Weltbürger, kein Untertan

Gut gerüstet ins Schiller-Jahr 2005: Gleich fünf neue Biografien laden dazu ein, uns mit dem 1805 verstorbenen Genie zu befassen

Von Ursula HomannRSS-Newsfeed neuer Artikel von Ursula Homann

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Eine der ersten Schiller-Biografien schrieb noch zu Goethes Lebzeiten der englische Schriftsteller Thomas Carlyle. Der Weimarer Dichterfürst hat sie positiv bewertet, da sie, seiner Meinung nach, "eine genügende Einsicht in den Charakter und das hohe Verdienst dieses Mannes verschafft, so klar und so gehörig, als es kaum aus der Ferne zu erwarten gewesen." Seitdem wurde Schillers Leben oft beschrieben, sein Werk unterschiedlich gedeutet und mitunter fatal popularisiert. Nicht selten wurde der Dichter mit pathetischen Worten gefeiert und als nationales Fanal missbraucht - im Kaiserreich und unter den Nazis. In den vergangenen Jahrzehnten entstanden freilich kaum noch bedeutende Schiller-Biografien, vielleicht, weil durch neuere Forschungen zu viel Gegensätzliches das Bild Schillers zwar differenziert, doch auch äußerst widerspruchsvoll gemacht hat. Erst vor einigen Jahren wurde wieder eine Schiller-Biografie veröffentlicht, diesmal zweibändig und äußerst gelehrt vom Germanisten Peter-André Alt. Sie fand allerdings ein zwiespältiges Echo. Mittlerweile ist das Schiller-Jahr 2005 angebrochen, das seine Schatten in Gestalt zahlreicher neuer Schiller-Bücher vorausgeworfen hat.

Die Berliner Schriftstellerin Sigrid Damm, ausgewiesene Kennerin der Weimarer Klassik, konzentriert sich ganz auf den Menschen und das Leben von Friedrich Schiller. Nicht so sehr seine Werke, sondern vor allem die Umstände und Bedingungen ihrer Entstehung sind für sie von Belang. Um die zu erfahren, bedurfte es eines eifrigen und fleißigen Quellenstudiums, das sich zweifellos gelohnt hat, wie man schnell feststellt, denn die Autorin hat viel Interessantes und nicht nur sattsam Bekanntes zutage gefördert.

Schillers Laufbahn als Dichter begann 1782 mit der Aufsehen erregenden Uraufführung seines Dramas "Die Räuber", die den einundzwanzigjährigen Schiller mit einem Schlag weltberühmt machte. Wie zehn Jahre zuvor Goethes "Die Leiden des jungen Werther" avancieren "Die Räuber" zum Kultstück einer jungen Generation. Entscheidend wird für Schiller die Begegnung mit der verheirateten Charlotte von Kalb, die für Schiller eine ähnliche Bedeutung bekommt wie Charlotte von Stein für den jungen Goethe. Im Juli 1787 kommt Schiller nach Weimar und ist bald darauf gezwungen, aus finanziellen Gründen seine Arbeit als Dramatiker aufzugeben und sich der Historie zuzuwenden.

"Man stelle sich vor", gibt die Autorin zu bedenken, "der Weimarer Musenhof, Herzog Carl August, hätte Schiller nach seiner Ankunft in der Stadt im Sommer 1787 ein Jahresgehalt - sagen wir - von 800 Talern ausgesetzt, Schillers künstlerischer Weg wäre anders verlaufen."

Ausführlich geht die Autorin auf Schillers Existenzbedingungen - um nicht zu sagen: Existenznöte - ein, auf seine oft verzweifelte finanzielle Lage. Schulden, Vorschüsse, Sonderzuwendungen, Darlehen all die Jahre hindurch werden exakt aufgelistet. Auch gesundheitliche Zusammenbrüche, Fieberanfälle, Schnupfen, Wetterfühligkeit, Unpässlichkeiten, Trinkkuren, verschiedene Krankenlager sowie Depressionen und Schreibkrisen werden haargenau registriert. Nebenbei erzählt Damm von ihren eigenen Besuchen der Schiller'schen Wohnstätten und ihren Leseeindrücken seiner Werke. Hin und wieder nähert sie sich dem Dichter mit gegenwartsbezogenen Fragen sowie dem Wissen von heute und zieht Parallelen zur damaligen Zeit.

Dann wieder wird aus Briefen von Schiller, der seit 1790 mit Charlotte von Lengefeld verheiratet war, zitiert, in denen er sich als liebevoller, besorgter und zugleich heiterer Vater erweist. Die Männerfreundschaften des Dichters, die er in seiner Ode "An die Freude" beschworen hat, kommen gleichfalls nicht zu kurz, weder Schillers lebenslange Freundschaft zu Christian Gottfried Körner noch seine Freundschaft mit Wilhelm von Humboldt. Der 20. Juli 1794 gilt gemeinhin als Geburtsstunde der Freundschaft zwischen Schiller und Goethe. Sigrid Damm schildert deren Zustandekommen und Verlauf mit viel Liebe und Anteilnahme, ohne indessen Tiefpunkte und kleine Unstimmigkeiten zu verschweigen. Wieder interessiert sie auch hier in erster Linie der Alltag, die kleinen Gesten der Zuneigung, des Einverständnisses, auch von Seiten Goethes, der sich nicht selten wie ein zärtlicher Liebhaber um den kranken Freund sorgt. Im Oktober 1795 erlebt Schiller Goethes Schmerzen um den Tod des vierten Kindes unmittelbar mit, Schmerzen, von denen Schiller und seine Frau verschont geblieben sind.

Wenige Wochen nach Schillers Tod - er stirbt am 9. Mai 1805 und wird am 12. Mai auf dem Jakobsfriedhof zu Grabe getragen - klagt Goethe, er habe durch den Verlust des Freundes "die Hälfte seines Daseins verloren."

Der durch Bücher und Essays über Goethe und Grabbe bekannt gewordene Schriftsteller und Regisseur Jörg Aufenanger wendet sich mit seiner Schiller-Biografie offenkundig an Leser, die den Dichter allenfalls dem Namen nach kennen - und das dürften mittlerweile nicht einmal so wenige sein.

Die Biografie beginnt mit einem resignativen Unterton. Gleich auf den ersten Seiten erscheint Schiller als bemitleidenswerte Kreatur, als jemand, der ein in Grau getauchtes Leben geführt hat. Als er im Mai 1805 starb, "hatte er gerade einmal fünfundvierzig Jahre hinter sich gebracht", bemerkt Aufenanger, "in denen er zum Leben kaum hatte kommen können und ein Lebensziel nicht gefunden zu haben glaubte." Der "arme" Schiller - so hat ihn Nietzsche einmal genannt - habe die Gewissheit eines kurzen Lebens mit der Unfähigkeit, es zu genießen, bezahlt, meint Aufenanger und führt Schillers angebliche Unfähigkeit zum Glücklichsein auf seine pietistische Erziehung zurück. Doch lasse sich niemand von diesem düsteren Anfang abschrecken, nicht nur, weil es auch in Schillers Leben Glücksmomente gegeben hat, sondern auch weil sich im Laufe der Lektüre das Bild von Schiller allmählich aufhellt. Man erlebt die einzelnen Stationen seines Lebens, das Entstehen seiner Werke, insbesondere das seiner Dramen, wie auch die Gespräche und Begegnungen Schillers mit seinen Freunden hautnah mit, nicht zuletzt deshalb, weil der Autor häufig ein reportagehaft vergegenwärtigendes Präsenz bevorzugt.

Im Gegensatz zu Sigrid Damm, die die Stationen von Schillers Kindheit nur in großen Zügen wiedergibt, werden diese von Aufenanger minutiös beschrieben. Während Damm sich oft in Vermutungen und eigenen Vorstellungen ergeht und manches nur diskret andeutet, wird von Aufenanger alles chronologisch erzählt und mitunter breit ausgemalt. Zudem hat auch er interessante Einzelheiten ausgegraben. Obgleich einiges an der Oberfläche bleibt, liest sich die Biografie insgesamt recht spannend und fesselnd.

Von Schillers Schulden und finanziellen Nöten ist in diesem Band ebenfalls häufig die Rede. Natürlich schenkt Aufenanger auch Schillers Freundschaft mit Goethe große Aufmerksamkeit und bringt den Gegensatz zwischen den beiden sich zunächst "beäugenden Raubkatzen" wie folgt auf den Punkt: Schiller schöpft aus der Idee einer Welt, Goethe aus ihrer Beobachtung. Für Goethe war Leben Dichtung und Dichtung das Leben, für Schiller war Dichtung Arbeit und verhinderte Leben.

Der Verfasser beschreibt ihre Unternehmungen, wie etwa das gemeinsame Verfassen der "Xenien", in denen sie einzelne Personen ihrer Umwelt aufs Korn genommen und Kritik an Zeiterscheinungen geübt haben und die ihnen die Bezeichnung "Sudelköche von Jena und Weimar" eingebracht hat.

Auch Aufenanger, der sich gelegentlich eines burschikosen, fast schnoddrigen Tonfalls bedient, bezeichnet die Freundschaft der beiden Dichter als "Glücksfall in der deutschen Literatur". Dennoch betrachtet er diesen "Glücksfall" mit leiser Skepsis und behauptet, für Goethe sei der tote Schiller im Grunde der bessere Schiller gewesen.

Aufenanger erzählt nicht nur anschaulich Schillers Leben mit all seinen Höhen und Tiefen, er fügt auch Zitate und Gedichte ein und gibt - und das wiederum macht diese Biografie für jene, die Friedrich Schiller erst einmal kennen lernen möchten, so lesenswert - den Inhalt der Schiller'schen Dramen detailliert wieder und kommentiert sie kurz.

Die reich bebilderte Schiller-Biografie von Marie Haller-Nevermann besticht durch souveräne Darstellung, durch neue aktuelle Perspektiven sowie durch eine reizvolle und originelle Gliederung des Stoffes. Denn zwischen den Kapiteln, in denen die promovierte Germanistin und Romanistin die Stationen von Schillers Leben Revue passieren lässt, sind verschiedene Porträts eingefügt: über Schiller als Dichterarzt und scharfsinnigen Psychologen, über seine Freundschaften, über Schiller als Theaterdichter und Publizisten sowie über "Schiller und die Musik". Dadurch ergeben sich bisweilen Wiederholungen und Überschneidungen, die jedoch kaum ins Gewicht fallen.

Die Autorin beleuchtet Schillers Werdegang und sein Werk vor dem Hintergrund seiner Zeit und sieht in seinem von Anfang an labilen Gesundheitszustand die Tragik seines Lebens. Sie betont nicht nur seine Doppelbegabung als Dichter und Denker, sie hebt auch seine ärztliche Ausbildung hervor und seine medizinisch-psychologischen Erfahrungen, die in seine dichterische Arbeit mit eingeflossen sind. Obwohl zu seiner Zeit psychosoziale Faktoren kaum Beachtung fanden, entwickelte Schiller - die Verfasserin nennt ihn einen "Seelenforscher und Menschenkenner" - eine psychosomatische Orientierung, die vom ganzen Menschen ausgeht.

Sachkundig und gründlich analysiert Haller-Nevermann Inhalt und Wirkung der Schiller'schen Dramen. Sie weist nach, wo Schillers ärztlicher Blick auf seine Figuren erkennbar wird, und meint, dass deren innere Abgründe, die der Dichter mit großem Scharfsinn bloßgelegt habe, ihm selbst nicht fremd gewesen seien und dass manche seiner Annahmen bereits die Theorie des Unbewussten von Sigmund Freud vorwegnähmen.

Ferner geht aus diesem Buch deutlich hervor, dass Schillers Perspektive eine europäische gewesen ist und dass der große "Nationaldichter", als den man ihn lange gesehen und verehrt hat, seine Themen in der italienischen, spanischen, englischen, französischen, russischen und Schweizer Historie fand, kaum aber in der deutschen Geschichte. Schiller war ein "Dramatiker der Weltgeschichte", der selbst einmal frohgemut verkündet hat: "Ich schreibe als Weltbürger, der keinem Fürsten dient."

Über die Würde des Menschen wiederum urteilte er, laut Haller-Nevermann, ganz realistisch, fast wie Brecht, als er schrieb: "Würde des Menschen. Nichts mehr davon, ich bitt euch. Zu essen gebt ihm, zu wohnen. Habt Ihr die Blöße bedeckt, gibt sich die Würde von selbst." Schiller betrachtete die Würde des Menschen mithin nicht als entrücktes Ideal, sondern abhängig von den Grenzen, die die Realität setzt. Schließlich hatte er selbst materielle Not am eigenen Leib erfahren, als dass er sich blind hehren Idealen hätte verschreiben können. Bereits 1791 hatte er an den dänischen Prinzen von Augustenburg geschrieben: "Der Mensch ist noch sehr wenig, wenn er warm wohnt und satt gegessen hat. Aber er muss warm wohnen und satt zu essen haben, wenn sich die bessere Natur in ihm regen soll." Hier zeigt sich Schiller ganz als Aufklärer, der Realist und Idealist in einem ist.

Schillers Freundschaft mit Goethe, seine Ehe mit Lotte, der Dichter in seiner Rolle als Vater - das alles wird in einem freundlichen milden Licht gesehen. Querelen mit dem Herzog von Weimar, wie Sigrid Damm sie erwähnt, kommen dabei nicht zur Sprache.

Sorgfältig und weit ausholend skizziert Haller-Nevermann auch Schillers Wirkungs- und Rezeptionsgeschichte, an die sich ein Nachwort von Walter Müller-Seidel anschließt, in dem der Dichter als vielfältiger Wegbereiter späterer Entwicklungen porträtiert wird, die erst heute ihre Wirkungen entfalten.

Wer Rüdiger Safranskis Biografien über E. T. A. Hoffmann, Arthur Schopenhauer, Martin Heidegger und Friedrich Nietzsche kennt sowie seine philosophischen Essays über die Wahrheit und das Böse, erwartet sicher auch von seinem Schiller-Buch ein großes Leseabenteuer. Diese Erwartung - das sei hier gleich vorausgeschickt - wird nicht enttäuscht.

Faktenreich, prägnant und verständlich beschreibt Safranski Schillers Leben und lotet das Umfeld seines Protagonisten präzise aus, wobei er seine Darstellungen immer wieder durch komplexe philosophische Gedankengänge und geistreiche Exkurse ergänzt, die ebenfalls flüssig und nie langatmig oder gar langweilig zu lesen sind. Wenn er beispielsweise erzählt, wie Schillers Lehrer Jakob Friedrich Abel seinem Schüler Shakespeare nahe gebracht und ihn für die Philosophie eingenommen hat, dann erhält der Leser bei dieser Gelegenheit gleich eine Einführung in die Popularphilosophie jener Zeit, um zu verstehen, in welche spannungsreichen und gegensätzlichen Denkströmungen Schiller hineingezogen wurde.

Alle großen Persönlichkeiten, denen Schiller im Laufe seines Lebens begegnet ist, werden hier vorgestellt und eingehend gewürdigt: Herder, Novalis, Hölderlin, Schelling, die Brüder Schlegel, Hegel, Tieck, Brentano, Wieland, Rousseau, Klopstock, nicht zu vergessen Goethe und viele andere. Letztlich habe Schiller, so Safranski, eine ganze Epoche in Schwung gebracht. Sogar Goethe habe sich von seinem Enthusiasmus anstecken lassen. Außerdem sei Schiller ein großer Anreger der Philosophie und an epochalen philosophischen Ereignissen zwischen Kant und Hegel beteiligt gewesen. Er wirkte mit bei der Erfindung des Idealismus und wurde zusammen mit Goethe zum Zentralgestirn des deutschen Geisteslebens. Wie das alles kam, erzählt Safranski genau, mit langem Atem und überaus packend. Mitunter gerät er fast ins Schwärmen, aber jenseits aller früheren Beweihräucherei und Harmonisierungssucht. Mit Schiller gelangt man, so Safranski, "in das unvergessliche goldene Zeitalter des deutschen Geistes. Es sind Wunderjahre, die einem helfen, den Sinn für die wirklich wichtigen, für die geistvollen Dinge des Lebens zu bewahren."

Unter vier Aspekten, dem medizinischen, philosophischen, literarischen und wirkungsästhetischen, wird das dramatische Debüt Schillers erläutert. Denn mit seinen "Räubern" war Schiller zum führenden Dramatiker des Sturm und Drang geworden. Zum bedeutendsten Geschichtsschreiber wurde er durch seine großen historischen Werke und mit dem Aufsatz "Über Anmut und Würde" zum wichtigsten Kunstphilosophen in Deutschland. Ein Jahrhundert vor Nietzsche betätigte sich Schiller als "Arzt der Kultur". Auch trieb ihn die Frage um: Wie können Menschen eine äußere Freiheit errichten, wenn sie innerlich noch unfrei sind?

Nachdem Friedrich Schiller gestorben war, war der Obduktionsbefund so verheerend, dass der Obduktionsarzt sich wunderte, "wie der arme Mann so lange hat leben können." Offensichtlich wurde der Dichter durch einen schöpferischen Enthusiasmus über das Verfallsdatum seines Körpers hinaus am Leben gehalten, vermutet Safranski und liest aus dem Obduktionsbefund, mit dem der Band übrigens beginnt, die erste Definition von Schillers Optimismus ab: Idealismus ist, wenn man mit der Kraft der Begeisterung länger lebt, als der Körper erlaubt. "Es ist der Triumph eines erleuchteten, eines hellen Willens." Bei Schiller war der Wille das Organ der Freiheit. Wichtig war für ihn dabei immer der schöpferische Aspekt der Freiheit. Laut Safranski hat Schiller das Abenteuer der Freiheit so radikal wie später Sartre begriffen.

Rüdiger Safranski ist mit seiner Schiller-Biografie, die Verstand und Gefühl gleicherweise anspricht und viele überraschende Einsichten und Entdeckungen bietet, fraglos ein großer Wurf gelungen. Sie regt an, sich mit Schiller näher zu befassen - erneut oder zum ersten Mal, je nachdem. Aber auch Safranskis Werk selbst lädt ein zum Wiederlesen und Nachschlagen, ist es doch eine wahre Fundgrube, die man so schnell nicht ausschöpft.

In den bisher vorgestellten Biografien wird Schillers Beziehung zum Schwesternpaar Charlotte und Karoline Lengefeld fair und verständnisvoll gezeichnet. Eva Gesine Baur indes hat sich die Aufgabe gestellt, Charlotte Schiller, geborene Lengefeld, von dem Schattendasein und dem Geruch einer perfekten Ehefrau zu befreien, zu dem sie, nicht zuletzt durch ihre eigene Schwester Karoline, bis heute verurteilt worden sei. Allerdings hat sich die Autorin so engagiert ihrer Aufgabe unterworfen, dass man im Laufe der Lektüre den Eindruck gewinnt, Schiller sei als Ehemann ein wahres Ekelpaket gewesen, rücksichtslos, egoistisch, selbstgerecht und seine Schwägerin Karoline ein cleveres, intrigantes Flittchen und leichtsinniges Luder. Lotte wird dagegen als introvertiert, aber entschieden in ihrer Meinung charakterisiert, als angepasst, doch bereit zum Widerspruch, als arglos, aber durchaus nicht einfältig, als wissensdurstig, aber auch voller Zweifel, und als keineswegs gefällige und schon gar nicht als gefallsüchtige Person, sondern als "eine kritische und selbstkritische Eigenbrötlerin." Daneben lernen wir Weimar als einen Sumpf aus Lügen, Gerüchten, Anfeindungen und Intrigen kennen. Da wird gelästert und geklatscht auf Deubel komm raus, selbst die Humboldts sind sich dafür nicht zu schade.

Am Ende fragt man sich, ob Eva Gesine Baur, wie sie es vorgehabt hat, Charlotte Schiller wirklich gerecht geworden ist, und man ist gewillt, die Frage zu bejahen. Aber im Hinblick auf Schiller und Karoline darf man gelinde Zweifel hegen. Doch diesen beiden gerecht zu werden, das hat die Autorin wohl auch nicht im Sinn gehabt.

Alle fünf Bände, so unterschiedlich sie auch akzentuiert sind, überzeugen durch Informationsreichtum, gute Lesbarkeit und solide Kenntnisse ihrer Verfasser über Schillers Leben und Werk. Wohlan, das Schillerjahr 2005 kann beginnen. Ob uns mit ihm auch eine Schiller-Renaissance ins Haus steht, bleibt abzuwarten.

Der Beitrag erschien zuerst am 22. 9. 2004 in der "Frankfurter Rundschau". Wir danken der Autorin für die Publikationsgenehmigung.

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Eva Gesine Baur: "Mein Geschöpf musst du sein". Das Leben der Charlotte Schiller.
Hoffmann und Campe Verlag, Hamburg 2004.
430 Seiten, 24,95 EUR.
ISBN-10: 3455094589

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Sigrid Damm: Das Leben des Friedrich Schiller. Eine Wanderung.
Insel Verlag, Frankfurt a. M. 2004.
500 Seiten, 24,90 EUR.
ISBN-10: 3458172203

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Jörg Aufenanger: Friedrich Schiller. Biographie.
Artemis & Winkler Verlag, Düsseldorf 2004.
325 Seiten, 24,90 EUR.
ISBN-10: 353807190X

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Marie Haller-Nevermann: Friedrich Schiller. Ich kann nicht Fürstendiener sein. Eine Biographie.
Aufbau Verlag, Berlin 2004.
303 Seiten, 24,90 EUR.
ISBN-10: 3351030185

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Rüdiger Safranski: Friedrich Schiller oder Die Erfindung des Deutschen Idealismus.
Carl Hanser Verlag, München 2004.
576 Seiten, 25,90 EUR.
ISBN-10: 3446205489

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