Kamerafahrt in den Irrsinn

Bret Easton Ellis seziert in "Glamorama" die Wirklichkeit

Von Oliver PfohlmannRSS-Newsfeed neuer Artikel von Oliver Pfohlmann

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Was denkt ein Model, wenn es "Schindlers Liste" anschaut? "Erstens, die Deutschen waren nicht allzu cool. Zweitens, Ralph Fiennes ist fett. Drittens, ich brauch' mehr Stoff."

Victor Ward, der tumb-narzistische Ich-Erzähler in Bret Easton Ellis' neuem Roman "Glamorama", hat alle Aussichten auf den Titel des unsympathischsten Helden der Literaturgeschichte. Welche Klischees beim Gedanken an Topmodels aufkommen mögen, spielend werden sie vom "momentan ultimativen Boy" überboten. "Je besser man aussieht, desto mehr sieht man", lautet sein Credo, dessen tiefere Wahrheit Ellis dem Leser in erbarmungsloser Großaufnahme vor Augen führt. Kaum zu glauben, dass man für diese perfekte Verkörperung des allgegenwärtigen oberflächlichen Narzissmus irgendwann doch etwas wie Mitgefühl verspürt. Vielleicht, weil "Hengsttörtchen" Victor letztlich nur das Menschenopfer einer modebesessenen, prominenzgeilen, von Paparazzihorden gefütterten "Öffentlichkeit" ist. Während Victor im Strudel der Bestialität ersäuft, gaukelt ihm sein drogengeschwängertes Bewusstsein vor, als Schauspieler in einem Film zu agieren, permanent begleitet von einem herrischen Kamerateam. Der Leser wird nie erfahren, ob es dieses Team "wirklich" gibt. Wozu auch. Derartige Fragen sind lächerlich in einer kunterbunten Multimediawelt, in der die Unterscheidung von Realität und Fiktion längst abhanden gekommen ist, und zwar unwiederbringlich.

Der idealistische Philosoph Fichte schimpfte seine Zeit, immerhin die Goethes und Schillers, das "Zeitalter der vollkommenen Sündhaftigkeit". Schwer vorstellbar, welcher Superlativ sich da noch für die Kennzeichnung unserer schon zigfach gelifteten Postmoderne finden ließe. Bret Easton Ellis, geboren 1964, unerbittlicher Satiriker der globalen High Society und enfant terrible der amerikanischen Literaturszene seit seinem skandalösen Meisterwerk "American Psycho", hat sich nach neun Jahren Abstinenz zurückgemeldet: Mit einem Moloch von einem Roman. Von unverminderter Rasiermesserschärfe sind seine Erkundungs- und Folterinstrumente: Alles wird aus der hypernaturalistischen Optik eines involvierten Ich-Erzählers erzählt, alles im verstörenden Präsens geschildert. Hier findet sich auch nicht die Spur eines den Leser beruhigenden erhobenen Zeigefingers. Die Figuren führen sich selbst vor. In Echtzeit. Erzählte Zeit und Erzählzeit kommen zur quälenden Deckung, wenn Ward, der einen neuen Club in Manhattan eröffnen will, um seinen Ruhm für einen Tag von der Klatschpresse verewigen zu lassen, die schier endlose Gästeliste durchgeht. Jede Rücksicht auf die Leidensfähigkeit des Lesers souverän ignorierend, traktiert ihn Ellis über Dutzende von Seiten hinweg mit der nervtötenden Aufzählung diverser Berühmtheiten. Ebenso grausam dehnt sich das restlos von Sinn entleerte, an Absurdes Theater erinnernde Partygequatsche, das Ellis so brillant seiner Lächerlichkeit preisgibt. Vielleicht muss man pervers sein, um an solcher Lektüre Gefallen zu finden.

Wer die Tortur durchhält, wird 'belohnt'. Mit, nun ja, einer 'spannenden Story'. Denn der arme Victor, ahnungsloses Opfer einer Intrige, wird von einem mysteriösen Auftraggeber auf 'Bildungs'-Reise nach Europa geschickt. Dort gerät er in die Fänge einer sich aus Models rekrutierenden Terroristenbande, die im Schein der Blitzlichter von Party zu Party stolziert und nebenbei Konsumpaläste und Boeing-Flugzeuge in die Luft sprengt. "Wir mögen dich", erklärt ihm der Anführer der Gang, "weil du nichts vorhast im Leben. Und weil du keine Antworten hast." Nicht, dass eine politische Botschaft die hip gestylten Attentäter bewegte: "Es geht in erster Linie um den Willen, die Zerstörung herbeizuführen, und nicht um das Ergebnis, das ist lediglich Dekoration." Mit unerträglicher "Liebe fürs Detail" unternimmt Ellis Kamerafahrten ins Inferno, präsentiert Nahaufnahmen der Destruktion und der sadistischen Gewalt. Sein letzter Roman wurde wegen solch extremer Gewaltdarstellung indiziert. Doch wo täglich Hunderte von Filmleichen angespült werden, kann menschlicher Schmerz kaum mehr auslösen als einen hier freilich vergeblichen Griff nach der Fernbedienung.

"We'll slide down the surface of things", lautet ein wiederkehrender Refrain im Roman. Den Abgrund, die Leere hinter all den sonnengebräunten Oberflächen und bunten Bildern lotet Ellis aus, unerbittlich und ohne Hoffnung. Das Cover zeigt vor schwarzem Hintergrund einen explodierenden Sternenhaufen ewig grinsender Modelvisagen. 1966 prophezeite Foucault das Kommen einer posthumanen Zukunft: "Der Mensch verschwindet wie am Meeresufer ein Gesicht im Sand." Ellis ist ein Autor, der, Roman für Roman, wie besessen diesen von Licht und Wellen inszenierten hübschen Bildern nachspringt, den Sand umgräbt und vor Ekel lacht.

Titelbild

Bret Easton Ellis: Glamorama. Roman. Aus dem Amerikanischen von Joachim Kalka.
Kiepenheuer & Witsch, Köln 1999.
650 Seiten, 25,50 EUR.
ISBN-10: 3462028340

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