Beim Unscheinbaren beginnen

Marion Poschmanns "Verschlossene Kammern" ist ein vielversprechendes Lyrikdebüt

Von Ron WinklerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Ron Winkler

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Jemand, der in seinen Gedichten "Merkblätter für flachgelegte Häuser" streut, verfügt zweifellos über die poetische Kraft, die Welt mittels der Deutungsschärfe einer kalkuliert absurden Fantasie zu spiegeln.

Marion Poschmann, die in ihrem Lyrikdebüt "Verschlossene Klammern" jene Blätter entwirft, besitzt diese Fähigkeit. Ihre Gedichte sind bemerkenswerte Merkblätter für die Ambivalenzen des Daseins. Sie sind tiefe sinnliche Räume, in deren Nebengelassen Triumphe und Verstörungen "schräghalsig" mit- und gegeneinander rascheln.

Weil sie zueinander gehören. Und so geben die Gedichte den Amplituden eine Schwingungsachse. Dem "kostbarsten Himmelsblau" ebenso wie dem "kaltschnäuzigen" Licht einer Straßenlaterne, "Bannkreisen" gleichermaßen wie "lähmenden Interieurs".

Die Stimmung ist oft die eines leicht versponnenen Zustands nach einer Erfüllung, die der Moment nur noch in reduzierter Form zulässt. Eine "winterliche Anwendung mit Teelichtern" überträgt in das Gedicht "Imitate und Tarnungen, halber Aufenthalt/ wie auf fotokopiertem Schnee (die geheimen/ Verstecke: dein einzeln beschlagenes/ Brillenglas, ich bin anstandshalber/ bald wieder gegangen) und alle Berührungen/ fallengelassen: noch rasch/ an dich gelehnt".

Wo die "Gegenden unstet" sind, kann die Poesie keine Absehbarkeit propagieren. Sie kann aber, wie es bei Marion Poschmann der Fall ist, an den Verschärfungsreglern spielen und ihrer Umgebung die Wesenszüge enthören, ihr fremdes Eigenes oder eigenes Fremdes entnehmen. Und deutlich machen, dass mit den Dingen nicht immer leicht hinzunehmende Eigenschaften verknüpft sind.

Poschmann Gedichte forschen an den "Grenzen der Deutlichkeit" und von ihnen aus. Siena etwa wird "im/ spiegelnden Honig" betrachtet, und an anderer Stelle erinnert man sich (ein ausdauerndes, außenstehendes Wir) "an/ die Hüllen der Edelkastanien", um auch von ihnen aus die neu ausgerichteten Ränder und Zentren der Gegenwart bestimmen zu können.

Man muss beim "Unscheinbaren/ beginnen", heißt es wie programmatisch. Eine "Zartheit befolgen" vielleicht, um dann beharrlich die poetische Umschöpfung des Gegebenen zu beginnen und zu inspizieren, wie sich das Ich -"gegen die Enge der Dinge" - daran verhält, verhalten kann. Motiviert auch durch eine trotzig "barocke Lust überzuschwappen".

Marion Poschmanns "Verschlossene Kammern" zeigen "das aufreibende Herumtasten/ an den vertrauten Erscheinungen", das eine filigrane Filterarbeit leistet, welche in Synopsen mündet, die von der "seltsame[n] Haltbarkeit der Leere" berichten.

"Leere" ist eines der Worte. "Sperrgebiet" ist ein anderes. Man betritt es so vorsichtig, als sei es "der Anfang/ einer Vergangenheit". Ahnend, dass die Dinge manchmal ihr eigener antonymischer Sachverhalt sind. Mit einem evidenten Übernahmecharakter: "du wendest den Kopf und die Landschaft/ fällt dir entgegen wie eine Lawine,/ ein roher Berg Merkmale".

Marion Poschmann sucht diese Merkmale, und sucht die Lawinen. Um sich in sie einzutragen und sie in flackernde potische Zwiegespräche zu übersetzen. "Verschlossene Kammern" ist ein viel versprechendes lyrisches Debüt.

Titelbild

Marion Poschmann: Verschlossene Kammern. Gedichte.
zu Klampen Verlag, Lüneburg 2002.
47 Seiten, 17,00 EUR.
ISBN-10: 3933156769

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch