Kindheit und Jugend abschütteln

Frank McCourts Erinnerungen "Ein rundherum tolles Land"

Von Monika PapenfußRSS-Newsfeed neuer Artikel von Monika Papenfuß

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

1996 erschien Frank McCourts "Die Asche meiner Mutter" und wurde ein Bestseller. Die Geschichte des irischen Jungen, der mit seinen Eltern und Geschwistern von Amerika zurück nach Irland geht und dort in schlimmsten Verhältnissen aufwachsen muß, bewegte die Leser auf der ganzen Welt. In der Sprache eines früh gereiften Kindes und ohne Larmoyanz legte McCourt Zeugnis ab vom Alltag in den Elendsvierteln von Limerick, vom Hunger, von den katastrophalen Wohnverhältnissen, der Kälte und Nässe, von Krankheit, dem Säuglingssterben als Normalität und der Hoffnungslosigkeit, diesem Leben zu entrinnen. Daß es Frank gelingt, das Geld für die Überfahrt nach Amerika zusammenzubekommen, um sich dort ein besseres Leben aufzubauen, grenzt an ein Wunder. Hier setzt das neue Buch ein.

Aufbruch in das Land der unbegrenzten Möglichkeiten - ein sich immer wiederholender Menschheitstraum geht in Erfüllung. Doch schon auf dem Schiff überwiegen häufig die Zweifel und Ängste des gerade neunzehnjährigen Auswanderes. Seine Tagträume im Liegestuhl auf Deck bringen ihn immer wieder nach Limerick zurück. Daß er sich auch in seinem neuen Leben am untersten Rand der Gesellschaft bewegt, wird ihm bereits auf der Überfahrt bewußt. Noch bevor er einen Fuß auf amerikanischen Boden gesetzt hat, hat er kein Geld mehr, er ist abhängig von der Mildtätigkeit eines ihm nicht wohlgesonnen Priesters. Die folgenden Jahre gleichen seinem erbärmlichen Leben in Irland. Seine schwarzen Zähne, die ständig entzündeten Augen und der irische Akzent sind äußere Zeichen seiner Vergangenheit, die er schmerzlich als Makel und Hemmschuh für den sozialen Aufstieg empfindet, gleichzeitig sind sie Symbol für sein Außenseitertum. Auch in New York hält er sich mühsam mit Gelegenheits-arbeiten über Wasser und lebt in unwohnlichen Behausungen. Mit Glück und Beharrlichkeit schafft er schließlich den Sprung in ein bürgerliches Leben, glücklich wird er jedoch auch hier nicht. Als schlecht bezahlter Lehrer reißen seine finanziellen Nöte nicht ab, seine Schüler haben feine Antennen für seine Schwachpunkte und nutzen sie grausam aus, die Ehe mit einer schönen amerikanischen Kommilitonin muß scheitern. Zu bedeutend ist das Trennende der Vergangenheit. Vergangenheit bleibt auch wach durch Besuche in Irland, durch das trotz größter Zerwürfnisse nicht abreißende Band zum Vater, und durch die Mutter, die schließlich mit dem vierten Bruder nach New York übersiedelt und hier nun keine Not mehr leidet, aber mit sich und der Welt nicht ins Reine kommt. So bleibt Frank ein zerrissener Mensch, zeitlebens auf der Suche. Sein Traum vom literarischen Erfolg erfüllt sich erst nach seiner Pensionierung.

Auch der zweite Teil von McCourts Autobiographie bewegt durch die Einfachheit der Darstellung. Ein Bild der amerikanischen Klassengesellschaft aus der Perspektive von unten wird entwickelt, wie es lebendiger nicht sein könnte. Das Buch lebt vom Einblick in die Gefühlswelt der "kleinen Leute" und ihre Strategien im Überlebenskampf. Es berührt durch die Erkenntnis, wie schwer es ist, Kindheit und Jugend abzuschütteln und neu zu beginnen.

Titelbild

Frank McCourt: Ein rundherum tolles Land. Erinnerungen. Aus d. Amerik. v. Hermstein, Rudolf.
Luchterhand Literaturverlag, München 1999.
416 Seiten, 24,50 EUR.
ISBN-10: 3630870341

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