Das fränkische Kopfkissenbuch

Eine Werkausgabe feiert den listenreichen Dichter Anton Schnack

Von Rolf-Bernhard EssigRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf-Bernhard Essig

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Wenn man mit Anton Schnacks Augen die Welt am Main ansieht, könnte man meinen, die Moderne sei am Frankenland beinahe folgenlos vorübergezogen. Hat man es also, nimmt man seine zweibändige Werkausgabe zur Hand, mit Idyllen aus dem letzten Jahrhundert zu tun? Tatsächlich schrieb Schnack, der 1892 im fränkischen Rieneck an der Sinn geboren wurde und 1973 in Kahl am Main starb, emphatisch von seiner "Liebe zu Idyllen und sonderbaren Nebensächlichkeiten"; ein durchaus programmatischer Halbsatz. Nicht nur mit den Wörtern "Liebe" und "Idylle" geht Schnack vollkommen frei um. Er liebt Nüsse, Münder, Flüsse, Brüste und bekennt sich in unzähligen sinnlichen Texten dazu. Genau diese Freiheit macht die Schnack-Lektüre einzigartig. Es scheint so, als habe die oft beschworene fränkische Kindheit und Jugend, ja die Landschaft selbst ihm so viel Energie zur Eigenwilligkeit mit auf den Lebensweg gegeben.

Schnacks Autorenkarriere begann früh mit expressionistischer Lyrik. Vor allem seine Kriegsverse, von denen nur einige die Zensur passieren konnten, trafen den Nerv der Zeit. Erst 1920 erschienen sie vollständig in "Tier rang gewaltig mit Tier" bei Rowohlt. In hymnischen Langzeilen, leicht über zwanzig Wörter, schreibt er von den Schlachterfahrungen. Mitunter gibt es Konventionalismen, Rilkisches und sogar Kitschnahes. Zumeist aber überdeckt sein Gespür für Rhythmus, das gar keinen Prosaeindruck aufkommen lässt, solche Schwächen. Im zeittypischen Reihungsstil erfasst er die Kriegsrealität mit Schützengrabendreck, zerfetzten Menschen, grün blitzenden Leuchtraketen. Hier zeigt sich Schnack stilistisch auf der Höhe der Zeit. Er kontrastiert allerdings das Schreckliche mit Idyllischem. Er sieht im Feindesland Spuren des vernichteten Friedensglück und in den zerstörten Dörfern Abbilder seiner Heimat. Deshalb fehlt seiner Kriegslyrik jeder Chauvinismus, vielmehr herrscht Mitleid vor mit dem Elend diesseits und jenseits der Front.

Nach dem Krieg tummelte sich Schnack in Boheme-Kreisen und fand seinen Platz im Kulturbetrieb. In München wie Darmstadt stand er der Avantgarde nah, der "Sturm" und "Die Aktion", der "Querschnitt" oder der "Simplicissimus" druckten seine Texte, und als Feuilleton-Redakteur kritisierte er bedeutende Theateraufführungen, Ausstellungen, literarische Werke. In den Zwanzigern gab Schnack seiner Südlust nach, lebte in Südtirol und am Gardasee, durchstreifte Dalmatien, die Campagna, dann Frankreich und kehrte doch ins Frankenland zurück. Lebenslang wirkten "Wandergier" und "Lockruf des Fremden" so stark auf ihn wie Heimatliebe, Mainseligkeit, Nostalgie.

Kein Wunder, dass sich in seine expressionistisch-vitalistische Prosa und Lyrik Landlob mischte. Das änderte sich nicht, als er die Wende zur Neusachlichkeit erfolgreich mitmachte und im Brecht-Kästner-Kaléko-Ton "Inseraten-Balladen" schrieb, die Schicksale und Kuriositäten des Alltags in Annoncen aufspürten. Der Alltag wie das kleine Leben hatten es Schnack, je länger er sich ihnen widmete, um so mehr angetan. Noch 1956 veröffentlichte er die Prosasammlung "Flirt mit dem Alltag", ein Aufruf zu mehr Phantasie im genormten Leben.

Er selbst konnte sich das als freier Schriftsteller, der inzwischen seine eigene Schreibweise gefunden hatte, seit den Dreißigern leisten. Mit den Nationalsozialisten gab es keine Auseinandersetzungen und keine Gemeinschaft, sieht man von der kollektiven Ergebensheitsadresse des Schriftstellerverbands an Hitler ab. Man kann dem Autor Schnack diese Indifferenz vorwerfen, dazu Blindheit und Egozentrik. Er blieb sich selber selig und treu, publizierte weiter seine Petitessen-Sammlungen. Spuren der Ereignisse vor, in und nach dem Zweiten Weltkrieg sucht man darin so gut wie vergeblich. Dafür findet man Zeitenthobenes über Menschheitsthemen wie die Vergänglichkeit, das Altern, die Fülle verstrichener Möglichkeiten. In seinen Miniaturen, die nicht selten die Mitte halten zwischen Prosa und Lyrik, verliert sich Schnack gern in Kindheitserinnerungen und in die Heimatregion: "Die alte Landschaft Franken dehnt sich unbeschädigt, fromm und hold, / glänzt funkelnagelneu in Grün, in Gelb, in Gold". Lustig gehen da die Zeiten durcheinander, als gäbe es kaum einen Gegensatz zwischen dem Präsens des gesetzten Schriftstellers und der Präsenz des Knaben von einst, des küssenden, schwimmenden, träumenden, des von Lehrern gequälten, von Weltsehnsucht getriebenen Jungen.

Die starke Evidenz dieser Texte überrascht. Da liegt Heuduft zwischen den Zeilen, tönen Grillenklang und Mainrauschen durch die Absätze, fährt ein Gewittersturm in die Seiten. Die Wirkung erzielt Schnack durch seine Detailfreude. Er kennt die Gegend, ihre Tiere und Menschen sehr genau, ja, er liebt sie. Mit Hingabe schildert er den alten Briefkasten, mit Akribie analysiert er vielgestaltigen Vogelkot an einem Regenrohr, mit Empfindsamkeit spürt er, am alten Familientisch sitzend, der Vergangenheit nach. Und wenn er auf die Jagd geht, so will er keine Hasen schießen: "Wenn ihr auch zum Klößgericht gut schmeckt, lauft, was ihr laufen könnt. In der Wirrnis der Wacholderbüsche, deren blaue Beeren ich mir beim Vorüberjagen in die Tasche stecke, werdet ihr geborgen sein."

Sein leichter, romantiknaher Stil - allerdings durch einen Hang zur ironischen Lakonie relativiert - unterstützt die Intensität seiner Texte. Jean Paul und Max Dauthendey mit ihrem Witz, ihrer Liebe zum Kleinen und zu Franken nennt er explizit als Vorbilder, aber auch Hölderlin lebt in Schnacks hymnischem Gestus fort, Eichendorff klingt sich mit Posthornklängen hinein. Die Unbekümmertheit eines Taugenichts befällt manchmal Schnacks Formulierung zu heftig, die dann kraftlos, bieder, ganz selten sogar männlich-dümmlich wirken kann oder auch faul, wenn er "Latein" auf "Teufeleien" reimt, "sein" auf "Port of Spain", "Singapore" auf "Ohre"; als Franke, der kein "hartes t" sprechen kann, muss er zudem "Tragöden" auf "Goethen" und "älter" auf "Wälder" reimen.

E i n Stilprinzip durchzieht die meisten seiner Texte, die Aufzählung; manche bestehen gar nur aus Listen. Ob bewusst oder unbewusst, sie erinnern an "Das Kopfkissenbuch der Sei Shonagon". 1000 n. Chr. zeichnete die japanische Hofdame auf, was ihr zu den Jahreszeiten einfiel, zu den Monaten, den Neujahrstagen, sie listete "Ernüchterndes" auf, "Peinliche Überraschungen", "Was süße Erinnerungen weckt" und "Was Herzklopfen verursacht". Anton Schnack horcht ebenso aufmerksam in sich hinein und in die Ferne hinaus, führt seine Gedanken zu den Monaten auf in der "Kalenderkantate", reiht "Lieblingsdinge" aneinander, "Blumen und Sträucher", "Landschaften des Weins", sammelt "Geräusche, Klänge, Laute, die ich liebe" und listet - in fast denselben Worten wie bei Sei Shonagon - auf, "Was Herzklopfen macht".

Anton Schnack zu lesen macht kein Herzklopfen, aber es macht Spaß, es macht aufmerksam auf vergangene Lebenszusammenhänge, auf die Wunderwelt des Alltags, auf die Seele der Dinge, auf die oft vernachlässigten Fähigkeiten der Sinne wie des Sinnens, und manchmal macht es die Augen nass.

Eine späte Fotografie zeigt Anton Schnack als älteren Herrn, der gutmütig Kunststücke mit seinem Hut vollführt. Er fühlt sich offensichtlich wohl in seiner Haut. Ein langes Leben liegt hinter ihm, in das zwei Weltkriege fielen, Revolutionen, Inflationen, Not, gleichwohl wirkt er unversehrt und dabei weniger harm- als arglos. Die meiste Zeit seines Daseins hat er geschrieben, wenige Romane, viele Gedichte, sehr viele kleinere Prosastücke und noch mehr Artikel, denn Jahr um Jahr verdiente er als Feuilletonredakteur sein Geld.

Wer Schnack wie ich erst jetzt mit der zweibändigen Ausgabe seiner Lyrik und Kurzprosa kennenlernt, kommt nicht so schnell aus dem Staunen und dem bezaubernd vielgestaltigen Schnackland heraus. In manchem gleicht der Reiz des Textgebiets dem seiner fränkischen Heimat, weil es genauso fluss-, tier-, vegetations-, traditions-, typen- und überhaupt so abwechslungsreich ist. Das Kleinteilige herrscht hier wie dort vor, dann auch das Liebliche und Romantische, das Vertrackte und Eigenwillige, das Gegensätzliche und Überraschende; Extreme aber fehlen fast vollständig.

Wenn man mit des Autors Augen die Welt ansieht, könnte man meinen, die Moderne sei an Schnack- wie Frankenland beinahe folgenlos vorübergezogen; selbst die Hymne "Ich liebe dich, Auto!" stammt aus der Vorkriegszeit. Hat man es also mit Idyllen zu tun, süßlichen gar, die den Kopf schwermachen bis zum Katzenjammer, wenn man ihn zu tief hineintunkt?

Tatsächlich schrieb Anton Schnack, der 1892 im fränkischen Rieneck an der Sinn geboren wurde und 1973 in Kahl am Main starb, einmal emphatisch von seiner "Liebe zu Idyllen und sonderbaren Nebensächlichkeiten"; ein durchaus programmatischer Halbsatz. Mit den beiden im Deutschen und zumal im Bereich des Literarischen eher peinlichen Wörtern "Liebe" und "Idylle" geht Schnack vollkommen selbstverständlich, unverlogen und frei um. Er liebt Nüsse, Münder, Küsten, Flüsse, Brüste und bekennt sich in unzähligen erotisch-sinnlichen Texten dazu. Genau diese Freiheit macht die Schnacklektüre einzigartig. Es scheint so, als habe die fränkische Kindheit und Jugend, ja die Landschaft selbst ihm so viel Energie und Eigenwilligkeit mit auf den Lebensweg gegeben, dass er stets seine Unabhängigkeit wahren konnte. Dabei stand er gar nicht im gesellschaftlichen oder künstlerischen Abseits, häufig tummelte er sich sogar in Bohemekreisen und mischte kräftig mit im Kulturbetrieb.

In München und in Darmstadt stand er expressionistischen Zirkeln nah, der "Sturm" und "Die Aktion", um nur die wichtigsten Zeitschriften der Avantgarde, für die er schrieb, zu nennen, druckten seine Texte, als Feuilletonredakteur kritisierte er bedeutende Musik- und Theateraufführungen, Ausstellungen und literarische Werke für regionale Blätter, aber auch für die "Weltbühne", den "Querschnitt", den "Simplicissimus". Wie die Kunst- war ihm die weite Welt vertraut, jedenfalls nach damaligem Verständnis. In den Zwanzigern verbrachte er Jahre im Ausland, lebte in Südtirol und am Gardasee, durchstreifte Dalmatien mit Venedig, Rom und die Campagna, zog durch Südfrankreich und kehrte doch immer wieder ins Frankenland zurück. "Wandergier" und der "Lockruf des Fremden" verloren sein Leben lang ihre Wirkung nicht, genausowenig Heimatliebe, Mainseligkeit und Nostalgie. Er wollte beides mit Lust leben und beschreiben.

Einen Namen machte sich Schnack mit expressionistischer Lyrik. Vor allem seine Kriegsverse trafen den Nerv der Zeit, konnten auch nur einige die Zensur passieren. Erst 1920 erschienen sie gesammelt in dem Buch "Tier rang gewaltig mit Tier" bei Rowohlt. In Langzeilen, die leicht über zwanzig Wörter fassen, schreibt er in hymnischen Ton von den Schlachterfahrungen. Mitunter gibt es Konventionalismen, Rilkisches und - selbst in der Drastik - Kitschnahes. Sehr oft aber überdeckt sein Gespür für Rhythmus, das gar keinen Prosaeindruck aufkommen läßt, solche Schwächen. Im zeittypischen Reihungsstil beschwört er die Kriegsrealität mit Schützengrabendreck, verreckenden Pferden, zerfetzten Menschen, grünenblitzenden Leuchtraketen. Hier zeigt sich Schnack stilistisch auf der Höhe der Zeit, kann er sich auch nicht mit der Innovationskrfaft eines August Stramm messen. Ungewöhnlich und besonders eindrucksvoll ist etwas anderes, das auf den späteren Schnack vorausdeutet. Er kontrastiert die Vernichtungsspuren sehr oft mit Idyllischem. Er sieht im Feindesland all das, was sein könnte, herrschte nicht das Morden, und er sieht in den zerstörten französischen oder belgischen Dörfern Abbilder seiner dörflichen Heimat. Deshalb fehlt bei Schnacks Kriegslyrik jeder Chauvinismus, stattdessen betont er durchgehend, wie ähnlich verzweifelt es zugeht, diesseits und jenseits der Frontlinie. Er versetzt sich hinein in die Gegner, denkt zurück an seine Reiseerfahrungen vor dem Krieg, als er südliche Paradiese in Italien und Frankreich fand. Ein Unfall beim Granatenverladen rettete Schnack aus der Schusslinie, er wurde nach wenigen Monaten an der Front in der Heimat dienstverpflichtet.

Viele Jahre und Veröffentlichungen in Prosa oder Lyrik schrieb er weiter im expressionismusnahem Stil, doch mischte sich schon in den Zwanzigern Landlob in die oft vitalistischen Großstadtverse. Die Wende zur Neusachlichkeit machte Schnack auch noch mit und versuchte sich erfolgreich im Brecht-Kästner-Kaléko-Ton, beispielsweise mit seinen "Inseraten-Balladen", die mit Empathie und Menschenfreundlichkeit in Zeitungsannoncen Schicksale, Wirrnisse und Kuriositäten des Alltags aufspüren. Der Alltag wie das kleine Leben hatten es Schnack je länger er sich ihnen widmete um so mehr angetan und ließen ihn nicht mehr los. Noch 1956 veröffentlichte er die Prosasammlung "Flirt mit dem Alltag", ein Aufruf zu mehr Phantasie und Spleen im Gewohnten, zu nutzloser, gar widersinniger Tätigkeit, die das viel zu sehr genormte Leben bunter und angenehmer machen könnte.

Er selbst konnte sich das als Freier Schriftsteller, der inzwischen seine eigene Schreibweise gefunden hatte, seit den Dreißigern leisten. Mit den Nationalsozialisten gab es keine Auseinandersetzungen, aber auch keine Gemeinschaft, sieht man von der kollektiven Ergebensheitsadresse des deutschen Schriftstellerverbands ab. Man kann dem Autor Schnack diese Indifferenz vorwerfen, dazu Blindheit und Egozentrik. Er blieb, solange er es vermochte, sich selber selig und treu, publizierte seine Petitessen weiter in Sammlungen und Romanen. Spuren der Ereignisse vor, in und nach dem Krieg sucht man in seinen Werken so gut wie vergeblich.

Dafür findet man zeitenthobene, durchaus unverächtliche Trostliteratur über Menschheitsthemen wie die Vergänglichkeit angesichts der "ewigen Natur", das Altern, die Fülle verstrichener Möglichkeiten und dazu viel Nostalgisches. In seinen Prosa- oder Lyrik-Miniaturen verliert sich Schnack reizvoll mit steter Lust in seine Kindheitserinnerungen und in die Heimatregion: "Die alte Landschaft Franken dehnt sich unbeschädigt, fromm und hold, / glänzt funkelnagelneu in Grün, in Gelb, in Gold" ("Gewitter in Franken"). Lustig gehen da die Zeiten durcheinander, als gäbe es kaum einen Gegensatz zwischen dem Präsens des gesetzten Schriftstellers und der Präsenz des küssenden Knaben von einst, des schwimmenden, des träumenden, des von Lehrern gequälten, von Weltsehnsucht getriebenen Jungen.

Die starke Evidenz, welche sich gerade in diesen Texten einstellt, überrascht. Da schwebt Heuduft zwischen den Zeilen, tönen Grillenklang und Mainrauschen durch die Absätze, fährt ein Gewittersturm in die Seiten. Diese Wirkung erzielt Schnack durch Genauigkeit der Beschreibung, durch seine Detailfreude. Er kennt die Gegend und ihre Menschen, die er beschreibt, sehr genau, er fühlt sich ihnen verantwortlich und nah, ja, er liebt sie, wie er oft bemerkt. Mit Hingabe schildert er seinen Briefkasten, mit Akribie analysiert er vielgestaltigen Vogelkot an einem Regenrohr, mit Empfindsamkeit spürt er, am alten Familientisch sitzend, der Vergangenheit nach. Und wenn er gerne auf die Jagd geht, so will er doch die Hasen nicht schießen. Vielmehr spricht er mit ihnen: "Wenn ihr auch zum Klößgericht gut schmeckt, lauft, was ihr laufen könnt. In der Wirrnis der Wacholderbüsche, deren blaue Beeren ich mir beim Vorüberjagen in die Tasche stecke, werdet ihr geborgen sein."

Sein leichter, romantiknaher Stil - allerdings durch einen Hang zur ironischen Lakonie relativiert - unterstützt die Intensität seiner Texte. Jean Paul und Max Dauthendey mit ihrem Witz, ihrer Liebe zum Kleinen und zu Franken nennt er explizit als Vorbilder, aber auch Hölderlin lebt in Schnacks hymnischem Gestus fort und Eichendorff mischt sich mit Posthornklängen im Tal oder Versen wie "Ein Brunnen rauscht sein Dorfgedicht" hinein. Die Unbekümmertheit eines Taugenichts befällt manchmal seine Formulierungs- oder Reimlust zu heftig, die dann kraftlos, bieder, ganz selten sogar männlich-dümmlich wirken kann oder auch faul, wenn er "Jack"auf "Lack" reimt, "Latein"auf "Teufeleien","sein" auf "Port of Spain", "Singapore" auf "Ohre"; als Franke, der kein "hartes t" sprechen kann, muss er allerdings "Tragöden" auf "Goethen" und "älter" auf "Wälder" reimen.

Ein Stilprinzip durchzieht die meisten seiner Texte, die Aufzählung; manche bestehen gar nur aus Listen. Ob bewusst oder unbewusst, das erinnert an "Das Kopfkissenbuch der Sei Shonagon". 1000 n. Chr. zeichnete die japanische Hofdame auf, was ihr zu den Jahreszeiten einfiel, zu den Monaten, den Neujahrstagen, sie listete "Ernüchterndes" auf, "Peinliche Überraschungen", "Was süße Erinnerungen weckt" und "Was Herzklopfen verursacht". Anton Schnack horcht ebenso aufmerksam in sich hinein und in die Ferne hinaus, führt auf seine Gedanken zu den Monaten in der "Kalenderkantate", reiht "Lieblingsdinge" aneinander, "Blumen und Sträucher", "Landschaften des Weins", sammelt "Geräusche, Klänge, Laute, die ich liebe" und listet auf, "Was traurig macht" und - mit fast derselben Worten wie bei Sei Shonagon - "Was Herzklopfen macht".

Anton Schnack zu lesen, macht, man darf es zugeben, kein Herzklopfen, aber es macht Spaß, es macht aufmerksam auf vergangene Lebenszusammenhänge, auf die Wunderwelt des Alltags, auf die Seele der Dinge, auf die oft vernachlässigten Fähigkeiten der Sinne wie des Sinnens und manchmal macht es die Augen nass.

Titelbild

Anton Schnack: Werke in zwei Bänden.
Herausgegeben von Hartmut Vollmer.
Elfenbein Verlag, Berlin 2004.
1081 Seiten, 59,00 EUR.
ISBN-10: 3932245539

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