Die Welt und ihre Abgründe

Petra Morsbachs barockes Welttheater "Gottesdiener"

Von Heribert HovenRSS-Newsfeed neuer Artikel von Heribert Hoven

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Bayern ist seit jeher ein Land der Heiligenverehrung und der Wundergläubigkeit. Heute allerdings haben sich, so scheint es nach der Lektüre von Petra Morsbachs viertem Roman, die Heiligen in den Bayerischen Wald zurückgezogen. Hier nämlich lebt und arbeitet ein katholischer Dorfpfarrer namens Isidor Rattenhuber und hält, kurz vor der Pensionierung stehend, Rückschau auf das, was er einmal gewollt und schließlich erreicht hat. Seines abstoßenden Namens wegen und weil er rothaarig war und stotterte, sei einst nur der Priesterberuf für ihn infrage gekommen, erzählt er scherzhaft. Aber auch sonst ist der alternde Gottesmann ein seltsamer Heiliger, der so gar nicht in die landläufigen Rollenklischees oder gar Romanvorlagen passt. Er kennt die Welt und ihre Abgründe. Er hat den Versuchungen, so gut er konnte, widerstanden, ohne dabei zum Zyniker zu werden. Von seiner Gemeinde wird er akzeptiert und gelegentlich auch respektiert, weil er kein Eiferer ist und weil er weiß, dass nur die schmalen und verschlungenen Wege zum Himmel führen.

Mit einer erstaunlichen Anteilnahme und ohne ihn jemals zu denunzieren, nähert sich die Autorin ihrem Protagonisten. Sie beschreibt seinen Alltag zwischen hohem Anspruch und oft banaler Wirklichkeit, sein Ringen um Gott und seine Einsamkeit. Ganz nebenbei fallen auch einige erhellende Streiflichter auf ein Stück Kirchengeschichte, auf die Zeit zwischen konziliarem Aufbruch und wendezeitlichem Chaos. Indem sie den einzelnen Kapiteln Passagen aus der Heiligen Schrift und der Liturgie der Priesterweihe voranstellt und diese dann mit der Ausübung des Amtes konfrontiert, gibt Petra Morsbach dem Geschehen Würde und die innere Spannung, welche ihn äußerlich vielleicht fehlen mag. Während sich in der Person des Gottesdieners eine resignative Weltweisheit und ein bisweilen naiver Idealismus auf zauberhafte Weise die Waage halten, wird das katholische Milieu zwischen Regensburg, Passau und dem Wald, jenes Kräftedreieck, in dem sich der Pfarrer aufarbeitet, mit eher spöttischer Ironie beschrieben. Hier begegnen wir alten Bekannten aus dem Komödienstadl, den bigotten Betschwestern, nimmermüden Wallfahrern, karrieregeilen Kaplänen, den Erbschleichern und skrupellosen Geschäftsleuten, die sich für gewisse Stunden "einen Verbindungsmann zum Himmel" leisten, und den Bauern, die sich eher für das Wirtshaus als für die Kirche entscheiden. Und plötzlich entdecken wir unter all den skurrilen Gestalten uns selbst. Dann weitet sich der Blick auf Niederbayern zum barocken Welttheater, wird das ländliche Pfarrhaus zur Bühne, auf der nur ganz leicht überzeichnete Figuren die großen Fragen der menschlichen Existenz und der Moral verhandeln.