Germanica non leguntur
Maria Lieber und Harald Wentzlaff-Eggebert analysieren die Chancen einer deutschsprachigen Romanistik
Von Walter Wagner
In der vorliegenden Broschüre versammeln die Herausgeber sechs Beiträge zu einer Thematik, die längst zur Gretchenfrage für Romanisten geworden ist: In welcher Sprache publizieren Sie? Mitgewirkt an dieser Schrift haben Vertreter der romanistischen Literatur- und Sprachwissenschaft, die an deutschen und ausländischen Universitäten lehren, wodurch der zweifache Blick von innen und außen gewährleistet wird. Die Untersuchungen beziehen sich dabei auf den deutschsprachigen Raum, die Romania mit ihren Nationalliteraturen und -sprachen und den internationalen Diskurs. Mangelnde wechselseitige Rezeption, so viel lässt sich vorab sagen, ist dabei nicht auf Sprachbarrieren zurückzuführen, sondern beruht vielfach auf unterschiedlichen Schwerpunktsetzungen.
Horst Nitschack, der in Südamerika gelehrt hat, hebt die Bedeutung der deutschen Sprache innerhalb des deutschsprachigen Kulturraumes hervor und schreibt ihr eine unverzichtbare Rolle als Mittlerin im Lehr- und Forschungsbetrieb zu. Die Zukunft des Deutschen dürfte in diesem Zusammenhang auch in einem verstärkten Dialog mit den Geistes- und Sozialwissenschaften liegen.
Um einen fruchtbaren interkulturellen Austausch zu befördern, muss in der Zielsprache kommuniziert werden, was naturgemäß nur über vermehrten Austausch von Studierenden und Lehrenden zu bewerkstelligen sein wird. Transnationale Gemeinschaftsprojekte könnten einer verbesserten Bilinguität daher nur zuträglich sein.
Im internationalen Raum werden Publikationen zumeist nur in der jeweiligen romanischen Sprache wahrgenommen. Dem Englischen kommt aus interdisziplinärer und globaler Sicht freilich immer größere Bedeutung zu. Ob von den Romanisten indes eine aktive Kompetenz der englischen Sprache zu erwarten ist, bleibt offen. Fragwürdig scheint ebenso Nitschacks Vorwurf, Europa sei "hartnäckig einsprachig". Mit einer derartigen Einschätzung verkennt er gerade im Hinblick auf eine weltweit verstärkte Migration das tatsächliche Potenzial für eine künftige Mehrsprachigkeit.
Johannes Kramer verweist in seinem Aufsatz auf die geringe Wahrnehmung deutschsprachiger Publikationen im internationalen Wettbewerb, was allerdings auch in der Wahl exotischer Themen gründet, die sich weit vom so genannten mainstream entfernt haben. Anderseits finden innovative Ansätze und bedeutende Publikationen durchaus den Weg ins nicht deutschsprachige Ausland und erfreuen sich dort großer Beliebtheit, wie die Verbreitung der Arbeiten von Jaberg, Jud, Meyer-Lübke und anderen hinlänglich zeigt. "Von einer Marginalisierung der deutschen Romanistik in der internationalen Diskussion", führt Kramer aus, "kann im Bereich der Sprachwissenschaft auf gar keinen Fall eine Rede sein." Der Nutzen, den die muttersprachliche Romanistik aus der deutschen ziehen kann, ergibt sich vor allem aus der Außenperspektive. Deutschsprachigen Philologen gelingen vergleichende Studien demnach besser als Muttersprachlern, die sich nach wie vor in Bereichen hervortun, wo mehr als eine antrainierte Sprachkompetenz erforderlich ist.
Kramers Fazit lautet, dass sich die Wahl der Sprache nach dem Publikum zu richten habe. Für wenig Erfolg versprechend hält er demnach die Verwendung romanischer Kleinsprachen, weil sie eine zu geringe Anzahl potenzieller Leser ansprechen.
Der koreanische Romanist I Deug-Su kommt im folgenden Beitrag zu Wort. Er sieht in der deutschsprachigen Romanistik "das ausgesprochen erfolgreiche Modell einer Komparatistik zwischen heterogenen Kulturen" und plädiert für eine stärkere Präsenz der deutschen Sprachen im internationalen Wissenstransfer.
Fabio Marri referiert den status quo der deutschsprachigen Romanistik in Italien und kommt zu dem Schluss, dass sich dort Englisch größerer Beliebtheit erfreut als Deutsch. Es gibt für deutschsprachige Publikationen in seinem Land keinen Markt, da mehrheitlich weder die Studierenden noch die Wissenschaftler selbst dieser Sprache mächtig sind. Die prominenten deutschen Linguisten sind inzwischen freilich übersetzt und daher auch einem breiten Publikum zugänglich.
Für Ion Constantinescu ergibt sich ein anderes Bild. In Rumänien begaben sich bis zum Zweiten Weltkrieg zahlreiche Intellektuelle nach Deutschland, um dort ihr Studium zu absolvieren. Darüber hinaus erwies sich die deutsche Kultur in Siebenbürgen bis zum Zerfall des Eisernen Vorhangs als überaus lebendig. Diese historische Prägung hat zur Akzeptanz des Deutschen als Wissenschaftssprache beigetragen und stellt ein Fundament dar, auf dem die germanophile Tradition in Rumänien fortgeführt werden könnte.
Inwieweit die bisweilen recht locker formulierten Thesen des Bändchens "Deutschsprachige Romanistik - für wen?" tatsächlich in die Praxis umgesetzt werden, dürfte gerade in einem so sensiblen Bereich wie der Geisteswissenschaft von der Bereitstellung entsprechender Geldmittel abhängen. Dessen ungeachtet ist die Diskussion über die Zukunft der deutschen Sprache in einer globalisierten Romanistik durchaus zu begrüßen, und es bleibt zu hoffen, dass sie mit dieser Publikation nicht versiegt.
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