Nüchterner Blick auf revolutionäre Ereignisse
"Nachkrieg" von Ludwig Renn erinnert an einen Erfolgsautor der Neuen Sachlichkeit
Von Michael Grisko
Gelegentlich findet sich zwischen all den schmalzigen Historienschinken, den kanonisierten Klassikern und jungen Avantgardeschriftstellern, den Neuentdeckungen aus Asien und Osteuropa auch einmal eine Neuauflage eines Schriftstellers des beginnenden 20. Jahrhunderts, dessen Rechte noch nicht frei verfügbar sind. So etwa im Falle des Schriftstellers Ludwig Renn. Renn war zur Zeit der Weimarer Republik neben Erik Reger einer der Erfolgsautoren der Neuen Sachlichkeit und Herausgeber der Zeitschrift "Linkskurve" (1929-1932).
Seit drei Jahren pflegt der Verlag "Das Neue Berlin" das Werk des 1888 geborenen Autors. Nach seinem Erfolgsroman "Adel im Untergang", dem umstrittenen Weltkriegs-Roman "Krieg", dessen Schärfe und Präzision Remarques "Im Westen nichts Neues" um Längen schlägt, liegt nun - wenn auch etwas verspätet - der dritte Teil seiner stark autobiographisch gefärbten Prosa, der Roman "Nachkrieg" vor.
Der Titel ist Programm und beschreibt die Erlebnisse des Leutnants Renn in den regierungslosen und quasi-anarchistischen Zeiten nach dem Ersten Weltkrieg. Renn führt damit nahtlos seine Kriegserlebnisse ("Krieg") und seine Milieustudien des Militärs um die Jahrhundertwende "Adel im Untergang" fort und schreibt diese für den Zeitraum 1918/19 weiter. Diese subjektiv-autobiographische Chronologie des beginnenden 20. Jahrhunderts erhält ihre literarische Prägnanz einmal mehr durch jenen sachlichen, gänzlich auf Metaphern verzichtenden Stil, der den dokumentarischen Charakter der Prosa bis zur regungslosen Nüchternheit ausreizt. Renn sieht sich und seinen Protagonisten als linken Pragmatiker mit Durchblick und Durchsetzungswillen in den Wirren der Geschichte. Immer wieder gerät die Frage der Macht und der Autorität in den Blickpunkt seines Helden. Wer ist den Wirren der Revolution, der Arbeiter- und Soldatenräte, der Putschversuche und Aufstände befehlsberechtigt? Welche alten Autoritäten werden in der Nachkriegszeit nach kurzer Zeit wieder an wichtige Posten gesetzt? Welche politische und gesellschaftliche Elite schafft es und aus welchen Gründen eigene Interessen durchzusetzen? Wie wirken längerfristige Mentalitäten in Militär, Politik und Gesellschaft und damit auch in dem diese Institutionen tragenden Individuum nach? Es ist jedoch kein diskursiv-reflexives Prosastück über Machtgewinnung und -verteilung in postrevolutionären Zeiten. Die Fragen ergeben sich im alltäglichen Kasernenleben, in den Debatten und Entscheidungen, die nun, auf neuen Strukturen beruhend, eine neue Autorität suchen und diese in den wenigsten Fällen finden. Insofern ist Renns Roman auch ein Dokument des Scheiterns der revolutionären Träume und Phantasien in den Anfangsjahren der Weimarer Republik. Auffällig ist, dass Renn auf jede naiv- und ideologisch-einseitige Stellung- und Parteinahme verzichtet, ohne jedoch je in den Verdacht einer rechts-konservativen Haltung zu kommen - ganz im Gegenteil.
In diesem Sinne gilt es mit Ludwig Renn einen eigensinnigen Chronisten des 20. Jahrhunderts wiederzuentdecken. Von der Jahrhundertwende über den Spanischen Bürgerkrieg bis in die 70er Jahre - jenseits aller politischen Scheuklappen und allem aktualitätsgebietenden Sensationismus.
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