Sozialkitsch

Es kostet Überwindung, Mankells Hörstück "Zeit im Dunkeln" durchzustehen

Von Roman KernRSS-Newsfeed neuer Artikel von Roman Kern

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Ein kleines Zimmer in Schweden. Vater und Tochter ertragen die Bürde ihrer Tage. Sie sind Flüchtlinge aus Afrika. Es ist klar, dass sie durch ihre Flucht aus der Heimat dem Tod entronnen sind. Mal streiten und mal weinen sie, oft hört man von dem Journalisten, dem in der Heimat die Zunge herausgeschnitten wurde, oder von der Mutter, die auf der Flucht umkam.

So weit, so gut.

Henning Mankell ist dem deutschen Publikum vor allem durch seine Kriminalgeschichten ein Begriff. Einige davon sind in teilweise ausgezeichneten Hörspielfassungen über den HörVerlag erhältlich.

Mankell verbringt sein Leben überwiegend in Afrika und verarbeitet seine Erfahrungen literarisch: neben "Chronist der Winde" sind hier vor allem "Die rote Antilope" und "Das Auge des Leoparden" zu nennen. Den genannten Romanen ist nicht abzusprechen, dass sie fesselnd erzählen - in jedem Fall finden sie in Deutschland ihr Publikum.

Es fällt schwer, sich das bei der vorliegenden Produktion vorzustellen. Zwar kann kein Zweifel darüber bestehen, dass es Länder auf der Erde gibt, in denen entsetzliche Zustände herrschen, und es ist auch bekannt, dass viele Menschen lieber in eine ungewisse Zukunft weitab von ihrer Heimat fliehen, als zu Hause zu bleiben. Doch ein Hörspiel muss mehr zeigen können als die bloße Tatsache, dass Flüchtlinge es nicht leicht haben, ganz gleich, ob sie nach Deutschland, Schweden oder in irgendein anderes Land gehen.

Mankells Dialoge sind plakativ, platt und wiederholen sich, ohne auch nur im Ansatz irgendein anderes Gefühl zu erzeugen als das fortschreitend aggressivierender Entnervung. Hier ist kein Raum für die Imagination, die in anderen Bereichen die Erotik von der Pornographie scheidet - leider findet sich auch an Explizitem nur Dürftiges: ein Problem, das im Ansatz des Stücks begründet liegt.

In ihrem letzten Buch "Regarding the Pain of Others" liefert Susan Sontag eine ausgezeichnete Analyse der Schwierigkeiten medial vermittelten Leidens. Eine ihrer zentralen Thesen besagt, dass man als Beobachter auf einem bequemen Sofa im westlichen Luxus nur allzu leicht der Illusion erliegt, man wisse Bescheid über den Hunger in Afrika, die Folter im Irak, die Bomben in Israel ... In Wirklichkeit ist das traurige Illusion. Das Gefährliche an ihr ist, dass sie dazu führen kann, dass man sich mit dem Konsum solcher Informationen exkulpiert: man hat Teil an dem Leiden, indem man 'Zeuge' wird. Stand früheren Generationen als einzige Reaktion auf das Unrecht der Welt die Empörung zur Verfügung und der Wunsch nach Aufbegehren, so begnügt sich der Zeitgeist 2004 damit, sich unangenehmen 'Wahrheiten' zu stellen - solange sie multimedial aufbereitet sind. Auch hier muss man leider bemerken, dass Mankells Stück versagt.

Der Dialog ist durch Schnitte aufgeteilt, was zu vielen inhaltlichen Doppelungen führt. Diese Brüche und Wiederholungen sollten vielleicht etwas Absurdität à la Beckett herstellen, auch mag jemand an Eich gedacht haben, doch allein die Nennung jener Namen an dieser Stelle bereitet Unbehagen. Sozialkritik ist notwendig, selbst wenn man sich über die Grenzen ihres Wirkungsfeldes streiten kann - in diesem Stück jedoch ist sie nicht auszumachen. Das Land, von dem Mankell erzählt, wird zwar zwar hin und wieder kommentiert, doch diese Passagen erschöpfen sich im Erstaunen über den Klang der Namen. Was könnte in diesem Genre schwerer wiegen als der Vorwurf der Belanglosigkeit?

Auch die Schilderungen der Verbrechen in der Heimat werden fragwürdig durch das Verhalten der beiden, die nicht als würdige Kritiker jener Vorgänge auftreten können, sondern sich mal gegenseitig zerfleischen, mal hasserfüllt nach Rache sehnen und sich eines übergeordneten Standpunktes berauben.

Das gewiss ausgezeichnete Team des Norddeutschen Rundfunks nervt geschlagene 55 Minuten lang, und der HörVerlag tut so, als sei dies eine Erfahrung der besonderen Art:

"Peter Dirschauer und Sascha Icks verkörpern Vater und Tochter so einfühlsam, dass uns die traumatischen Erfahrungen der beiden förmlich unter die Haut gehen."

Es wirkt wie blanker Hohn auf die Sprecher, die sich auf dieses Unterfangen eingelassen und auf ein wenig Empathie gehofft haben mögen. Doch anstelle eines packenden, unter die Haut gehenden Hörspiels ist eine Inszenierung entstanden, die niemals die Chance hatte, 'authentisch' zu werden, so als gäbe es keine geeigneten Sprecher, die afrikanische Flüchtlinge überzeugend darstellen können, und als hätte man sich darauf geeinigt, alles möglichst weit zu abstrahieren, als solle der geneigte Hörer die konkreten Schwierigkeiten des Alltags zwischen wiedergekäuten Reiskoch-Szenarien und aufgewärmten Diskussionen über den Verbleib der Mutter erahnen.

Warum nur, so fragt man sich, ist dann das Verhalten der beiden Protagonisten so hoffnungslos neurotisch und vor allem: weshalb ist die Neurose derart gnadenlos abendländisch? Es scheint, als habe sich der Chronist der Winde in der schwedischen Provinz verirrt und säße etwas hilflos in der abgestandenen Zugluft eines schäbigen Appartements. Erst nach einer Weile kommt man darauf, dass es vor allem das Verdienst des Skripts sein muss, das die Sprecher fast immer fehl am Platz wirken lässt: mal zu intellektuell für die niederen Instinkte, die sie verkörpern sollen, dann wieder zu gewollt lyrisch in ihrem Leiden, oft genug einfach seicht und dünn.

Bleibt die Musik, die unweigerlich die Frage aufwirft, ob sich Ernst Reijseger und Mola Sylla darum bemüht haben, ein akustisches Pendant zu finden für das, was jenem Journalisten in Afrika wiederfuhr. Doch auch hier wird das Leiden nicht plastisch, es kommt nicht nahe, sondern stößt ab: Nicht, weil die Erfahrung die Macht hätte, die Seele peinvoll zu berühren, sondern vielmehr, weil die akustische Untermalung derart ostentativ arbeitet, dass ihre Penetranz schlicht und ergreifend nicht auszuhalten ist. Der Hörer erliegt fast ständig dem Reflex, das jaulende Gerät schnellstmöglich auszuschalten. Jede Platte mit 'schwarzer Musik' von Billie Holiday oder Miles Davis kündet weit mehr von der Tiefe des Leidens und der Weite der afrikanischen Seele. Wer musikalische Grenzerfahrungen sucht, möge sich bei Sun Ra oder meinetwegen Public Enemy bedienen. All diese musikalischen Erfahrungen sind ebenfalls gefiltert durch die Kultur, die sie umgibt, und doch sind sie, was die Fragen der afrikanischen Abstammung angeht, deutlich authentischer. Das mag daran liegen, dass sie nicht versuchen, als Amerikaner afrikanischer Abstammung 'Buschneger' zu spielen, sondern mit ihrem kulturellen Kontext überzeugend arbeiten.

Es gab einmal Hörspiele in Deutschland, die waren Sand im Getriebe der Welt. Daneben nimmt sich die vorliegende Produktion wie ein kläglicher Abgesang aus - ein Scheitern auf ganzer Linie und dabei noch nicht einmal gewagt.

Bleibt nur, mit einem Zitat aus dem Stück in die wohltuende Stille zu flüchten:

"Mir kommt vor, als würde ich ununterbrochen reden - so eine Scheiße!"

Titelbild

Henning Mankell: Zeit im Dunkeln. 1 CD.
Der Hörverlag, München 2003.
55 Minuten, 14,95 EUR.
ISBN-10: 3899401638

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