Wellenreiten im Beziehungsmeer

Annette Mingels' Roman "Die Liebe der Matrosen"

Von Peter MohrRSS-Newsfeed neuer Artikel von Peter Mohr

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Matrosen gelten gemeinhin als heimatlos und ungebunden, kreuzen über die tosenden Weltmeere und laufen immer wieder fremde Häfen an. So ähnlich ergeht es auch den Figuren in Annette Mingels Roman, der aus vier verschiedenen Erzählperspektiven gestörte zwischenmenschliche Beziehungen beleuchtet. Die 34-jährige Autorin, die als Literaturwissenschaftlerin und Journalistin in Zürich lebt, bedient sich ausgiebig der Seefahrer-Metaphorik. Mit "Strudel", "Grobe See", "Schiffbruch" und "Treibgut" sind die vier Kapitel überschrieben, die sich wie ein waghalsiges Wellenreiten im turbulenten Beziehungsmeer lesen.

Sylvie und Klara (zwei der Ich-Erzählerinnen) stehen kurz vor dem Schulabschluss, als bei ihnen Beziehungen über Bord gehen und die Emotionen aus dem Ruder laufen. Zwischen ihnen steht Jan, eigentlich mit der leicht naiven Klara liiert, aber auch der egoistischen Sylvie nicht abgeneigt. Aus den beiden unterschiedlichen Blickwinkeln offenbart sich eine völlig disparate Sicht der Dinge, und dies war offenkundig von Annette Mingels auch so intendiert. Nicht die unstete, ihre Partner ständig wechselnde Sylvie, sondern die biedere Klara, die ihre Freundin stets bei den Klausuren abschreiben ließ, schmeißt die Schule und beginnt überstürzt eine Ausbildung zur Speditionskauffrau. "Ich verstehe nichts, aber ich finde nicht, dass es meine Schuld ist", bemerkt Klara.

Und dann ist da noch das Malheur mit ihren Eltern. Vater Georg, der sich aus dem Fell der verstorbenen Zwergkaninchen seine Pantoffel fertigen ließ, nimmt ebenso gern und oft wie Klaras Freundin Sylvie Kurs auf fremde Häfen und betrügt regelmäßig seine Ehefrau Judith. So werden Mutter und Tochter in ihren Rollen als Betrogene zu Leidensgenossinnen. Die Mutter zieht einen Schlussstrich und verabschiedet sich in eine andere Stadt. Diese starke Frauenfigur genießt unübersehbar die größte Sympathie der Autorin, die sich schon in ihrem Romandebüt "Puppenglück" (2003) einer gescheiterten Beziehung widmete.

Annette Mingels kreist immer wieder um die Nahtstellen, an denen sich die Schicksalslinien des Quartetts kreuzen. Hin und wieder verschieben sich dadurch aber auch gedankliche Ebenen; die Figuren denken und sprechen dann allzu metaphorisch und werden total in die "Matrosen-Wasser-Meer"-Symbolik eingezwängt: "Wir weinten beide. Jeder auf seiner Seite, sie in Köln, ich in Frankfurt. Wir könnten uns gleichzeitig ertränken, dachte ich. In Rhein und Main. Würden irgendwann ins Meer gespült und wären wieder beieinander."

"Die Liebe der Matrosen" ist ein zutiefst trauriger Roman über die Unfähigkeit zur Liebe, die bisweilen an Egoismen, an fehlender Selbstkritik und verzerrter Realitätswahrnehmung scheitert. Viele kleine Gedankenbäche von vier unglücklich Liebenden sind zusammengeflossen zu einem reißenden Strom, der sich wasserfallartig in die endlose Weite des Beziehungsmeers entlädt - und kein Rettungsboot ist in Sicht. Die Individuen sind ebenso schwierig zu erklären wie deren oft verzerrte Wirklichkeitswahrnehmung. Der dänische Philosoph Sören Kierkegaard, über den Annette Mingels promoviert hat, lässt grüßen.

Titelbild

Annette Mingels: Die Liebe der Matrosen. Roman.
DuMont Buchverlag, Köln 2005.
346 Seiten, 19,90 EUR.
ISBN-10: 3832179143

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