Aus einer Mücke einen Elefanten gemacht gemacht

Franz Josef Czernins Arabesken "Anna und Franz"

Von Saskia SchulteRSS-Newsfeed neuer Artikel von Saskia Schulte

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

"Und schon sah Anna, und auch im Sinn der so schrecklich verblümten Schlange, eine Distel am Weg liegen, die fliessend in eine Rose überging, oder eine Rose, die fliessend in eine Distel überging. Und das Ganze nahm manchmal auch die Form eines Igels oder eines Bienenschwarms an, in dem jede Biene fleissig in ihren eigenen Stachel biss, um wiederum nach und nach in Rotten von Ratten oder Mäusen überzugehen, von denen entweder jede Ratte in den Kopf jeder Maus biss oder jede Maus in den Schwanz jeder Ratte."

Herkömmlich "verstehen" muß man die sechzehn Arabesken Franz Josef Czernins nicht, aber beim Lesen mitfliegen, mitwirbeln, etwas wahrnehmen, weiterwirbeln. Denn "Anna und Franz" reizen die Sinne: Assoziationsketten reihen sich aneinander - sujetlos, aber nicht verloren. Denn es besteht ein tiefgreifender Zusammenhang zwischen den Textstücken, Absätzen, auch den einzelnen Worten.

Daß der Begriff "Arabeske" sich ursprünglich auf die Ornamentik der islamischen Kunst bezieht, merkt man der Textstruktur Czernins deutlich an: durch das Aneinanderreihen und Übergreifen der Sinnbezüge entsteht ein Textteppich, in dem die verschiedenen thematischen Fäden immer wieder auf- und abtauchen. Ein Sinnmuster entsteht, das von Arabeske zu Arabeske variiert weitergegeben wird. So sind die Arabesken auch in einem Zusammenhang betitelt: Die beiden Motive der jeweiligen Arabeske, aus Fabeln, Märchen und der Bibel stammend, werden mit den Namen Anna oder Franz belegt: so in den Kapiteln "Der Elefant Anna und die Mücke Franz" und "Der Felsen Franz und das Staubkorn Anna". Auf diese Weise wird Czernin dem Begriff der Arabeske auch im Sinne Friedrich Schlegels gerecht, der den Begriff aus der islamischen Kunst in die Literatur übertrug und sie als ein durch "märchenhafte Fülle und Phantastik" geprägtes Beiwerk beschrieb und verwendete. Doch wie bei Schlegel, der sich die Arabeske sogar als poetische Gattung neben Märchen, Novelle und Roman dachte, wird auch bei Czernin aus dem "Beiwerk" ein eigenständiges Werk: das Prinzip der Arabeske, die verkettete Variation, ist auch das Stilprinzip des gesamten Textes.

Leider wird der Genuß beim Lesen dieses artifiziellen Textgefüges mit der Zeit immer geringer, da man spätestens nach der vierten Arabeske das Prinzip verstanden hat. Überraschungen sind selten. Der Text hangelt sich an einer Konstruktion entlang, die bemüht erscheint. 247 Seiten Arabesken sind ein wahnsinniges Unterfangen, auch für den, der es nachvollziehen muß. Und so sind Franz Josef Czernins Arabesken ein sprachliches Kunstwerk, das man würdigen muß, aber nicht unbedingt genießen kann.

Titelbild

Franz Josef Czernin: Anna und Franz. Sechzehn Arabesken.
Haymon Verlag, Innsbruck 1998.
253 Seiten, 20,30 EUR.
ISBN-10: 3852182735

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