Kuba ist verloren

Arnold Stadler überdeterminiert den Untergang

Von Sebastian DomschRSS-Newsfeed neuer Artikel von Sebastian Domsch

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Ziemlich zum Schluss von Arnold Stadlers neuem Roman "Eines Tages, vielleicht auch nachts" heißt es, dass Österreich und Kuba durchaus vergleichbar seien: "Von beiden war viel die Rede auf der Welt, mehr als es ihrer Größe auf dem Globus entsprach. Beide hatten Figuren hervorgebracht, gute und böse, von denen man vielleicht noch in 3000 Jahren sprechen würde [...] Österreich und Kuba waren horizontale Erscheinungen; sie lagen eher wie eine Geliebte, während es Länder gab, die standen wie Ausrufezeichen. Außerdem gab es hier wie dort den besten Kaffee und die besten Kaffeehäuser." Ansonsten aber fehlen dem einen Land die Zeitungen, und dem anderen das Meer. Letzteres jedoch ist der große Traum von Franz Marinelli, der gleich zu Beginn des Buchs am Patrice-Lumumba-Strand tot aufgefunden wird und dessen Geschichte im weiteren erzählt wird.

Marinelli wächst in einem Ringstraßenpalais in Wien mitten im Ehekrieg auf. Der Vater ist erfolgreicher Pathologe und passionierter Schürzenjäger, wofür er sich eigens einen Wohnwagen angeschafft hat, die Mutter beschimpft ihn deswegen unablässig, schlägt ihn dann und wann mit dem Schuh und bezeichnet ihn in mantrahafter Stetigkeit als Lügner. Unter solchen Bedingungen kann das Meer sehr weit weg sein.

Es dauert gut dreißig Jahre, der Vater ist mittlerweile nach einem Herzanfall in der Peepshow selbst in der Pathologie gelandet und die Mutter in geistiger Verwirrung im Seniorenheim, bis Marinellis Sehnsucht endlich an ihr Ziel kommt. Der weitgehend erfolglose Fotograf wird mit dem Auftrag, den Aufenthalt einer österreichischen Schriftstellerdelegation vorzubereiten, nach Havanna geschickt.

Auf Kuba findet Marinelli dann eine Umgebung, die zwar wesentlich weniger farbenprächtig daherkommt als angenommen - eher so wie Husum - dafür mit ihrer spätsozialistisch-subtropischen Lethargie seinem eigenen Hang zur unentschlossenen Untätigkeit kongenial entspricht. Spätestens nachdem er Ramona kennen lernt und die beiden zwei Ferkel kaufen, um sie illegalerweise zum Hochzeitsbraten heranzuziehen, ist die Delegation vergessen. Es bedürfte kaum des Auftakts mit dem Toten am Strand, um zu wissen, dass solche Geschichten nicht gut ausgehen können.

Kuba ist verloren, das Paradies der Revolutions- und Sextouristen taugt nur noch als stockfleckige und an den Ecken schimmelnde Kulisse einer vor Jahrzehnten aufgegebenen Utopie. Das Bild Che Guevaras sieht auf Kuba nicht weniger unecht aus als in österreichischen Studenten-WGs. Kuba ist verloren, und alle Figuren aus Stadlers Roman sind es auch. Die auf drei Teilnehmer zusammengeschrumpfte Schriftstellerdelegation (was ohnehin schon nach einem alten DDR-Witz klingt) ist jämmerlich, Marinellis Eltern ebenso, und er selbst wohl bereits als Versager geboren. Alles im Roman des Büchnerpreisträgers Stadler ist eigentlich auf den Untergang hingeschrieben, der nur durch die wehmütige kubanische Hintergrundmusik einen philosophisch geläuterten Anstrich erhält. Das ist fast schon ein bisschen sehr determiniert, um noch als Melancholie gefangen zu nehmen. Marinelli hatte nie eine Chance bei Stadler, und auch wenn es bei einem Schriftsteller seines Könnens immer ein schmerzhaftes Vergnügen ist, seinen Figuren beim Sturz in den Ruin zuzusehen, bleibt wenig hängen nach der Lektüre. Stadler sah sich bemüßigt, seinem Roman aus dem grauen Kuba im letzten Satz "das Schweigen und die Farbe Blau" hinzuzufügen. Dem haben wir nichts hinzuzufügen.

Titelbild

Arnold Stadler: Eines Tages, vielleicht auch nachts. Roman.
Jung und Jung Verlag, Salzburg 2003.
160 Seiten, 18,00 EUR.
ISBN-10: 3902144602

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