Dreieck ohne Hintersinn

Jean-Philippe Toussaints Debütroman "Das Badezimmer" ist wiederaufgelegt

Von Maja RettigRSS-Newsfeed neuer Artikel von Maja Rettig

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Der Belgier Jean-Philippe Toussaint hat hierzulande letztes Jahr Furore gemacht, mit seinem traurig-schönen Roman vom Ende einer Liebe, "Sich lieben". Nun legt die Frankfurter Verlagsanstalt nach und seinen Debütroman wieder auf, den es zwar schon einmal auf Deutsch gab, der aber jahrelang vergriffen war. "Das Badezimmer" hatte Toussaint 1985 berühmt gemacht und das Schlagwort vom Nouveau Nouveau Roman mitgeprägt: Darunter verstand man eine neue Literatur, die die formale Strenge des Nouveau Roman spielerisch beerbte, aber nicht mehr in heiliger Ausschließlichkeit.

Herausstechend formalistisch - nämlich geometrisch - ist gleich das Motto: der Satz des Pythagoras. Die Erkenntnis, dass im rechtwinkligen Dreieck das Hypotenusenquadrat gleich der Summe der Kathetenquadrate sei, versucht der findige Leser sogleich auf die Struktur dieses Kurzromans zu übertragen - ermuntert noch dadurch, dass der mittlere Teil "Die Hypotenuse" überschrieben ist und der Roman aus nummerierten Abschnitten besteht. Aber dann geht das nicht auf, wie man es auch dreht und wendet - und da ist sie, die Nouveau-Roman-Ironie; der Leser ist aufs Glatteis geführt, die scheinbar abgezirkelte Ordnung entpuppt sich als Finte.

Denn es geht gerade darum, dass es keine Ordnung gibt. Jemand geht unter in der unsortierten Welt - beziehungsweise beginnt, sich ihr zu verweigern. Ein namenloser Ich-Erzähler zieht sich weitgehend ins Badezimmer zurück, um ein vollkommen passives Leben zu führen, das dem Stillstand so nahe wie möglich ist. Denn mitten im jungen Leben kommt ihn die Angst vorm Tode an, und jede Bewegung, so erkennt er am fallenden Regen, an einem zerfließenden Schokoladendessert, ist eine hin zum Tode. Er versucht, seiner eigenen Reglosigkeit die zerstörerischen Bewegungen im Inneren seines Körpers abzulauschen. "Aber wie sollte ich sie erfassen? Wo sie feststellen?" Nicht nur das ist unmöglich, die eigentliche Aporie besteht ja darin, dass der Stillstand im Tod selbst am vollkommensten ist.

Da kommt er also nicht raus, und das Leben an ihm und um ihn herum geht ohnehin weiter. Aber was heißt eigentlich Leben? Der fremde Blick, der diesem Verweigerer-Erzähler eigen ist, befördert die ganze Absurdität dieser Veranstaltung zutage. Während der Erzähler sich in der Badewanne einrichtet, kommen polnische Künstler, um die Küche zu streichen, schlachten stattdessen aber Tintenfische. Er und seine Freundin besuchen die Vormieter ihrer Wohnung. Er fährt unvermittelt nach Venedig, spielt dort im Hotelzimmer Dart. Er geht wegen "Nebenhöhlenerweiterung im Anfangsstadium" ins Krankenhaus und von dort aus mit seinem Arzt zum Tennis.

Nichts verbindet diese Episoden, nichts rechtfertigt sie. Nichts folgt daraus, nichts wird auf seine Relevanz hin befragt: Erzählt wird die reine Kontingenz, also das höchst realistische Alltägliche - und das ist wahnsinnig komisch. Vieles erinnert ans absurde Theater, an Beckett und Ionesco, etwa, wenn der Vormieter mit Blick auf die mitgebrachte Weinflasche diese zwar lobt, aber vorsichtig gesteht, "daß er Bordeaux nicht möge, er ziehe Burgunder vor. Ich antwortete ihm, daß ich wiederum seine Art, sich anzuziehen, nicht besonders mochte. Sein Lächeln gefror, er lief rot an." Eine Komik ist das, die aus dem mutwilligen Durchbrechen gesellschaftlicher Codes erwächst - und damit durchaus eine Gesellschaftskritik. Dem Normalen wird spielerisch die Selbstverständlichkeit entzogen.

Im deutschen Sprachraum ist dieser anfängliche Toussaint am ehesten mit Ror Wolf, dem 2002 verstorbenen Heiner Link oder dem Schweizer Bruno Steiger vergleichbar. Es ist eine Literatur des Absurden, mit allem Realismus, aller Abgründigkeit, allem Witz, die darin enthalten sind. Die Neuübersetzung von Joachim Unseld wird dem unvermittelten, ironischen, distanzierten Stil gerecht, in dem dieser mutwillig entfremdete Held berichtet. Für ihn gibt es aber Hoffnung, am Ende verlässt er das Badezimmer: "Ich müßte das Wagnis eingehen, sagte ich mit gesenktem Blick und streichelte dabei über das Email der Badewanne, das Wagnis, die Seelenruhe meines abstrakten Lebens aufs Spiel zu setzen, um. Ich beendete meinen Satz nicht."

Titelbild

Jean Philippe Toussaint: Das Badezimmer.
Übersetzt aus dem Französischen von Joachim Unseld.
Frankfurter Verlagsanstalt, Frankfurt a. M. 2004.
124 Seiten, 15,90 EUR.
ISBN-10: 3627001192

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