"Wo steht der Künstler momentan? Irgendwo wohl, oder, klar."

Zu Uwe Japps Überblick über "Das deutsche Künstlerdrama. Von der Aufklärung bis zur Gegenwart"

Von Nina BirknerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Nina Birkner

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Die Frage, was ein Kunstwerk auszeichnet und was einen Künstler definiert, wird von Theatertexten seit der Aufklärung immer wieder thematisiert, so auch in dem eingangs zitierten Theatertext "Jeff Koons" von Rainald Goetz. Diese Permanenz der Reflexion ist zum einen die Folge kontinuierlicher Historisierung und damit Darstellung sich wandelnder Problemstellungen, zum anderen sind die tatsächlich oder vermeintlich innovativen Drameninhalte und dramaturgischen Konzepte, die eine Umwertung traditioneller Werte und Normen für sich beanspruchen, Konsequenz einer Selbstpositionierung des Autors auf dem literarischen Markt. Der Autor unterliegt dem Diktat der Innovation, wie Boris Groys in seiner Untersuchung "Über das Neue" 1992 darlegte, und versucht, in Abgrenzung zu anerkannten Positionen, auf sich aufmerksam zu machen und sich durchzusetzen.

Uwe Japp, Professor für Neuere Deutsche und Allgemeine Literaturwissenschaft an der Universität Karlsruhe, hat sich die Analyse dieses Problemfeldes zur Aufgabe gemacht. Mit zwanzig ausgewählten Interpretationen zu Theatertexten aus der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts bis zur Gegenwart liefert er einen "theoriegeleiteten Überblick". Drei Fragestellungen sollen, laut Japp, im Zentrum der Analyse stehen: "Erstens die individuellen Deutungen des Künstlerproblems, zweitens die unterschiedlichen Maßnahmen der dramatischen Realisierung, drittens die Sinnakkumulation, die sich daraus ergibt, daß die jeweiligen Künstlerdramen nicht nur als solche, sondern auch in Beziehung zueinander gesehen und gedacht werden".

Schon in der Einleitung stößt Japp jedoch durch seine historisch überholte Definition des 'Künstlers' auf Grenzen. Der Künstler als "schöpferischer Protagonist" sei, so Japp, "ähnlich wie im Leben [...] mit einer Aura des Exzeptionellen ausgestattet, als deren tieferer Grund die unberechenbare Gabe des Talents erscheint". Das konfliktträchtige Talent, so führt er aus, habe der Künstler im Drama entweder einer göttlichen Macht, den Musen, oder einer Naturgabe im Kant'schen Sinne zu verdanken. Japp orientiert sich mit seiner Definition an der Entstehungsgeschichte des Künstlerdramas. Die Relativierung von Laufbahnmustern, höfischen Zwängen und bürgerlicher Funktionalisierung korreliert seit dem Sturm und Drang mit einem Wandel des Künstlerbildes. Von einem kompetenten Warenproduzent, dem Kunsthandwerker, avanciert der Künstler, so Japp, zu einem genialen Schöpfer von Kunstwerken und ist durch seine besondere Begabung gleichzeitig privilegiertes Medium der Weltaneignung. Damit interessiert er als Mittelpunkt dramatischer Handlungen und rückt ins poetologische und poetische Blickfeld.

Die von Japp vorgenommene traditionelle Unterscheidung zwischen Warenproduzent und talentiertem Schöpfer ist heute fragwürdig. Seit Marcel Duchamps "Urinoir", der 'Alltagskunst', wissen wir um die scheinbare Identität von Ware und Kunstwerk. Jede Ware kann als Kunstwerk erlebt, anerkannt und ausgestellt werden. Alles ist eine Frage der eingenommenen Perspektive. Vor diesem Hintergrund der intermedialen Ästhetisierung der Welt bewegen sich heute Kunstschaffende und Kunstbetrachter wie Boris Groys in seiner "Topologie der Kunst" 2003 ausgeführt hat.

Wenn ein Blick genügt, um eine Ware in ein Kunstwerk zu verwandeln, erhöht sich die Anzahl der Kunstwerke potenziell ad infinitum. Das wird durch die Verbreitung technischer Massenmedien unterstützt. Das Internet und der globalisierte Kunstmarkt lassen jede Art von Kunstwerk weltweit visuell zirkulieren. Walter Benjamin stellte bereits 1935 in seinem Essay "Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit" fest, dass die Vervielfältigungs- und Transportmöglichkeiten zu einer Entwertung des Kunstwerks führen, weil dieses seine kostbare Einmaligkeit verliert. An die Stelle der Aura rückt sein Warencharakter. Vor diesem Hintergrund wird die traditionelle Vorstellung vom Künstler obsolet, zumal die Kunsttheorie keine legitimierende oder normierende Funktion mehr besitzt und so die Beurteilungskriterien für das, was Kunst oder ein Künstler sein könnte, fehlen. Offenbar kann heute jeder eine Künstlerexistenz für sich beanspruchen, der in der Lage ist, auf den Auslöser eines Fotoapparats zu drücken oder ein paar Worte aufs Papier zu bringen, wenn er die Definitionsmacht der Kunstkritik auf seiner Seite weiß.

Mit der Frage nach den Möglichkeiten und Schwierigkeiten, sich auf diesem unberechenbaren Kunstmarkt als Künstler zu etablieren und dauerhaft zu behaupten, beschäftigen sich Theaterautoren seit geraumer Zeit, so Wolfgang Bauer mit seinem Theatertext "Change", Albert Ostermaier mit "Making Of. B.-Movie" oder Falk Richter mit "Gott ist ein DJ". Indem Japp auf das traditionelle Verständnis von Kunst und Künstler fixiert ist, müssen ihm die Problemstellungen zeitgenössischer Künstlerdramen aus dem Blickfeld geraten. Es ist auffällig, dass Japp in seinen Einzelinterpretationen nur Theatertexte analysiert, die sich seinem obsoleten Künstlerbild nicht widersetzen.

Dieses Defizit wird an dem jüngsten von ihm gewählten Künstlerdrama, Thomas Bernhards "Über allen Wipfeln ist Ruh", deutlich. Japp geht nur marginal auf "das individuelle Künstlerproblem" dieses konfliktarmen Theatertextes ein. Das idealistische Kunstverständnis, die Eigenvermarktung des Schriftstellers Moritz Meister durch seine Selbstinszenierung zum genialischen Dichter Goethe'schen Formats sowie die Abhängigkeit von Protagonist und literarischem Markt werden nur beiläufig analysiert. Eine Modellinterpretation in diesem Sinne liefert Madeleine Rietra mit ihrem Aufsatz "Thomas Bernhards 'Über allen Gipfeln ist Ruh' - eine fröhliche Literatursatire?" in dem 1987 von Alexander von Bormann herausgegebenen Band "Sehnsuchtsangst. Zur österreichischen Literatur der Gegenwart". Im Gegensatz dazu liefert Japp keine detaillierte Einzelanalyse, die den jüngsten Forschungsstand reflektiert. Er äußert sich verallgemeinernd über das gesamte dramatische Werk Bernhards und kategorisiert die Künstlerfiguren seiner Theatertexte in produzierende (Schriftsteller, Maler u. a.) und reproduzierende (Schauspieler, Sänger u. a.) Künstler mit Sonderstellung der Artisten. Dass eine solche Einordnung den facettenreichen Künstlerbildern der Bernhard'schen Prosa- und Theatertexte nicht gerecht wird, hat Alexandra Pontzen in ihrer Dissertation "Künstler ohne Werk. Modelle negativer Produktionsästhetik in der Künstlerliteratur von Wackenroder bis Heiner Müller" 2000 gezeigt.

Ausführlicher erläutert Japp gattungstheoretische Fragen. Anstatt sich aber bei seinen komödientheoretischen Ausführungen auf aktuelle Forschungsliteratur zu beziehen, z. B. auf "Die Komödie" von Bernhard Greiner (1992), rekurriert Japp auf Otto Rommels Beitrag "Komik und Lustspieltheorie" aus der "Deutschen Vierteljahresschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte" von 1943. Ähnlich unbefriedigend ist Japps These der "Sinnakkumulation". Er erwartet einen Erkenntnisgewinn durch den Vergleich sich aufeinander beziehender Künstlerdramen und schlägt einen Bogen von Bernhard zu Goethes "Torquato Tasso". Obwohl es in Bernhards Theatertext, im Gegensatz zu Goethes Drama, keinen handlungsrelevanten Konflikt gibt, vergleicht Japp die dramatischen Ausgangssituationen. Beide Protagonisten haben soeben ein Kunstwerk vollendet und stellen sich der öffentlichen Kritik. Außerdem haben beide Künstler Reisepläne, Moritz Meister zieht es nach Knossos, Torquato Tasso nach Rom. Japp will auch eine Übereinstimmung des Personals festgestellt haben, obwohl Tasso mit der höfischen Gesellschaft Ferraras zu kämpfen hat, während sich Moritz Meister zwischen Verleger, Journalist und Doktorandin bewegt: "Freilich ist der Adressat nicht der Herzog, sondern ein Verleger. [...] Wenn wir weiterhin (vorausgesetzt, daß wir die Hausgehilfin und den Briefträger in Abzug bringen) eine ungefähre Übereinstimmung des jeweiligen Personals bemerken, so ist auch hier festzuhalten, daß die moderne Situation andere Titel erheischt". Fragwürdig ist auch, dass Japp die "Merkwürdigkeit" hervorhebt, dass Tasso den Namen der Bernhard'schen Künstlerfigur Moritz Meister im Munde führt, wenn er sagt: "Einen Herrn / Erkenn ich nur, den Herrn der mich ernährt, / Dem folg ich gern, sonst will ich keinen Meister". In wenig überzeugender Weise versucht Japp seine Thesen mit Gérard Genettes Aussage zu legitimieren, dass es "kein literarisches Werk [gibt], das nicht in einem bestimmten Maß und je nach Lektüre, an ein anderes erinnert".

Die Erwartung, dass Japps Untersuchungsprämissen auf ältere Theatertexte anwendbar sind, erweist sich ebenfalls als brüchig. Auffällig sind große Unterschiede im Interpretationsniveau. Dafür ist Japps methodischer Zugriff verantwortlich: seine Untersuchung will "den Künstlerdramen [...] folgen, um dann zu sehen, ob sich epochenspezifische Merkmale namhaft machen lassen". Die Gefahr eines solchen Vorhabens besteht darin, den Künstlerdramen eben nicht mehr "zu folgen", sondern sie nur noch im Hinblick auf ihre jeweiligen epochalen Merkmale zu lesen. Das wird in den Ausführungen zu Felix Christian Weißes "Die Poeten nach der Mode" deutlich. Japp beschränkt sich hier darauf, zwei in der Aufklärung entstandene Dichterkomödien als typisch aufklärerische Verlachkomödien und damit lediglich als Vorläufer des Künstlerdramas auszuweisen. Die Analyse von Tiecks "Sommernacht" besteht aus einer detaillierten Inhaltsangabe, die romantische Elemente in Bezug auf die dramaturgische Struktur, den Stoff, die Motive und die Talentkonzeption des dramatischen Fragments aufzählt. Auch die Interpretation von Karl Immermanns Trauerspiel "Petrarca" reduziert sich auf eine ausführliche Zusammenfassung des Inhalts, gekoppelt mit der Erläuterung formaler Merkmale, die das Drama zwischen Klassik, Romantik und Realismus ansiedeln. Ähnlich geringe Erkenntnisse bieten die erläuternden Inhaltsangaben zu Karl von Holteis jungdeutschem Melodram "Lorbeerbaum und Bettelstab" und Adam Gottlob Oehlenschlägers romantischem Drama "Corregio".

Die Dramenanalyse von Heinrich Laubes "Die Karlsschüler" besitzt hingegen ein wesentlich höheres Interpretationsniveau, weil hier inter- und intratextuelle Bezüge zu Goethes "Torquato Tasso" und "Clavigo" sowie Schillers "Don Carlos" und "Die Räuber" schlüssig herausgearbeitet werden. Vor allem aber überzeugen Japps Einzelinterpretationen zu Hofmannsthals Einakter "Der Tod des Tizian", Wagners "Die Meistersinger von Nürnberg", Grillparzers "Sappho", Goethes "Torquato Tasso" und "Des Künstlers Erdewallen" durch eine umfassende Dramenanalyse, wenn auch nicht in allen Fällen eine Auseinandersetzung mit neuerer Forschungsliteratur stattfindet. Man vermisst beispielsweise Werner Bauers Beitrag "Kunst des Dramas, Drama der Kunst. Zu Grillparzers 'Sappho'" (1992) oder Claude Foucarts Aufsatz "La mort du Titien. Hugo von Hofmannsthal, 'L'ecritur magiques des images'" (2003).

Japps Versuch, "die Geschichte des deutschen Dramas anders zu lesen: eben unter einem speziellen Gesichtspunkt" ist ein Desiderat. Erna Levy veröffentlichte 1929 den letzten Überblick über "Die Gestalt des Künstlers im Drama von Goethe bis Hebbel". Immerhin gelingt es Japp mit seinen Erläuterungen, viele unbekanntere Künstlerdramen wieder ins Blickfeld zu rücken. Neben dem problematischen methodischen Zugriff weisen Japps Interpretationen aber auch stilistische und formale Mängel auf. So sind einige Dramenanalysen durch unpräzise Formulierungen in sich widersprüchlich. In seiner Auseinandersetzung mit Peter Weiss' epischem Theaterstück "Hölderlin" stellt Japp beispielsweise zunächst die These auf, dass diesem "die politische Partizipation nicht [...] gelingt, da der Protagonist vorwiegend in einer leidenden [...] nicht politisch aktiv werdenden Position auftritt". Im Gegensatz dazu heißt es später, dass das "Scheitern des Umsturzes [...] nicht im mangelnden Engagement des Künstlers begründet [ist], sondern in der beharrenden Macht der Reaktion". Irritierend sind auch irrelevante Spekulationen des Autors über nicht zu konkretisierende Sachverhalte. Warum vermutet Japp in seinem Kapitel über Goethes Künstlerdramolette, dass die Rede der dort auftretenden Muse für den Goethe'schen Dichter verständlicher sei als für den Dichter im Gemälde "The distressed poet" von William Hogarth? Wozu spekuliert er über den Inhalt einer ungeschriebenen Fortsetzung von Holteis Stationendrama "Lorbeerbaum und Bettelstab"? Und wozu mutmaßt Japp, dass das seit sieben Jahren unvollendete Erlöser-Bildnis von Gerhart Hauptmanns Künstler Michael Kramer die Züge seines Sohns Arnold aufweisen könnte?

Ähnlich ärgerlich sind auch die vielen formalen Mängel. Es wird Manfred Kux sicher nicht freuen, dass er in Fußnote und Bibliografie konsequent zu 'Manfred Dux' transmutiert. Bernhard Greiners Buch "Die Komödie", auf das Japp in einer Fußnote seines Kapitels über Friedrich Dürrenmatts "Meteor" hinweist, wird gar nicht erst in das Literaturverzeichnis aufgenommen. Überraschend ist auch, dass keines (!) der elf auf die Zitierweise überprüften Kapitel ohne Fehler ist. So finden sich in einem längeren Zitat aus Goethes "Torquato Tasso" allein sechs Rechtschreibfehler, wovon einer so gravierend ist, dass er den Sinn des Zitats verfälscht: Japp setzt ein Ausrufezeichen statt des Fragezeichens!? Bei Ernst Jandls Sprechoper "Aus der Fremde" schwankt Japp zwischen Groß- und Kleinschreibung. Wenn man zur Kenntnis nimmt, dass Jandl in seinen Texten nicht nur poetisch mit Sprache, sondern auch mit dem Schriftbild experimentiert, so ist dieser lässige Umgang nicht nur störend, sondern zerstörend.

Wie lassen sich diese inhaltlichen, stilistischen und formalen Schwächen erklären? Von ihrer formalen Struktur der ausführlichen, mit Erläuterungen versehenen Inhaltsangaben erinnern Japps Einzelinterpretationen an den Stil akademischer Vorlesungen. Ein Blick in das Vorlesungsverzeichnis der Universität Karlsruhe bestätigt diese Vermutung: Japp hat im Wintersemester 1996/97 und im Sommersemester 1997 jeweils eine Vorlesung mit dem Titel "Das deutsche Künstlerdrama" gehalten. Im Wintersemester 2001/02 und im Sommersemester 2002 findet sich ebenfalls jeweils eine Vorlesung mit dem Titel "Geschichte des deutschen Künstlerdramas". Sollte Japps Überblick über das deutsche Künstlerdrama eine Zusammenstellung seiner Vorlesungen sein, die mit wenig Sorgfalt in Buchform gebracht wurde? Japps Versuch, sich der Geschichte des deutschen Künstlerdramas zu stellen, verdient Anerkennung. Ein Überblick über die Probleme und die Geschichte einer literarischen Gattung sollte jedoch mehr sein als die Zusammenstellung älterer Vorlesungsskripte. Man hätte sich einen ambitionierteren methodischen Zugriff und mehr stilistische und formale Sorgfalt gewünscht. Nach der Lektüre des Textes sollte der Leser auf die Frage: "Wo steht der Künstler momentan?" mehr als: "Irgendwo wohl, oder, klar" antworten können.

Titelbild

Uwe Japp: Das deutsche Künstlerdrama. Von der Aufklärung bis zur Gegenwart.
De Gruyter, Berlin 2004.
290 Seiten, 78,00 EUR.
ISBN-10: 3110181533

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