Gender Studies für Studis

Der 12. Band der Freiburger Frauenstudien bringt Studierenden die Dimensionen von Gender nahe

Von Rolf LöchelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf Löchel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

"Durchblicken oder durchsetzen", so die griffige Formel, auf die Nina Degele den Unterschied zwischen Gender Studies und Gender Mainstreaming bringt. Allerdings versteht sie das Verhältnis von theoretischem Durchblick der Gender Studies und praktischem Durchsetzungsvermögen des Gender Mainstreaming durchaus nicht kontravalent. Vielmehr, so die Autorin, ergänzen sie einander und sind aufeinander angewiesen. Die Gender Studies, so führt die Autorin weiter aus, seien notwendig, um die Bedeutung der Kategorie Geschlecht und Geschlechterverhältnisse in ihren sozialen Zusammenhängen zu verstehen und "im nächsten Schritt" zu verändern. Da die "Entnaturalisierungs- bzw. Entselbstverständlichungsbemühungen" der Gender Studies als politische Strategie jedoch schnell an ihre Grenzen stießen, bedürfe es der "spezifische[n] Instrumente und Methoden" des Gender Mainstreaming, um ihre Erkenntnisse politisch um- und durchzusetzen. Mit dem "Programm der (wissenschaftlichen) Entnaturalisierung und der (politischen) Reorganisation der Geschlechterverhältnisse", so die These der Autorin, operierten Gender Studies und Gender Mainstreaming zwar "auf verschiedenen Ebenen" und "mit unterschiedlichen Strategien", doch liege ihr Potential gerade darin, dass sie "komplementär zusammenwirken bzw. sich wechselseitig verstärken" und so in eine "noch auszuschöpfende Radikalität" münden, wie es etwas vage heißt. Dass nicht nur die Gender Studies dem Gender Mainstreaming von Nutzen sein können, sondern auch umgekehrt, wird von der Autorin zwar eher behauptet als aufgezeigt, soll hier jedoch nicht bestritten werden.

Degeles insgesamt lesenswerter Aufsatz, der allerdings an einigen nur schwer verdaulichen Wortungetümen leidet, geht auf einen Vortrag zurück, den die Autorin im Wintersemester 2000/2001 im Rahmen der Veranstaltungsreihe "Freiburger FrauenForschung" an der Universität Freiburg gehalten hat, und ist nun zusammen mit den anderen Vorträgen als Nummer 12 der Zeitschrift für Interdisziplinäre Frauenforschung erschienen, dem ersten von zwei Bänden, die den "Dimensionen von Gender Studies" gewidmet sind. Dass sich das Buch primär an Studierende richtet, hat sich auch in seinem außergewöhnlich günstigen Preis niedergeschlagen.

Die ersten drei Beiträge gehen grundlegenden Fragen des aktuellen Gender-Diskurses nach, weitere fünf stellen Gender-Ansätze in einzelnen Disziplinen wie der Literaturwissenschaft (Franziska Schößler) oder der Philosophie und der Soziologie (Cornelia Klinger) vor. Ein umfangreicher Besprechungsteil beschließt den Band, den Dorothee Kimmichs konzise Erörterungen des Verhältnisses von Gender Studies und Kulturwissenschaft/en eröffnen. Obwohl die Autorin auf Definitionen verzichtet, sind ihre Begriffsbestimmungen fast schon lexikalisch zu nennen: Kulturwissenschaft im Singular, so führt sie aus, ist "eine Art Ergänzung" zu dem, "was an kultureller Praxis bereits durch die kanonischen Fächer der Literatur- und Kunstwissenschaften abgedeckt ist", also "eine Art Ethnologie der eigenen Welt". Der Begriff Kulturwissenschaften bezeichnet ungeachtet des Plurals ebenfalls nur eine - allerdings interdisziplinäre - Wissenschaft, deren Gegenstandsbereich jedoch anders als derjenige der Kulturwissenschaft einen "breiten Bereich" kulturellen Wissens umfasst und die "das Feld ihrer Betätigung", ihre Methoden und ihr Verhältnis zu den "herkömmlichen Disziplinen" stets aufs neue definiert. Können Kulturwissenschaft und Kulturwissenschaften also positiv bestimm werden, so definieren sich Cultural Studies eher darüber, "wogegen sie sich dezidiert wenden: die Geisteswissenschaften im traditionellen Sinne einer untergegangenen Bürgergesellschaft". Anders als die Kulturwissenschaften sind sie "nicht nur interdisziplinär", sondern "geradezu antidisziplinär". Stellt die Autorin die Kulturwissenschaft/en eher detachiert vor, kann sie sich bei den Cultural Studies der kritischen Bemerkung nicht enthalten, dass diese oft einer "sehr diffusen Vorstellung von 'Kultur als Text'" anhingen. Gender Studies - und hiermit sind wir beim vierten und letzten Terminus - helfen diesem Manko hinsichtlich der "Frauenfrage" ab, deren institutionelle und soziale Bedingungen Kimmich zufolge vom "reine ahistorische[n] Textualismus der Dekonstruktivistinnen" nicht in den Blick genommen wurden. Anknüpfend sowohl an Michel Foucault als auch an die Cultural Studies sowie an die Dekonstruktion fasst die "neue Sichtweise" der Gender Studies anhand der "Leitthemen" Gender, Race und Class, "die diskursive Macht historischer Dispositive" ins Auge. Als "besonders erfolgreiches Beispiel" hebt die Autorin Judith Butlers "Gender Trouble" hervor. Cultural Studies, so beschießt sie ihre Ausführungen, "sind ohne Geschlechterforschung nicht denkbar" und Gender Studies ihrerseits sind "per se immer schon Kulturwissenschaften" - was, so sollte man hinzufügen, ihnen nicht nur einen kritischen Impetus verleiht, sondern sie zudem von Geschlechterforschung unterscheidet, die nicht nur dazu dienen kann hierarchische Geschlechterverhältnisses zu perpetuieren, sondern auch als reine Biologie möglich ist.

Instruktiv ist auch die von Helga Kotthoff differenziert entwickelte "Relevanzstruktur" der sozialen Konstruktion von Gender. Die Autorin unterscheidet fünf "Ebenen", die "quer" zu den "Polen" des doing und undoing gender liegen: "Doing Gender in Stimme und Prosodie", "Differente Gesprächsstile", "Doing Gender als Element der Etikette und der Stilisierung des Körpers", "Medienrezipienz als omnipräsente Gender-Folie" und schließlich "[l]okale Geschlechtsneutralität". Bei letzterer ist allerdings zu fragen, wieso sie lokale Sexuierung, also Orte, die mehr oder weniger stark genderisiert sind, nicht in Betracht zieht. Diese fünf Ebenen siedelt die Autorin auf drei "Achsen" an, deren erste zwischen den Polen "im Hintergrund mitlaufend" und "in den Vordergrund der Interaktion gebracht" verläuft. Die zweite Achse verbindet Intentionalität und Nichtintentionalität und die dritte bezieht sich auf "die Art der Involvierung des Individuums". Dabei widerspricht Kotthoff der "Omnirelevanzannahme" von Gender, denn "[k]aum ein konversationelles Phänomen allein symbolisiert nur gender." Zugleich gibt sie allerdings auch zu bedenken, dass sich undoing gender oft nur auf einer von mehreren Verhaltensebenen abspielt, und beharrt aus guten Gründen darauf, dass Gender eher eine soziale als eine personale Kategorie ist. Weniger überzeugend fallen hingegen ihre kritischen Ausführungen zum "Diskursidealismus" aus, der in der Tradition Butlers suggeriere, dass die "Geschlechternaturen [...] unaufwendig umkodierbar" seien. Eine Kritik, die eine nur oberflächliche Auseinandersetzung mit den Arbeiten Butlers vermuten lässt. Die "ganze historische Stabilität" der Gender-Verhältnisse lässt sich Kotthoff zufolge besser verstehen, wenn man die "Ankoppelbarkeit des Kulturellen ans Natürliche" in Rechnung stellt. Allerdings beteuert die Autorin, damit nicht sei gemeint, dass die Natur der Kultur "vorgängig" sei. Vielmehr werde die Kultur an "biologische Phänomene" "rückgebunden". Wenig überzeugend führt Kotthoff hier offenbar einen argumentativen Eiertanz auf, um dem nahe liegenden Vorwurf des Biologismus auszuweichen. Dennoch gehört ihr insgesamt erhellender Beitrag zu den lesenswertesten des Bandes.

Auch Corinna Genschels den Queer und Trans Studies gewidmeter Aufsatz verdient es, hervorgehoben zu werden. Queer - und darauf legt Genschel zu Recht besonderen Wert - ist nicht als "Gegensatz zu heterosexuell" oder als "Synonym von lesbisch und schwul" zu verstehen, sondern als "politische[r] Dissens" gegen eine "Normgesellschaft", die durch Benennung nicht nur "homogenisiert" sondern auch "entnennt, marginalisiert, ableitet und ausgrenzt". Heteronormativität, der somit die Kritik der Queer Studies gilt, bezeichnet also das Privileg und die Macht, die "Welt als selbstverständlich heterosexuell darzustellen".

Während sich die Beiträge von Degele, Kimmich, Kotthoff und Genschel, trotz dem einen oder anderen Kritikpunkt nicht nur für Studierende als erhellend erweisen, hinterlässt Roswitha Badrys Text zu den "Gender-Studien in der Islamwissenschaft" einige Zweifel. Lässt er doch leicht den Eindruck entstehen, dass weniger das islami(stisch)e Frauenbild sexistisch ist, sondern dass vielmehr misogyne Reisende und Wissenschaftler des Westens über die Jahrhunderte hinweg ihre "sexuellen Fantasien" auf den Islam projiziert haben. So beklagt die Autorin denn auch, dass "[d]as Bild der Muslimin als einer verschleierten und unterdrückten Frau und als Opfer einer misogynen Religion" sich "bis heute in der Öffentlichkeit gehalten" habe. Tatsächlich aber könnten "islamische Vorstellungen von gender" nicht auf "simple misogyne oder patriarchalische Positionen" reduziert werden. Immerhin konzediert sie, dass im Islam ein "gewisser Konsens über das ererbte Geschlechtersystem" besteht, der "die Unterordnung der Frau gegenüber dem Mann" vorschreibt. Allerdings klingt ihre Kritik hieran nur sehr leise und moderat an.

Ausführlich widmet sie sich "politisch einflussreiche[n] Frauen" in islamischen Gesellschaften und der "Geschichte der Frauenbewegung in der islamischen Welt", die sie in fünf Phasen einteilt: Nach dem "Erwachen" der Frauenbewegung zeichnete sich die zweite Phase durch die "Annahme des Nationalismus als Befreiungsdiskurs" aus, die dritte war durch "Staatsfeminismus" geprägt, während der vierten bildeten der Feminismus säkulare, liberale, wertkonservative, sozialistische und auch "islamisch-fundamentalistische Gruppen" aus. In der letzten Phase stehen die Feministinnen, nicht etwa gegen dem immer stärker um sich greifenden religiös begründeten Sexismus auf, sondern gegen die "Bevormundung durch den Staat und Verwestlichung", wie die Autorin nicht ohne Genugtung feststellt. Was nun den Islam betrifft, so setzt Badry offenbar vor allem auf dessen innere Wandlungsfähigkeit, habe es in den letzten Jahren doch "einige Früchte" getragen, dass die "islamische Tradition" seit Beginn der 90er Jahre nicht mehr "konservativen, ja antifeministischen Zirkeln" überlassen werde.

Titelbild

Dimensionen von Gender Studies Band I.
Jos Fritz Buchhandlung und Verlag, Freiburg 2003.
322 Seiten, 10,00 EUR.
ISBN-10: 392801319X

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch