Beschwörung des Nichts

Martins Amanshausers "100.000 verkaufte Exemplare"

Von Helmut SturmRSS-Newsfeed neuer Artikel von Helmut Sturm

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

In Henning Mankells Roman "Tea Bag" bekommt der erfolgreiche Lyriker Jesper Humlin von seinem Lektor den dringenden Rat zugunsten höherer Profitabilität das Genre zu wechseln: "Nur Kriminalromane und gewisse pikante Bekenntnisse verkaufen sich in mindestens 50.000 Exemplaren." Klar, der Titel auf Martin Amanshausers gesammelten Gedichten "100.000 verkaufte Exemplare" ist maßlos übertrieben. Eine augenzwinkernde Jetzt-erst-recht-Strategie, die nicht unaufdringlich eine beliebte Werbestrategie des Buchhandels aufnimmt, und vielleicht mit der Überzeugungskraft von Arno Schmidts Behauptung rechnet, wonach man ein Buch mit derart hoher Auflage gelesen haben sollte.

"Maulwurf", das älteste der Gedichte aus dem Jahr 1983 vom damals erst 15-jährigen Autor zeichnet sich bereits durch die für den ganzen Band typische genaue Beobachtung meist disparater Phänomene aus. Hier ist schon ein starkes Formbewusstsein zu erkennen, zwar noch nicht so verspielt locker wie in den Texten der letzten Jahre, die souverän mit Metrum und Reim jonglieren, aber die überlegte Anordnung der Verse und die das Gedicht paradox einleitende und ironisch zum Abschluss bringende Aufforderung "Nichts sagen!" zeugen von Talent.

"Nichts sagen!" erinnert an den österreichischen Schriftstellerkollegen Ludwig Wittgenstein, dessen Promotionsschrift bekanntlich mit dem oft zitierten "Wovon man nicht sprechen kann, darüber muss man schweigen" endet. So kommt in diesem Band das Heilige und Hehre nicht vor, gnädig erspart es Martin Amanshauser den "Geschädigten der Poesiebuch-Generation" (www.amanshauser.at) als Sinnstifter aufzutreten. Es gibt in dem Band eine Reihe von Beziehungsgedichten, aber es gilt auch hier "Nichts sagen!" - "Wie kann Liebe ausgedrückt werden?, werde ich fragen./ Sie wird antworten:/ ich weiß nicht."

"ich selbst bin still wie ein altes tabu" stimmt freilich nicht, aber immerhin wird der Leser gewarnt "Komm, bitte, glaub nicht meinen Worten".

Die etwa 160 Gedichte des Bandes sind in neun Abschnitte gegliedert, deren Überschrift jeweils aus einer Zahl (100.000 bis 900.000) und einer Alltagsbeobachtung zusammengesetzt ist. Die Überschriften hintereinander gelesen ("verkaufte Exemplare; Semmeln im Müll; Narren und Pferde arbeiten; Gräber aus Marmelade; Meerschweinchen kämmen; Briefe ohne Liebe; Bächlein, Zwitschervögel, Bäume; Bananen und Affen; Aspirin in Reichweite") ergeben ein skurilles, desillusioniertes Bild von Welt, das durch die Zahlen ritualisiert (ri = Zahl) und gebändigt, dem Weltbild der "Generation X" entsprechen könnte. Politik im Sinne der 68er, also der herrschenden Akteure, kommt da nicht vor, höchstens als ein flaues Gefühl und eine Sache der Nerven, schließlich vermag man ja nur sich selbst wahrzunehmen: "Am Abend fressen uns die Städte/ und wir tun oft nichts dagegen/ Wenn einer bisserl Nerven hätte/ würde er demonstrieren gegen Regen // und gegen diesen Hunger auf der Welt/ den man im Katerleben oft verspürt/". Es ist dies das letzte Gedicht der Sammlung, und es ist durchaus programmatisch, dass die flüchtige und egozentrische Wahrnehmung von der Not der Welt durch "das Capricciosa Ding" und "ein Aspirin ins Wasser gerührt" umgehend ausgelöscht wird.

"Nichts sagen!" kann ja ebenso das Nichts sagen bedeuten. Martin Amanshauser ist in dieser Hinsicht einmal mehr faszinierend mehrdeutig. Zum einen drückt er tatsächlich auch den Nihilismus und die mitunter erschreckende Leere, die viele Menschen erleben, aus; andererseits vermittelt er die köstliche Befreiung die nur gekonnter Nonsens vor schwulstigen Sinnstifterinnen und Sinnstiftern gewähren kann. Liebe und Sex ("die menschenliebe ist so rosig ist qual / ihr hintern quietscht episkopal") widmet sich Amanshauser mit Kreativität, Freude und Übermut. In der Kritik werden da oftmals Namen wie Morgenstern, Ringelnatz, Kästner und Okopenko assoziiert, was uns nicht daran hindern sollte, die Texte als jene Martin Amanshausers zu lesen. Vielleicht auch im Deutschkurs:

"In Spanien sind alle Hosen spanisch / Beim Deutschkurs öffnet sich / ihr Reißverschluss mechanisch // Spanische Hasen / streunen vormittags ziellos über den Rasen / bevor sie mittags / zum Grasen in ihre Garagen rasen".

Titelbild

Martin Amanshauser: 100.000 verkaufte Exemplare.
Deuticke Verlag, Wien 2002.
206 Seiten, 14,90 EUR.
ISBN-10: 3216306305

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