Das Leben ist nicht kurz genug

"Birthday Stories", Haruki Murakamis literarische Bento-Box

Von Stefan MeschRSS-Newsfeed neuer Artikel von Stefan Mesch

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Haruki Murakamis poppige Loser-Märchen haben viel vom wahren Leben. Sie beginnen mit seltsamen Vorfällen, unerwarteten Systemfehlern, kleinen und größeren Krisen. In der Mitte des Romans scheint sich der ganze Irrsinn fast zu einem logischen Ganzen zusammenzufügen. Und dann ist der richtige Punkt gekommen, Murakami wegzulegen. Denn was folgt, ist Enttäuschung, metaphysisch verbrämte Beliebigkeit: "Das war's schon? Verstehe ich nicht. Und was sollte das jetzt?". Der ideale Murakami-Roman wäre ein ewiger Anfang, verrätselt, leise und schwebend. Aufräumarbeiten gehören in den Alltag. Romane dagegen sollten enden, bevor ihre Figuren begreifen, dass ihr Lebenspuzzle keinen Sinn ergibt.

Genau deshalb ist Haruki Murakamis Anthologie "Birthday Stories" sein bisher bekömmlichstes Werk: Alle Geschichten enden kurz vor dem Aufprall, die Selbsterkenntnis wird hinter den Schlusspunkt verschoben. Und lässt sich somit beinahe verdrängen. "Birthday Stories" versammelt 12 Geschichten, deren einzige Gemeinsamkeit ist, dass jemand Geburtstag hat. Im Vorwort schildert Murakami die Entstehung des Bandes. Er habe in kurzer Folge zwei gute Geburtstags-Geschichten gelesen, ein wenig gesucht, und seine Fundstücke jetzt als "Birthday Stories" veröffentlicht. Die große Poetik fehlt, Murakamis Sammlung ist ein Querschnitt durch die Kurzprosa der Jetztzeit, nur durch das gemeinsame Leitmotiv ihrer Texte zusammengehalten. Eine hübsche Idee.

Mehr nicht? Der Leser wird zur Mustererkennungsmaschine, sucht in den Texten der größtenteils unbekannten Autoren einen größeren Zusammenhang, eine versteckte Botschaft. Er findet kleine, verknappte Momentaufnahmen, durchgängig im kargen US-Stil. Alle Texte sind szenisch, privat, spielen auf engem Raum. Nicht immer ist es die Hauptfigur, die Geburtstag hat, aber allen Figuren sitzt die Vergänglichkeit im Nacken. Der Autor mahnt, der Leser urteilt. Über eine Frau, die ihrem Mann ein Date mit zwei Prostituierten schenkt. Über eine eigensinnige Alte, die ihre vorbestellte Torte partout nicht an eine Mutter abgeben will, die in letzter Minute die Geburtstagsfeier ihres Kindes organisiert. Oder über einen Mann im mittleren Alter, der mit 20 eine Affäre mit einer verheirateten Frau hatte, und sie jetzt als Greisin in einem Restaurant wiedersieht.

Die Texte sind enttäuschend gleichförmig. Immer werden latent verkorkste Figuren vorgeführt, die für einen Moment innehalten. Nach wenigen Seiten winkt sie der Autor dann weiter in eine bittersüß-unbestimmte Zukunft. Dafür, dass "Birthday Stories" aus einem Zufall heraus entstand und vorgibt, keine größere Programmatik zu vermitteln, schwingt doch ein überraschend starker Murakami-Vibe durchs ganze Buch: Lieschen Müller erkennt die unerträgliche Leichtigkeit des Seins. Zu deprimierend zum Verschenken, zu banal zum Selber-Lesen. Eine literarische Bento-Box, preiswerte Häppchen in Probiergröße. Von allem etwas, geschmacklich jedoch auf den kleinsten gemeinsamen Nenner gebracht. Etwas fade, durchaus bekömmlich, aber "Birthday Stories" macht halt weder satt - noch macht es Appetit auf mehr.

Die gelungensten Beiträge stammen von den bekanntesten Autoren. David Foster Wallace und Raymond Carver malen eingängige Stimmungsbilder, die noch eine Weile nachklingen. Wobei Carvers "Geburtstagstorte" den meisten Lesern aus Robert Altmans "Short Cuts" bereits bekannt sein dürfte. Murakami selbst setzt den Schlussakkord, mit einem verrätselten Text über eine Kellnerin, die von einer höheren Macht einen Wunsch erfüllt bekommt. Dass Murakami diesen Wunsch jedoch nicht ausspricht, macht die Geschichte sehr stark. Ein kleines Highlight, weil er dadurch der Schwierigkeit entgeht, zum Ende hin konkret werden zu müssen. Verrätselt, leise, schwebend eben, Weltschmerz interruptus. Ein ewiger Anfang.

"Birthday Stories" dürfte allenfalls Murakami-Komplettisten interessieren. Seien wir ehrlich: Gerade die Ratlosigkeit, mit denen seine Romane ausklingen, heben sie über das Niveau harmloser Alltagsgeschichtchen hinweg. Das Leben ist nicht kurz genug, um sich zwischen Buchdeckel pressen zu lassen. Und indem Murakami hinter jeden vorschnellen Schluss noch weitere, ratlos stimmende Kapitel kleistert, wird seine Popliteratur existenziell. In "Birthday Stories" fehlt der Raum für den zweiten Akt, die Relativierung, das bittere Ende. Die Geschichten sind so zauberisch wie Murakamis schönste Anfänge. Doch dummerweise ist es das Ende, das seinen Romanen ihre verstörende Qualität verleiht. Dieses Ende fehlt hier.

Titelbild

Haruki Murakami (Hg.): Birthday Stories.
Ausgewählt und mit Einleitungen versehen von Haruki Murakami.
DuMont Buchverlag, Köln 2004.
187 Seiten, 19,90 EUR.
ISBN-10: 383217897X

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