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Der Trierer Professor Michael Jäckel führt informativ in die Konsumsoziologie ein

Von Mario Alexander WeberRSS-Newsfeed neuer Artikel von Mario Alexander Weber

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Man kann heutzutage kaum eine Zeitung aufschlagen, eine x-beliebige politische Talkshow einschalten, beim Abspülen den Nachrichten auf "B5 aktuell" zuhören, die Sachbuch-Bestsellerliste betrachten, ohne auf das Thema "Binnennachfrage" zu stoßen. Deutschland steckt in einer wirtschaftlichen Krise, das ist bekannt. Und es scheint ein deutsches Konjunkturproblem zu sein, dass hierzulande die Konsumenten nicht konsumieren, wie sie sollten. Obwohl wir in einer Erbengesellschaft leben und genug Geld auf der "hohen Kante" liegt, fließen zu wenig Euros in den Binnenmarkt. Die Deutschen sparen. Das bekommt der Volkswirtschaft nicht. "Die Binnennachfrage stärken!" wird so zu einem Schlachtruf, einer Phrase, die hilflos den Geiz aus der Geilheit (auf Produkte) auszutreiben versucht.

Seltsamerweise stellt sich kaum jemand die Frage, was "Konsum" überhaupt bedeutet. Der Konsument mag zwar durch die Marktforschung "gläsern" geworden sein, doch verstanden und berechenbar geworden ist er deswegen noch lange nicht. Und als Don Quichotte kämpft das zerfurchte politische Urgestein Heiner Geißler gegen die Windräder des Kapitalismus, dessen Protagonisten sich selten dafür interessiert haben, woher der Wind weht. Hauptsache er weht. "You don't need a weather man to know which way the wind blows", singt Bob Dylan.

Unaufgeregt kommt in den Zeiten des deutschen Superstar-Abstiegs Michael Jäckels "Einführung in die Konsumsoziologie" daher. Das Buch richtet sich neben den Lehrenden und Studierenden der Sozial- und Wirtschaftswissenschaften (eine schöne Utopie, dass BWL-Studenten dieses Buch jemals zur Hand nehmen würden) "auch an alle, die aus unterschiedlichsten Gründen im Konsumieren mehr als eine alltägliche Notwendigkeit sehen."

Michael Jäckels Einführung in die Konsumsoziologie gliedert sich in sechs Kapitel. Beginnend mit einem historischen Abriss, endend mit der Frage: "Konsum - ein berechenbares Phänomen?" Am Ende jedes Kapitels finden sich breit gefächerte Original-Textauszüge, von Denis Diderots "Gründe, meinem alten Hausrock nachzutrauern" über Karl Marx bis hin zu Joseph Schumpeter. Unter dem Vermerk "Zum Weiterlesen" werden wichtige Bücher zum Thema "Konsum" aufgelistet. Abbildungen und Kästchen - in denen beispielsweise ein Interviewauszug mit dem H & M-Aufsichtsratsvorsitzenden Stefan Persson zu finden ist - begleiten die vielen angerissenen Theorien mit aktuellen Bezügen. Trotzdem möchte das Buch, so Michael Jäckel im Vorwort, sich nicht in erster Linie mit Gegenwartsphänomen auseinandersetzen, sondern bewusst "eine historisch angelegte Vorgehensweise zur Bestimmung der Merkmale so genannter Konsumgesellschaften praktizieren." Dass jedoch alte Überlegungen zum Konsum nicht überholt und verstaubt sind, beweist die Lektüre. Der Gegenwartsbezug drängt sich förmlich auf. So wird aus dem Jahr 1962 George Katona, dem im Kapitel "Der Streit um die Bedürfnisse" die größte Aufmerksamkeit im ganzen Buch zuteil wird, zitiert:

"Die Erwartungen geringerer Einkommen und die Furcht vor Arbeitslosigkeit veranlassen die Menschen zur Einschränkung ihrer Ausgaben; die Einkommen sinken dann, weil man erwartete, daß sie sinken würden."

1898 schrieb der US-Amerikaner Thorstein Veblen seine "Theorie der feinen Leute". Mag das Buch und das darin entwickelte Gesellschaftsmodell aus heutiger Sicht zwar einige Schwächen haben bzw. stellenweise sogar anachronistisch sein, seine "Verdeutlichung der Konsequenzen des Reichtums" bleiben jedoch aktuell. Der "Trickle-down-Effekt" bezeichnet den Ausstrahlungseffekt der "feinen Leute" auf die unteren Klassen; Stichwort: demonstrativer Konsum. Das daraus entwickelte Paradox, dass bestimmte (Luxus-)Güter trotz steigender Preise unter gleichen Rahmenbedingungen eine höhere statt einer unter volkswirtschaftlichen Angebot-Nachfrage-Annahmen zu erwartenden sinkenden Nachfrage nach sich ziehen, bezeichnet man als Veblen-Effekt. Güter, deren hoher Preis erst die Begehrlichkeit weckt, sind Veblen-Güter. Der Unterschied zwischen Jetzt und der vorletzten Jahrhundertwende scheint darin zu liegen - und auch hier liefert die Einführung kompakte Beispiele - dass heute das Konsumverhalten sowohl "fein" als auch "unfein" sein kann. Sowohl das Häkelkleid von H & M, als auch eine Armbanduhr, die das Hundertfache gekostet hat: Anything goes - anscheinend.

Die angerissenen Theorien im Buch zeigen, wie sehr die Konsumforschung dem Spannungsfeld Individuum und Gesellschaft ausgesetzt ist.

Michael Jäckels "Einführung in die Konsumsoziologie" löst ein, was der Klappentext verspricht: Es bietet Grundlagenwissen. Doch zum Schluss noch zwei kleine Kritikpunkte: Warum dürfen wissenschaftliche Bücher nicht ausnahmsweise mal ein zackiges, schön gestaltetes und leicht lesbares Layout haben? Und es ist schade, dass sich das Buch nicht ordentlich aufklappen lässt. Bei der Lektüre am Schreibtisch kann das Probleme geben.

Titelbild

Michael Jäckel: Einführung in die Konsumsoziologie. Fragestellungen - Kontroversen - Beispieltexte.
VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden 2004.
292 Seiten, 24,90 EUR.
ISBN-10: 3531140124

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