie Bernhard J. Dotzler im Vorwort beeindruckt ausführt, in einem Atemzug mit Newton genannt werden, "dessen Lehrstuhl in Cambridge Babbage für einige Jahre innehatte". Auch in seiner Autobiographie schleicht sich beim Lesen das Bewusstsein ein, dass Babbage nicht auf den "zeitgenössischen Typus des Naturforschers eingegrenzt werden kann". "Er ist Mathematiker und Astronom, er schreibt eine Politische Ökonomie, er ist der Theoretiker des Lebensversicherungswesens, er beschäftigt sich mit der Taucherglocke und der Möglichkeit submariner Navigation, er ist Begründer der Statistischen Gesellschaft und ein Theoretiker der Gletscherbildung, er steigt in den Vesuv hinab, er beschäftigt sich mit Spieltheorie" - kurzum, er hat viel zu erzählen, aus der Welt der Wissenschaft - aber auch von ganz alltäglichen Begegnungen.
Und so erfährt der Leser neben biographischen Details aus Babbages Leben beispielsweise über seine Gedanken zu Humboldt, sein Erfahrungen mit den Elementen Wasser und Feuer, seine Begegnung mit der Welt des Theaters. Abstraktere Themen wie Wunder und Religion reihen sich an ganz konkrete Gedankengänge zum Thema Straßenplagen (hierunter versteht der Autor die Spezies der 'Straßenmusiker') oder etwa einer Abhandlung über das Öffnen von Schlössern im handwerklichen Sinne bzw. das Dechiffrieren im mathematischen Sinne. Geschichten aus dem Leben eines geborenen Wissenschaftlers, die jedem ein Schmunzeln ins Gesicht treiben. Eine Anekdoten aus der Schulzeit über eine Tracht Prügel für ungefragtes Entschlüsseln geheimer Botschaften der "größeren Jungen" schließt Babbages mit folgendem durchaus einleuchtenden Fazit: "Die Folgen dieses Scharfsinns waren gelegentlich schmerzhaft, denn manchmal verprügelten mich die Verfasser der entschlüsselten Geheimbotschaften, obwohl doch der Fehler in ihrer eigenen Dummheit lag."
Babbage ist nicht nur ein Mann der 'Wisskunst' im Leibnizschen Sinne sondern gerade auch Naturforscher im ursprünglichen Sinne. Und so kann es vorkommen, dass der mathematisch nicht versierte Leser sich in einigen Passagen dem Mann nahe fühlt, der Babbage darum bat, ihm "in zwei, drei Worten das Prinzip dieser Maschine" (der Rechenmaschine Nr. 1) zu erklären. Ein mit der Mathematik einigermaßen Vertrauter hätte "Die Methode der Differenz" zur Antwort erhalten, ein Mathematiker: Delta hoch sieben ux = 0. Wer sich nicht scheut, auch solcherart Antworten mit geisteswissenschaftlichem Gleichmut hinzunehmen, der hält mit den "Passagen aus einem Philosophenleben" ein amüsantes und ansprechendes Selbstbild eines facettenreichen Wissenschaftlers und Visionisten in Händen.