Der Luxus fordert seinen Tribut

Polina Daschkowa besucht den "Club Kalaschnikow"

Von Jörg von BilavskyRSS-Newsfeed neuer Artikel von Jörg von Bilavsky

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Spätestens seit der letztjährigen Buchmesse in Frankfurt stehen Kriminalromane aus Russland beim deutschen Publikum hoch im Kurs. Bei einer lesewütigen Nation wie der russischen erreichen einige Titel eine Millionenauflage und jeder dritte auf dem dortigen Markt erscheinende Roman wird mittlerweile zur Kriminalliteratur gezählt. Während Boris Akunin das deutsche Publikum mit seinem Ermittler Fandorin auf Abenteuerreise in das zaristische Russland des 19. Jahrhunderts schickt, konfrontieren uns die beiden erfolgreichsten russischen "Ladies of Crime" Alexandra Marinina und Polina Daschkowa schonungslos mit der knallharten Realität der postsowjetischen Gesellschaft. Marinina ist promovierte Juristin und war Oberstleutnant der Miliz, Daschkowa erstellte im Auftrag der Polizeibehörden Täterprofile. Beide wissen also sehr genau, über wen und was sie schreiben.

Die in Daschkowas Romanen verhandelten Verbrechen und sozialen Missstände kennt der russische Leser entweder aus der täglichen Berichterstattung oder er begegnet ihnen auf dem Land oder in der Stadt auf Schritt und Tritt. In der fiktiven Welt des Kriminalromans geht es ähnlich brutal und ungerecht zu, aber am Ende wird der Leser mit der gerechten Bestrafung der Täter belohnt. Ganz anders als in der ernüchternden Realität. Das ausländische Publikum hingegen blickt aus sicherer Distanz auf den Moloch Moskau, in dem nicht Putin zu regieren scheint, sondern Korruption, Mord und Mafia. In Ermangelung eigener Erfahrungen liefert uns die Autorin mit ihrem 2002 auf Deutsch erschienenen Roman all diese Zutaten, die sie geschickt dosiert und kühl serviert.

Mit dem Titel ihres nun als Hörspiel vorliegenden Romans spielt sie nicht von ungefähr auf den hochdekorierten und inzwischen verarmten Ingenieur Michail Kalaschnikow an, dessen todbringende Erfindung bei bewaffneten Konflikten auch heute noch eingesetzt wird. Denn das Casino "Club Kalaschnikow" gehört zu jenen Etablissements, in denen Gewinn und Verlust nahe beieinander liegen und Hierarchien auf Gewalt und Geld basieren. Opfer dieser Welt aus Habgier und Missgunst wird schließlich der Casinobesitzer selbst, der nicht nur gefährliche Kontakte zur Halbwelt unterhalten, sondern auch zarte Bande mit der Kultur geschlossen hatte. Seine Frau, die Ballerina Katja Orlowa, hat von ihm nicht nur ein eigenes Theater geerbt, sondern auch eine Handvoll von Ex-Geliebten, die nun als Täterinnen in Frage kommen.

Obwohl sie sich von ihrem Mann schon lange entfremdet und seine Seitensprünge kaum noch wahrgenommen hat, will die moralisch standfeste Künstlerin seinen Mord auf eigene Faust aufklären. Im Gegensatz zu den einfältigen und auf schnelle Erfolge programmierten Kommissaren verlässt sie sich auf ihren Scharfsinn, mit dem sie ihre engste familiäre Umgebung sowie deren Tatmotive durchleuchtet und dadurch bald selbst in Todesgefahr gerät. Doch dank ihrer unerschrockenen Neugier muss am Ende auch der Täter, wie zuvor das Opfer, einen hohen Preis für seine unstillbare Gier nach Luxus bezahlen.

Das, was den Roman auszeichnet und von vielen Kritikern oft genug lobend hervorgehoben worden ist, geht im Hörspiel leider weitgehend verloren: Die einfühlsame minutiöse Zeichnung all ihrer Charaktere und die nie die Kolportage streifende Verarbeitung aus Boulevardblättern gewonnener Informationen. Hier und da blitzen in den Dialogen zwar sozialkritische Töne auf, wenn der um den Täter wissende Penner Boris von seiner Lebensgefährtin wegen einer leeren Flasche Wodka zur Räson gebracht wird oder die bildhübsche Stiefmutter des Ermordeten ihre zynischen Salven auf das korrupte Russland abfeuert. Doch diese Momente sind bloß die Verzierung einer Hörspielbearbeitung, in der die zahlreichen Perspektivenwechsel, Handlungsstränge und Retrospektiven der Romanvorlage in ein zu eng geschnürtes dramaturgisches Korsett gezwungen wurden. So bleiben die Protagonisten trotz ihrer hervorragenden Sprecher ebenso blass wie ihre Motivlage, die allein Auskunft über ihre Haltung zu den zentralen Antagonismen von Reichtum und Armut, Moral und Unmoral, Schuld und Sühne gegeben hätte.

Titelbild

Polina Daschkowa: Club Kalaschnikow. 2 CDs.
Der Audio Verlag, Berlin 2003.
114 Minuten, 19,90 EUR.
ISBN-10: 3898132625

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