Wie das Buch ins Fernsehen kam

Teile einer medialen Literaturgeschichte am Beispiel der ostdeutschen Literaturverfilmungen

Von Michael GriskoRSS-Newsfeed neuer Artikel von Michael Grisko

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Im letzten Satz wünschen sich die Berliner Autoren Thomas Beutelschmidt und Henning Wrage, dass das vorliegende Buch ein "Arbeitsmittel" und "Vehikel" zum Weitermachen werde, sie selbst haben - dies lässt sich vorweg sagen - auf den knapp 230 vorhergehenden Seiten alles getan, damit sich dieser Wunsch erfüllt: Das Buch wird sicherlich zur Grundlage aller weiteren Beschäftigung mit dem Themenkomplex Fernsehen und Literatur in der DDR werden.

Vor allem der breite Ansatz, alle Spielarten der Verbindung von Literatur und Fernsehen zum Thema zu machen, ist begrüßenswert und stringent durchgehalten. Die Autoren verstehen "Literaturverfilmungen als Interdependenzphänomen zweier kultureller Subsysteme der DDR, der Literatur und des Fernsehens." So wird das Buch nicht zu einer 'Monografie' im strengeren Sinne, sondern zum ergänzenden Nachschlagewerk jeder Literaturgeschichte der DDR wie auch zum ersten Baustein der Rekonstruktion eines zentralen Programmelements im Fernsehen der DDR. Denn zunächst einmal verzichtet der Band auf thematische und ästhetische Einzelanalysen und kartografiert das Feld im Grenzbereich von Fernsehen und Literatur. Durch das Register auch gezielt als Nachschlagewerk einsetzbar, basieren die Beschreibungen und Analysen der sechs Felder auf detaillierten und ausgiebig belegten Aktenstudien. Diese Feldbeschreibungen sollen in naher Zukunft sowohl ein lexikalisch orientierter Sendedatenband als auch exemplarische Einzelstudien folgen.

Im Einzelnen widmen sich die Kapitel nach einer Klärung der "Relevanz des Themas" der "Literatur in der DDR", bevor im dritten Kapitel eine definitorische Annäherung an literarische Adaptions- und Präsentationsformen erfolgt, die über die Entwicklung der Bedeutung von Fernsehdramatik und Literaturverfilmungen im Gesamtprogramm zur Zusammenarbeit der Autoren mit dem Fernsehen kommt. Im sechsten und letzten Kapitel wird dem Leser eine statistische Auswertung des bislang erfassten Materialkorpus angeboten.

Deutlich wird, dass in dem "Leseland DDR" auch die Literatur im Fernsehen - jedenfalls bis zur Programmreform 1984/84 - eine herausragende Rolle einnahm. Diese Besonderheiten werden nicht nur in den unterschiedlichsten institutionellen Entwicklungen innerhalb des DDR-Fernsehens deutlich, die die Autoren ebenso nachzeichnen wie die Ausprägung unterschiedlichster Formate und Sendeformen mit Literaturanteilen. Dies reicht vom klassischen Fernsehspiel über die zu allen Zeiten wichtige Theateradaption bis hin zu literarischen Dokumentarsendungen, wobei sich die weiteren Ausführungen stets auf die Fernsehspiele nach literarischen Vorlagen beziehen. Hilfreich sind auch die vielen Beispiele und zahlreichen Archivverweise, die viele Pfade für die kommende Forschungsarbeit eröffnen.

Spannend und mit Gewinn zu lesen ist zudem der Abschnitt über die Zusammenarbeit mit den Autoren, der ein wichtiges Teilkapitel der ostdeutschen Literaturgeschichte mitschreibt. Hohe Gagen animierten zwar einerseits Gegenwartsautoren "gebrauchsorientiert" und "multimedial" zu schreiben, jedoch gab es auch harte Kritiker wie Peter Hacks, der 1973 schrieb: "Das sogenannte Fernsehen ist gar keine Kunst, sondern eine Kiste, in welche man die richtigen Künste mit Frechheit hineinzwingen kann." Deutlich wird, dass viele Faktoren - u. a. auch das Wechselspiel zwischen dem Autorenselbstbild und den neuen 'kollektiv organisierten' Arbeitsbedingungen - beim Fernsehen ausschlaggebend für die Bereitschaft oder Ablehnung der Autoren wurden.

Im letzten Teil kommt schließlich auch noch der grafik-orientierte Statistiker zu seinem Genuss. Nach dem im Vorfeld sorgfältig abgesteckten Terrain zwischen Literatur, Kanon, Kulturpolitik, institutionellen Dynamiken, persönlichen Vorlieben, pragmatischen Erwägungen und geschichtlichen Entwicklungen, werden nun die nackten Tatsachen und trockenen Zahlen aufbereitet: zwischen dramatischen und epischen Vorlagen unterschieden, nach Gegenwartsautoren und literarischem Erbe gefragt, nach Zeiten und Perioden differenziert, kurz - erstmals wird eine ebenso reflektierte wie solide Materialgrundlage entwickelt, die auch Pläne und Verwerfungen als Teil einer virtuellen Programmgeschichte inkludiert. Auch wenn quantitativ orientierte Sachverhalte nachgerade dazu herausfordern, visualisiert zu werden, und auch die medienwissenschaftlich orientierte Germanistik damit eine Form der Modernität beweist, werden die abgedruckten Statistiken doch als Folge ihrer Konzeption und Anlage, aber auch des Abdrucks zur kaum lesbaren und noch weniger verwertbaren Hilfe - die 'bloße' schriftliche Analyse wäre hier vollkommen ausreichend gewesen.

Allzu vorsichtig sind leider die angelegten Periodisierungen in den einzelnen Feldern. Sie rekurrieren zwar vielfach auf Parteitagsbeschlüsse und die Konsequenzen, die sich aus den für die Film- und Fernsehschaffenden zentralen Konferenzen ergeben haben, doch hätte man sich als Leser eine offensivere Anlehnung an oder Abgrenzung von bereits vorhandenen programmgeschichtlichen 'Epochenbildungen' oder den im Rahmen des Projektverbundes erarbeiteten 'Inselmodellen' gewünscht. Hier schlägt die sonst so wohltuende Zurückhaltung in der Einordnung und Bewertung in das Gegenteil um. Dies sei jedoch lediglich als vorsichtige Kritik an einem sonst unentbehrlichen Projekt gelesen, das durch die akribische und systematische Grundlagenarbeit eine wichtige Basis für zukünftige Bewertungen und Analysen liefert.

In diesem Sinne ist das Buch auch ein pars pro toto für eine Vielzahl weiterer Publikationen, die im Rahmen des Forschungsverbundes zur DDR-Fernsehgeschichte (www.ddr-fernsehen.de) entstanden sind. Eine blaue Leipziger Schriftenreihe veröffentlicht die Arbeitsergebnisse der Gruppe, die sich unter anderem mit dem Sport, dem Kinderfernsehen, dokumentarischen Formen, Familienserien und eben auch mit dem Genre der Literaturverfilmung befassen - und das immer im kontrastiven Dialog mit den Entwicklungen in Westdeutschland.

Viele der Veröffentlichungen belegen, wie zentral eine ebenso grundsätzliche wie historisch fundierte Analyse der vorliegenden Archivmaterialien nicht nur für eine Mediengeschichte der DDR, sondern auch für eine Neubewertung der Kulturgeschichte beider deutscher Staaten ist. Dies gilt ebenso für die vielen bibliografischen und programmstatistischen Aufarbeitungen und nicht zuletzt für die somit neu validierten Einzelanalysen, die objektivere und in Vielem veränderte Bewertungen ermöglichen. Kurz: Es sei ihnen eine weite Verbreitung gewünscht.

Titelbild

Henning Wrage / Thomas Beutelschmidt: Das Buch zum Film - der Film zum Buch. Annäherung an den literarischen Kanon im DDR-Fernsehen.
Unter Mitarbeit von Kristian Kißling und Susanne Liermann.
Leipziger Universitätsverlag, Leipzig 2004.
248 Seiten, 24,00 EUR.
ISBN-10: 3937209190

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