Welche Konsequenzen hatte die Mosaische Unterscheidung oder Wie heil war die Welt des Polytheismus?

Der Ägyptologe Jan Assmann und seine Kritiker

Von Ursula HomannRSS-Newsfeed neuer Artikel von Ursula Homann

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Im Laufe des Altertums, wahrscheinlich zwischen der späten Bronzezeit und der Spätantike, ereignete sich eine Wende, die von den "polytheistischen" zu den "monotheistischen" Religionen führte, von den kulturspezifischen Religionen zu den Weltreligionen. Während die polytheistischen Religionen historisch gewachsen sind im Rahmen einer Kultur, Gesellschaft und oft auch Sprache, verdanken sich die monotheistischen Religionen einem Akt der Offenbarung und Stiftung und überschreiten alle politischen und ethnischen Grenzen. Vor allem aber grenzen sie sich von den polytheistischen Religionen strikt ab, indem sie ihnen Heidentum, Götzendienst und Aberglauben vorwerfen. Sie blicken auf sie herab und lösen damit Intoleranz und Hass aus.

Eine solche Position und ähnliche Thesen vertrat der Heidelberger Ägyptologe Jan Assmann in seinem 1998 veröffentlichten Buch "Moses der Ägypter" und musste dafür so viel Kritik und Schelte einstecken, dass er sich genötigt sah, in einem Essay - er erschien kürzlich unter dem Titel "Die Mosaische Unterscheidung oder Der Preis des Monotheismus" - auf die Einwände einzugehen und seine Ansichten, von denen er einige inzwischen korrigiert und andere präzisiert hat, nochmals darzulegen und zu erläutern.

"Mit der monotheistischen Wahrheit", schreibt Assmann, der sich durch wegweisende Werke über Religion und Kultur des alten Ägypten einen Namen gemacht hat, "kam zwar nicht 'der' Hass, aber eine neue Art von Hass in die Welt, der ikono- bzw. theoklastische Hass der Monotheisten auf die zu Götzen erhobenen alten Götter und der antimonotheistische Hass der durch die mosaische Unterscheidung ausgegrenzten, zu Heiden erklärten Anderen."

Mit "Mosaischer Unterscheidung" bezeichnet Assmann nicht in erster Linie die Unterscheidung zwischen dem Einen Gott und den vielen Göttern, sondern die Grenzlinie zwischen wahr und falsch in der Religion, zwischen dem wahren Gott und den falschen Göttern, der wahren Lehre und den Irrlehren. "Der entscheidende Punkt ist nicht die Einheit, sondern die Exklusivität", die exklusive und ausgrenzende Wahrheit. Diese besagt: Wahr ist der Eine Gott, unwahr die Vielgötterei. Der exklusive Charakter der monotheistischen christlichen Religion kommt schon im ersten Gebot klar zum Ausdruck: "Ich bin der Herr, Dein Gott. Du sollst keine anderen Götter haben neben mir." Diese Unduldsamkeit gegenüber anderen Göttern, das eben war, erklärt Assmann, etwas ganz Neues. "Mosaisch" aber werde die Unterscheidung zwischen wahr und unwahr genannt, weil sie die Tradition mit Moses verbindet, von dem wir nicht einmal wissen, ob er überhaupt gelebt hat. Allerdings habe nicht Moses den Monotheismus erfunden, sondern vor ihm der Pharao Amenophis IV., der sich Echnaton nannte. Doch während Moses als Figur der Erinnerung im Gedächtnis aller Epochen bis zur Religionstheorie Sigmund Freuds eine gewaltige Spur hinterlassen hat, blieb Echnaton als Figur der Geschichte ohne erinnernde Tradition bis auf unsere Zeit aus dem kulturellen Gedächtnis gelöscht.

Wie stellt sich der Monotheismus in seinen Ursprüngen und Erscheinungsformen dar, wenn man ihn von Ägypten aus in den Blick nimmt, von einer Welt, die seiner Entstehung vorausliegt und gegen die er sich abgrenzt?, hat sich der Ägyptologe Jan Assmann von Anfang an gefragt und in Ägypten die verdrängte und vergessene, dem kulturellen Gedächtnis abgekehrte Seite des Monotheismus entdeckt. Dennoch lasse sich die monotheistische Unterscheidung nicht genau datieren. Sie stehe in den Texten, führt Assmann weiter aus, sei aber seit Echnaton immer wieder einmal mehr oder weniger gewaltsam in die Wirklichkeit umgesetzt worden und habe schließlich eine zumindest die westliche und islamische Welt in ihrem Sinne verändernde Wende herbeigeführt.

Auch in seinem neuen Buch treibt Assmann die Frage um, ob die Unterscheidung zwischen falscher und wahrer Religion und die strukturell in ihr begründete Logik der Intoleranz ein Segen oder ein zwar unvermeidliches, aber verhängnisvolles, Hass und Ausgrenzung erzeugendes Unheil war. Brachte der radikale Anspruch des Monotheismus am Ende gar auch den Antisemitismus hervor? Immerhin zieht ein Gott, der alle anderen verteufelt, Hass auf sich und die Seinen. So weit möchte Assmann allem Anschein nach nicht gehen, wie ihm einige seiner Kritiker mit ihrem Vorwurf des Antisemitismus unterstellen. Andere werfen ihm vor, er trete für eine Rückkehr zum Mythos und zur primären Religion ein. Doch Assmann setzt sich auch dagegen vehement zur Wehr und beteuert, dass er in seinem umstrittenen Moses-Buch lediglich versucht habe, die Gedächtnisgeschichte im abendländischen Nachdenken über Gott und den Ursprung des Monotheismus zu beschreiben und zu verstehen.

Ihm sei es nicht so sehr, hebt Assmann hervor, um die Kritik des Monotheismus gegangen, sondern um die historische Analyse seines revolutionären Charakters als einer weltverändernden Innovation sowie um den Aufweis der dem Monotheismus innewohnenden Kraft zur Negation, der antagonistischen Energie, die die Unterscheidung zwischen wahr und falsch in eine Sphäre hineinträgt, in der sie vorher nicht denkbar gewesen wäre.

Zudem habe sich die christliche Intoleranz zunächst gar nicht so sehr in der Ausübung, sondern in der Erduldung von Gewalt gezeigt, in der Entschlossenheit, für den eigenen Glauben eher zu sterben als sich zu Handlungen oder Überzeugungen bereit zu finden, die mit der wahren Religion unvereinbar sind. Erst als die Christen selbst an die Macht gekommen waren und das Christentum Staatsreligion des Römischen Reiches geworden war, habe sich die Intoleranz gegen andere gerichtet. Aus der Weigerung, Opferfleisch zu essen, wurde nun das Verbot, solche Opfer überhaupt durchzuführen. Auch mit dem zweiten Gebot "Du sollst Dir kein Bildnis machen" und der Geschichte vom Goldenen Kalb sei zunächst die eigene Religion gemeint gewesen und nicht so sehr die der anderen.

Assmann grenzt Polytheismus und Monotheismus voneinander ab, sieht im Monotheismus eine regulative Idee und im Polytheismus die Kennzeichnung einer religiösen Praxis, die sich dieser Idee entgegenstellt. Seine Kritiker haben diese Gegenüberstellung zugespitzt: Hier das polytheistische Leben und Lebenlassen - dort die Engstirnigkeit des absolutistischen Monotheismus. Hier Erziehung zum Pluralismus, dort Rechtfertigung des Monopols und des Monologs.

Assmann sieht ferner im Monotheismus eine Art Anti-Kosmotheismus und schreibt: Wer auf dem Boden der mosaischen Unterscheidung steht, fühlt sich in dieser Welt nicht ganz und gar zu Hause. Der Monotheismus habe wohl den Kosmotheismus verdrängt, doch begleitet dieser die abendländische Religions- und Geistesgeschichte ständig als Schatten, in verschiedenen Verwandlungen und Verkleidungen. Goethes Religion etwa war der Kosmotheismus, die verschleierte Wahrheit der göttlichen Immanenz.

Der Urtext der mosaischen Unterscheidung in der Religion ist - Assmann zufolge - die Geschichte vom Exodus, vom Auszug aus der ägyptischen Kultur. Geht man jedoch von seiner Deutungsweise der mosaischen Unterscheidung aus, dann bilden nicht der Sündenfall und nicht die Sintflut eine neue Form von Versündigung, sondern der Tanz um das Goldene Kalb, mit dem die Israeliten Gott untreu geworden sind. So gilt dann letzten Endes auch die zum Heidentum abgestempelte primäre Religion samt der Anbetung falscher Götter nicht nur als eine Sache des Irrtums, sondern auch des Abfalls und der Sünde. Die Grenze zwischen Wahrheit und Lüge hat folglich nicht nur kognitive, sondern vor allem moralische Bedeutung.

Sigmund Freud fasste die psychohistorischen Konsequenzen des Monotheismus in der Formel vom "Fortschritt in der Geistigkeit" zusammen und wertete diesen als jüdischen Beitrag zur Menschheitsgeschichte. Für den Begründer der Psychoanalyse, der überdies jede Religion zur Neurose erklärt hatte, entsprach dieser Fortschritt allerdings nicht einem Trieb zur Vollkommenheit, vielmehr führte er ihn auf Triebverdrängung zurück.

Jan Assmann, der in seinem Buch auch Freud viel Aufmerksamkeit widmet, wird nicht müde zu betonen, dass es ihm nicht um Aufhebung der mosaischen Unterscheidung gegangen sei, sondern in erster Linie um Erinnerungsarbeit, "die das Verdrängte ans Licht hebt." Zugleich plädiert er für die Sublimierung der mosaischen Unterscheidung. Wir können uns nämlich nicht mehr, so Assmanns Einwand, auf "absolute", sondern nur noch auf relative, lebensdienliche Wahrheiten berufen. An der Unterscheidung der Begriffe wahr und falsch sollten wir wohl festhalten, nur sollten wir diese Unterscheidung nicht mehr auf ein für allemal festgeschriebene Offenbarungen gründen. Wir müssten die mosaische Unterscheidung selbst zum Gegenstand einer unablässigen Reflexion und Redefinition, einer im Habermas'schen Sinne "diskursiven Verflüssigung" machen, wenn sie uns Grundlage eines Fortschritts in der Menschlichkeit bleiben soll.

Im Anhang lässt der Heidelberger Wissenschaftler fünf seiner Kritiker zu Wort kommen: Dem Alttestamentler Rolf Rendtorff hat in Assmanns Moses-Buch der Satz "Ägypten ist der Mutterleib, aus dem das auserwählte Volk hervorging, aber die Nabelschnur ist ein für alle Male durch die mosaische Unterscheidung durchgeschnitten worden", die größten Schwierigkeiten bereitet. Auch frage er sich voller Zweifel, gesteht Rendtorff, ob der christliche Judenhass durch die mosaische Unterscheidung begründet werden könne. Schließlich sei dieser doch ein Problem innerhalb des Monotheismus.

Erich Zenger wiederum meint, dass Assmann die Friedfertigkeit des Polytheismus überschätzt habe. Klaus Koch bekennt, dass er Assmanns Buch mit zwiespältigen Gefühlen aus der Hand gelegt habe, und glaubt ebenfalls, dass es schwer fallen dürfte, polytheistischen Systemen eine Neigung zur Toleranz nachzuweisen. Gleichwohl habe Assmann ein mutiges, notwendiges und beeindruckendes Werk vorgelegt, an dem kein Bibelwissenschaftler vorbeigehen sollte. Zum Sündenbock, den er und andere suchen, scheine jedoch der biblische Monotheismus kaum geeignet zu sein. Gerhard Kaiser fragt sich gleichfalls: "War der Exodus ein Sündenfall?" Es gibt geschichtliche Herausforderungen, lautet Karl-Josef Kuschels Einwand, in denen die mosaische Unterscheidung von falsch, gut und böse in Religion und Ethos radikale Entschiedenheit verlangt, nicht neues Aushandeln. "Menschen dürfen sich - trotz allem - für ihre Überzeugungen 'auf ein für allemal festgeschriebene Offenbarungen' verlassen."

Der Ägyptologe Jan Assmann hat zweifellos mit der mosaischen Unterscheidung ein hochbrisantes Thema angeschnitten, das nicht nur unter Klerikern und Theologen für viel Wirbel gesorgt hat, sondern auch die Leser seiner Bücher zum Überdenken eigener Ansichten zwingt.

Titelbild

Jan Assmann: Die Mosaische Unterscheidung. Oder Der Preis des Monotheismus.
Carl Hanser Verlag, München 2003.
284 Seiten, 19,90 EUR.
ISBN-10: 3446203672

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