Von den unheroischen Niederländern und den Jungs in den Wäldern

Hegemoniale Männlichkeit in internationalen, historischen Formationen

Von Johannes SpringerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Johannes Springer

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Robert Connell, der einflussreiche australische Soziologe, begreift männliche Hegemonie in Anknüpfung an Antonio Gramscis Hegemoniekonzept als soziale Herrschaft, hergestellt durch ein Zusammenspiel sozialer Kräfte zur Kontrolle der Organisation privaten Lebens und kultureller, gesellschaftlicher Prozesse. Herrschaft via Waffengewalt oder direkte Sanktionsbedrohung wie etwa Entlassung aus Arbeitsverhältnissen kann im Gegensatz zu religiösen Doktrinen, massenmedialen Inhalten, Lohnstrukturen, Architekturmodellen und staatlichen Unterstützungs- oder Besteuerungsmethoden nicht als Hegemonie in diesem Sinne begriffen werden. Hegemoniale Männlichkeit wird also in erster Linie als kulturelle Dominanz erfasst, was Gewalt zwar nicht ausschließt, aber als primäres Konzept eine normative Anforderung an alle in der betreffenden historischen und kulturellen Konstellation befindlichen Männer darstellt. Sie stellt also eine Kulturformation dar, die eben nicht von allen Männern einer Gesellschaft immer verkörpert wird, also massiv Männern gegenüber Ausschlüsse produziert, aber eine hierarchische Positionierung eines bestimmten, mit einigenden Attributen versehenen Kollektivs vornimmt.

Über historische Untersuchungen, die dem theoretischen Konzept Connells folgen, werden in dem von Claudia Lenz herausgegebenen Sammelband "Männlichkeiten Gemeinschaften Nationen" hegemoniale Männlichkeiten in verschiedenen kulturellen und zeitlichen Gefügen dargestellt. Dabei wird eine Einschränkung insofern vorgenommen, als dass man sich den Entwürfen von Mann verschreibt, die an der Schnittstelle zu kollektiven bzw. nationalen Bewegungen Europas operieren. Da das konstruierte Wesen einer Nation fast immer mit dem Modell einer maskulinen Kollektividentität korrespondiert, ist dies als sinnvolles Unterfangen zu bewerten. Da die Dekonstruktion mächtiger Zeichnungen essentialistischer Kollektivverbünde sowieso ein sehr wichtiges Projekt darstellt, kann man die verknüpfende Blickrichtung dieser Studien nur hochschätzen. Und so widmet man sich den Konstruktionen der männlichen Wesenheiten eben nicht nur von einem geschlechtertheoretischen Standpunkt aus, sondern unterwirft diverse Maßgaben für kollektive Identitäten auch einem Blick aus der nationskritischen Warte. Entsprechend werden diverse fiktionale Erzählungen, die das Fundament bilden für Nationen und Geschlechter als soziale und kulturelle Vorstellungswelten, die erst die imagined community (Benedict Anderson) ausbilden, enttarnt. Die erste positive Wahrnehmung des Bandes erzeugt der Umgang mit der den men`s studies inhärenten Problematik, wie man umgehen soll mit dem Begriff der Unterdrückung. So neigen nämlich viele Ansätze und Praxen dieser Disziplin zu einer symmetrischen Handhabung dieses Topos für Männer und Frauen, die nach dieser Denkrichtung gleichermaßen von Rollenvorgaben unterdrückt, verletzt und ausgeschlossen werden, aber den strukturellen Vorteil jeden Mannes gegenüber Frauen, so exkludiert der Mann auch immer sein mag durch die Konfiguration von Männlichkeit, nicht mitzudenken. Dort wird mit einer Rollentheorie hantiert, die keine Unterschiede mehr erkennen kann zwischen Zwangsverhältnissen gegenüber Männern und Frauen, also das Patriarchat ausblendet. Diesem Reduktionismus wird hier in nahezu jedem Aufsatz entgegengearbeitet, indem die mit den hegemonialen Männlichkeiten implizierten Unterdrückungen nicht primär als Ausschlussmechanismen gegenüber Männern, sondern stets auch gegenüber Frauen begriffen werden.

Beispielhaft operiert hier Claudia Lenz' eigener Beitrag zur Mythologisierung der norwegischen Widerstandsbewegung, untersucht anhand kultureller Güter wie Film und Literatur im Nachkriegsnorwegen. Hier wird in sehr präziser und überzeugender Manier eine Legende zum militant-nationalen Bild des norwegischen Mannes unter deutscher, nationalsozialistischer Besetzung zerlegt und hinsichtlich seiner Funktionalisierung als Schöpfungsmythos Nachkriegsnorwegens befragt, der Frauen als Gestalter dieses Gemeinwesens nicht mitdenkt. Der empirisch in den vierziger Jahren nicht oder kaum anzutreffende aktive, militärische, guerillaartige Widerstand wird in den medialen Inszenierungen zum Archetypus norwegischen Freiheitsgeistes stilisiert. Dazu zählt vor allem die Geschichte von den Jungs in den Wäldern, vergleichbar mit den baltischen Forest Brethren, von heroischen Kämpfern, die unter widrigen Konditionen ein hartes, stählendes Trainingsprogramm absolvieren, das zum Mann und Vaterlandsverteidiger formt. Entgegen der Wirklichkeitsmomente des norwegischen Widerstands, der sich meist auf zivilen Ungehorsam beschränkte, wird hier die kriegerische, rohe und heldische Variante der Opposition gezeichnet. Was als Außen dieser fiktiven Auflehnung entworfen wird, ist dann für Lenz ein wesentlicher Aspekt. Frauen werden nämlich niemals als integraler Bestandteil der Bewegung konzipiert, sondern entweder als verräterische Flittchen, die sich mit den Deutschen opportunistisch auf Schmusekurs begeben oder als furchtsame, die Notwendigkeit der Aktion nicht begreifende Hausmütterchen. Da man - durch diese Nachkriegserzählung beeinflusst - die Geschicke der norwegischen Nation in die erprobten Hände der mutigen Helden legen wollte, fielen Frauen als Führungsfiguren in diesem Kontext eindeutig aus.

Eine weitere fulminante Analyse einer nationalen Standortbestimmung durch eine Männlichkeitskonstruktion wird von Stefan Dudink am Beispiel der Niederlande geliefert. Hier wird zwar ausnahmsweise nur am Rande auf die Implikationen dieser Konstruktion als Patriarchat für Frauen eingegangen, aber die Darstellung dieses außergewöhnlichen nationalen Männlichkeitsdiskurses ist allein schon überaus gewinnend. Im schroffen Gegensatz nämlich zu dem sehr verbreiteten Motiv des kriegerischen, tapferen, starken Helden als Modell für eine männliche Nation, die sich dadurch auch in Krisen- und Kriegszeiten mobilisieren lässt, gibt sich die hegemoniale Männlichkeit hier zahmer. Eingedenk der zentralen Bedeutung militärischer Männlichkeit für viele Gründungsfiktionen von Nationen lässt sich am Bild der Niederlande eine Dekonstruktion der These erkennen, die besagt, dass eine nahtlose Verbundenheit zwischen Männlichkeit und Nationalismus existiert, wie das Gespann es selber als mächtige Fantasie eingeführt hat. Das Muster soldatischer Männlichkeit wird hier ersetzt zugunsten einer sanften, moralischen, vermittelnden Skizze maskulinen Verhaltens. Eine mit allen soft skills dieser Welt ausgestattete Nation wird hier vielen Kolonialfakten zum Trotz entworfen und drückt seinen Bürgern den Stempel einer Gemeinschaft auf, die kulturelle und philosophische Errungenschaften zu Leitbildern macht. Der Diskurs über die nationale Identität kommt hier im 19. und 20. Jahrhundert völlig ohne militärische Referenzen aus, er will sich stattdessen über eine moralische Überlegenheit profilieren. Als Kompensation für die einsetzende Bedeutungslosigkeit der kleinen Niederlande wird diese Charakterisierung als Heimat von Recht und Moral erklärt und plausibel gemacht. Als hegemoniale Männlichkeit fungieren hier folglich Besonnenheit, Kontemplation, Moralität, die wunderbar die Notwendigkeit der Rede von Männlichkeiten untermauert, da ein solcher Entwurf frappierend abweicht von gängigen bekannten Rollenvorgaben. So lässt sich auch die heutige Politik der Niederlande besser nachvollziehen mit dem Wissen um diese - mit den historischen Fakten zwar manchmal unvereinbare - Diskursgeschichte. Die Stichwörter 'Internationaler Gerichtshof' und 'fehlende Kriegsakzeptanz' seien nur kurz genannt.

Auch neben diesen überragenden und überraschenden Erkundungen nationaler Mythen finden sich interessante Beiträge wie eine Dokumentation der Rezeption des spanischen Rechtskonservativen Alonso Cortes durch Carl Schmitt oder die Nationskonzeption in der deutschen Auswandererbewegung nach Chile im 19. Jahrhundert. Gepaart mit demgegenüber etwas abfallenden, aber immer noch überzeugenden Forschungen (u. a. zur schwedischsprachigen Minderheit in Finnland) ergibt sich ein sehr stimmiges, stringentes Gesamtkonzept, das einen schlaueren, um einige obskure Erkenntnisse reicheren Leser entlässt.

Titelbild

Claudia Lenz (Hg.): Männlichkeiten - Gemeinschaften - Nationen. Historische Studien zur Geschlechterordnung des Nationalen.
VS Verlag für Sozialwissenschaften/GWV Fachverlage, Leverkusen 2002.
150 Seiten, 14,80 EUR.
ISBN-10: 3810035440

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