Der Kreis schließt sich

Manuel Vázquez Montalbáns Kriminal-Roman "Undercover in Madrid"

Von Rebeca Castellano AlonsoRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rebeca Castellano Alonso

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Es gibt einen Toten. Die unzähligen Kameras aller spanischen Fernsehanstalten, etliche Journalisten und alle geladenen Gäste der Verleihung eines hochdotierten Literaturpreises, der Gewinner erhält 100 Millionen Peseten, erwarten schon gespannt die Bekanntgabe des Gewinners, als ein Gerücht aufkommt: es gibt keinen Gewinner, lediglich einen Toten. Es handelt sich um Lázaro Conesal, den reichen Madrider Finanzhai mit Verbindungen zur Regierung und Stifter des Preises. Es gibt einen Toten, ein Verbrechen und einen Detektiv, und letzteres ist José Carvalho, ein Ex-Kommunist, Ex-CIA-Agent, Feinschmecker und Bücherverbrenner.

Conesals Sohn lässt ihn für die Nacht der Preisverleihung zum Schutze seines Vaters, der kurz vor seinem wirtschaftlichen Ruin steht, nach Madrid einfliegen. Ehemalige Komplizen wenden sich ab, die Regierung unterstützt ihn nicht mehr, sein Bankunternehmen wird unter Staatsaufsicht gestellt und zudem steht er auf der schwarzen Liste der ETA.

Kurz vor der Vergabe des Preises findet man den Magnaten im Pyjama tot im Bett auf, vergiftet durch Strychnin. Zusammen mit Inspektor Ramiro führt Detektiv Carvalho die Ermittlungen durch, die daher so problematisch sind, weil jeder der geladenen Gäste ein Mordmotiv hätte.

Die Struktur des Romans folgt in ihren Grundzügen dem klassischen Kriminalroman: es gibt ein Verbrechen, Ermittlungen werden angestellt und schließlich erfolgt die (mehr oder weniger plausible) Ermittlung des Täters. Doch Vázquez Montalbán konstruiert seinen Roman weit über dieses traditionelle Schema des Whodunit-Prinzips hinaus.

Auch lässt er den traditionellen sozialkritischen Kriminalroman eines Raymond Chandler (Philip Marlowe) oder eines Dashiell Hamett (Sam Spade) hinter sich. Zwar ist auch sein Detektiv ein Antiheld, der Verbrechen in der Politik und Korruption in allen Bereichen der Gesellschaft aufzuklären vermag, aber bei Montalbán bildet die tough oder hard-boiled novel aus Amerika nur das Tableau für seine Gesellschaftssatire.

So treten gleich zu Beginn des Romans verschiedenste Charaktere aus dem Literaturbetrieb, der Politik und den gehobenen Kreisen der Gesellschaft auf, wobei unter ihnen bekannte, reale Personen des spanischen öffentlichen Lebens vertreten sind: der ehemalige Präsident der Comunidad de Madrid, Leguina, die Kulturministerin Carmen Alborch oder der Duque de Alba. Für mit der Gesellschaft Spaniens weniger vertraute Leser ein vielleicht schwieriger einzuordnendes Figurenkabinett.

Daneben treten auch so skurrile Figuren wie "der einzig real existierende Nobelpreisträger Spaniens", "der älteste Vertreter der hoffnungsvollen Schriftstellerjugend Spaniens", "die beste schreibende Hausfrau" oder "der beste schwule Poet und Romancier beider Kastilien" auf. Es macht Spaß, den Ausführungen über persönliche Feindschaften, über Kunst, Politik oder Literatur zu folgen, zu denen auch eine Kritik sowie allgemeine Beobachtungen zum Kriminalroman gehören, die sich durch eine Montalbáns typische Komik auszeichnen.

Ein anderes typisches Merkmal eines Romans der Carvalho-Serie, die mittlerweile die Zahl 23 erreicht hat, ist das intertextuelle und intermediale Spiel, wobei sich der Detektiv in einem Netz aus Kultur und Subkultur bewegt: Erinnerungen an spanische schwarz-weiß Filme der fünfziger Jahre, an Werbeslogans der siebziger und die Sprache der Madrider Jugend stehen neben Auszügen aus Artikeln der größten spanische Zeitung "El País", Marken wie Jaguar, Havanna-Zigarren, Zitaten von Wilde und Neruda oder Songtexten von The Doors.

Des weiteren ist bereits aus anderen Carvalho-Romanen der raffinierte Umgang mit Zeit und Perspektive bekannt, der gleiche Szenen aus verschiedenen Blickwinkeln zum selben Zeitpunkt darstellt, dabei aber nicht chronologisch vorgeht, bekannt: Montalbán führt uns zunächst in das Diner anlässlich der Verleihung ein, kehrt dann zurück zum Vortag, kehrt zurück zum Moment der Vergiftung, verfolgt danach das Verhör der Verdächtigen und ein Kapitel später, das einige Stunden vorher stattfindet, verfolgt er die bereits im Verhör zugegebenen oder verheimlichten Schritte der Verdächtigen, bis schließlich die Ermittlungen abgeschlossen werden und der Täter feststeht.

Die Kombination aus skurrilen Figuren und den formalen Strukturen des Romans ergeben ein leichtes, satirisches, selbstironisches und zugleich ernstes und politisches Panoptikum, das zusammen mit allen anderen Romane dieser Serie eine nationale Chronik der spanischen Gesellschaft und des spanischen Lebens während der Transición (den Jahren nach Francos Diktatur) und der Demokratie bildet.

Wenn die beiden "gefürchtetsten Literaturkritiker" Spaniens bereits zu Beginn und noch während des Diners erstaunt feststellen, wie sich nach allem, was sie über den Kriminalroman gesagt haben, herausstellt, dass sie selbst einen Kriminalroman erleben, dann weist dieses Spiel mit Fiktionalität bereits auf das Ende des Romans. Dort erkennt Carvalho, bereits im Privatjet sitzend, um wieder in sein geliebtes Barcelona zurückzukehren, dass er den Roman, den er von Conesals Sohn bekommen hat und zu lesen beginnt, bereits erlebt hat: "Uroboros" lautet der Titel. Ein Wort für den Mythos der Schlange, die sich selbst in den Schwanz beißt und in sich zurückgekrümmt einen Zyklus der Evolution symbolisiert. Montalbán lässt am Ende die Deutungsmöglichkeit stehen, dass die Welt sich wiederholt und zwar immer die gleiche, wie die sich selbst beißende Schlange. Der Kreis schließt sich. Das Ende ist gleichzeitig wieder der Anfang.

Montalbán führte die Figur des Detektivs 1972 in dem Roman "Yo maté a Kennedy" ein und führte sie in insgesamt 23 Romanen fort, wobei er immer behauptet hat, wo es sich um Literatur handelt, sei der wahre Mörder immer der Autor. Sein letzter Roman aus der Serie: "Milenio Carvalho" ist dieses Jahr posthum veröffentlicht worden. Sein Schöpfer, einer der bedeutendsten Intellektuellen Spaniens, ist im vergangenen Oktober verstorben.

Titelbild

Manuel Vazquez-Montalban: Undercover in Madrid. Ein Pepe-Carvalho-Roman.
Übersetzt aus dem Spanischen von Bernhard Straub.
Piper Verlag, München 2003.
287 Seiten, 8,90 EUR.
ISBN-10: 349223982X

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