Widerstand leisten hieß überleben

Interviews und Gespräche mit Primo Levi

Von Rolf LöchelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf Löchel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Im Februar 1944 wurde der 23-jährige Jude und Partisan Primo Levi nach Auschwitz verschleppt, wo er bis zur Befreiung durch die Rote Armee im Januar des folgenden Jahres zehn qualvolle Monate überstehen musste. Kaum wieder in Freiheit, legte er mit seinem ersten Buch "Ist das ein Mensch?" von der soeben durchlittenen Gefangenschaft Zeugnis ab. Sein Bericht fand zunächst wenig Beachtung. Von der 1947 erschienen ersten Auflage von 2.500 Exemplaren konnte der Verlag nur knapp 2.000 verkaufen. Erst eine Neuauflage Ende der 50er Jahre erwies sich als erfolgreicher, und noch zu Lebzeiten Levis wurden mehr als eine halbe Million Bücher verkauft. In den Jahrzehnten nach Auschwitz publizierte Levi, der, wie er sagte, ohne die Erfahrung von Auschwitz nie ein Buch geschrieben hätte, weitere Berichte, ferner Erzählungen, Essays und Gedichte.

Nun ist in deutscher Übersetzung ein Band mit "Gesprächen und Interviews" aus den Jahren 1961 bis 1987 erschienen, dem Todesjahr Levis. Gegenüber dem italienischen Original ist die deutsche Ausgabe um zwölf Interviews, also einem runden Drittel, gekürzt. Der Herausgeber hat die Gespräche nicht chronologisch geordnet, sondern thematisch unterteilt in die Rubriken "Das Leben", "Die Bücher", "Die Literatur", "Das Lager", "Das Judentum" und "Der Staat Israel". Diese Anordnung überzeugt allerdings nicht. Denn natürlich wird fast immer, wenn vom Lager die Rede ist, auch von Levis Büchern und dann auch von seinem Judentum gesprochen.

Das zentrale Thema fast aller Interviews aber ist Auschwitz. Immer wieder drehen sich die Gespräche um die gleichen Fragen und oft genug gibt Levi überraschende und unkonventionelle Antworten und Statements. So scheut er sich nicht, den Befehlsgehorsam der Nazis, den der Amerikaner im Vietnamkrieg und den der Israelis während des Angriffs 1982 auf den Libanon in einem Atemzug zu nennen, - freilich ohne sie gleichzusetzen. Und an anderer Stelle, in einem Gespräch aus dem Jahre 1986, vergleicht er das nationalsozialistische Deutschland mit der UdSSR, Lateinamerika, Indochina und dem Iran. Überhaupt betrachtet er den Terror im KZ nicht etwa als ein außergeschichtliches, von der Entwicklung der europäischen Kultur losgelöstes Ereignis. Nein, "Auschwitz ist das Produkt einer Zivilisation, der wir angehören". Auch widerspricht er der gängigen Auffassung, die Angehörigen der KZs, vom Kommandanten bis zum kleinsten Wachposten, seien "Ungeheuer" gewesen. Diese Ungeheuer gab es zwar und gibt es, wie Levi sagt, noch immer. Doch sind es "zu wenige, um wirklich gefährlich zu sein; gefährlich sind die gewöhnlichen Menschen, Beamte, bereit zu glauben und ohne Widerspruch zu gehorchen, wie Eichmann". An ebendieser Person machte Hanna Arendt ihr zu Unrecht so viel gescholtenes Theorem der "Banalität des Bösen" fest. Levis Affinität zu diesem Topos ist unübersehbar.

Einem vermeintlichen Diktum Adornos hingegen widerspricht er, indem er es konterkariert: "Nach Auschwitz kann man keine Gedichte schreiben außer über Auschwitz". Doch hat Adorno entgegen dem weit verbreiteten Irrtum, dem auch Levi und sein Interviewer unterliegen, nie behauptet, man könne nach Auschwitz keine Gedichte mehr schreiben. Was er nur sagte, war, dass es barbarisch sei.

Es liegt Levi besonders am Herzen, die diffamierende Legende richtig zu stellen, der zufolge die Juden sich wie die Schafe zur Schlachtbank hätten führen lassen. Immer wieder kommt er darauf zu sprechen und wird nicht müde zu betonen, dass es "eine - an Zahl, aber auch an Tapferkeit und moralischer Stärke - sehr viel kraftvollere jüdische Widerstandsbewegung" gegeben habe, als man gemeinhin denke. Die Behauptung, die Juden hätten sich "aus Feigheit nicht aufgelehnt", sei "absurd und beleidigend". Andererseits aber widerspricht er sicher nicht mit weniger Recht der Legende, Auschwitz sei ein "Ort des Widerstandes" gewesen. "Widerstand leisten", so Levi "hieß damals überleben".

Besonders intensiv widmet er sich der oft gestellten und nie ganz befriedigend beantworteten Frage, wie der Hass der Nazis auf die Juden zu erklären sei. Levis erste Antwort erschreckt: "Ohne Zweifel handelt es sich hier ursprünglich um etwas Zoologisches". Doch belässt er es nicht bei ihr, sondern unternimmt über mehrere Seiten hinweg weitere Antwortversuche, um schließlich zu resümieren: "Vielleicht kann man das Geschehene nicht begreifen, ja darf es nicht begreifen, weil begreifen fast schon rechtfertigen bedeutet."

Titelbild

Marco Belpoliti (Hg.): Gespräche und Interviews. Aus d. Italien. v. Joachim Meinert.
Carl Hanser Verlag, München 1999.
296 Seiten, 18,40 EUR.
ISBN-10: 3446197885

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