Das zweite Gesicht Goethes

Roberto Zapperis auf den Spuren des Dichterfürsten

Von Annika RauschRSS-Newsfeed neuer Artikel von Annika Rausch

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Roberto Zapperi wandelt auf den Spuren des Dichterfürsten: Er untersucht die zwei italienischen Jahre des Kaufmannes Johann Philipp Möller - Goethes Inkognito. Nicht auf die "Italienische Reise" - 40 Jahre nach seinem Goethes Aufenthalt in Italien verfaßt - sondern auf die "Römischen Elegien" stützt sich der als Privatgelehrter in Rom lebende Autor Zapperi. Nur mit dieser Grundlage forschte er in italienischen und deutschen Archiven. Andere, schon bekannte Quellen interpretiert er in diesem Kontext teilweise neu. In acht Kapiteln erfährt der Leser alles über die Flucht Goethes aus Weimar, die eine geradezu akribische Vorbereitung nötig machte. Da Goethe sich vom Hof geradezu "wegstahl", lebte er in Italien inkognito, um die Spuren seiner Reise für die, die ihn eventuell wieder zurückholen könnten, zu verwischen. Auch in Italien angekommen hat das Leben unter falschem Namen für ihn mehr Vorteile. Er entzieht sich so nicht nur der höfischen Etikette und den Konsequenzen, die eine Entdeckung nach sich ziehen könnte, daß er der Autor des verbotenen "Werthers" ist. Im vierten Kapitel lernen wir den Freigeist Goethe kennen: Wie er mit seinem Freund, dem Maler Johann Heinrich Wilhelm Tischbein, und einigen anderen Künstlergesellen in einer Wohngemeinschaft wohnt, durch die Straßen Roms rennt und den Passanten die Hüte vom Kopf schlägt und noch vieles mehr, zeigt einen ganz anderen als den bekannten Goethe. Bis zu diesem Punkt ermüdet und überrascht der Autor den Leser zugleich. Ersteres tritt schnell ein, da Roberto Zapperi sich in seiner Argumentation immer wieder auf dieselben Quellen stützt und dadurch langatmige Wiederholungen entstehen läßt. Überrascht wird der Leser, wenn ihm klar wird, wie schwierig, aber auch wie lebenswichtig der Ausbruch Goethes vom Weimarer Hof gewesen sein muß. Sich aus den Zwängen des Hoflebens zu befreien, ist für sein persönliches und kreatives Wohlergehen ein wichtiger Schritt gewesen, wie er in vielen Briefen an seine Freunde ("Nun bin ich endlich geborgen!") immer wieder ausführte. Doch welches Risiko und welch enormer Aufwand mit dieser Reise verbunden war, wird in diesen vier Kapiteln erst wirklich klar.

Die zweite Hälfte des Werkes befaßt sich ausschließlich mit Goethes Liebschaften. Hier wird ein Goethe entdeckt, der nahezu krampfhaft eine Beziehung ohne Verpflichtung sucht und der Angst hat sich mit einer Geschlechtskrankheit zu infizieren. Dies mag grotesk wirken, weil man den großen genialen Goethe so nicht kennt und vielleicht auch gar nicht kennen will. Auch ist es fraglich, ob ein Buch über das Inkognito Goethes nicht mehr hergeben könnte als über 100 Seiten Frauengeschichten? Doch ein neuartiges Buch in Form und Gliederung liegt hier ohne Frage vor. Die Art jedoch, in der Roberto Zapperi seine Betrachtungen über Goethe anlegt, läßt gewiß eine Menge Raum für Diskussionen offen.

Titelbild

Roberto Zapperi: Das Inkognito. Goethes ganz andere Existenz in Rom.
Verlag C.H.Beck, München 1999.
280 Seiten, 20,30 EUR.
ISBN-10: 340644587X

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