Im Feuer

Henri Barbusses intellektuell-leidenschaftliches Bekenntnis zum Pazifismus

Von Michael GriskoRSS-Newsfeed neuer Artikel von Michael Grisko

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Erich Maria Remarques "Im Westen nichts Neues" gilt vielfach noch als Messlatte für den pazifistischen Roman über den 1. Weltkrieg: zu Unrecht. Zwar war er einer der erfolgreichsten und populärsten Anklagen der zivilisatorischen Grausamkeit Nr. 1, des Kriegs, wozu der Film sicherlich das Seinige tat, aber zu den eindringlichsten und anspruchsvolleren Dokumente gehört er sicherlich nicht. Hier wären allein im deutschsprachigen Raum Ludwig Renns nüchtern-realitätsnaher Bericht "Krieg" und Ernst Glaesers semi-biografischer Roman "Jahrgang 1902" zu nennen. Ohne Frage gehört dazu auch die bereits im Jahr 1916 erschienene und im Untertitel als "Tagebuch einer Korporalschaft" bezeichnete leidenschaftliche Anklage "Das Feuer" (Original: "Le Feu") des französischen Dichters Henri Barbusse, die von vielen als der erste Antikriegsroman bezeichnet wird und damit als Vater dieses Genres gelten kann.

Der Roman des zu Kriegsbeginn 31-jährigen Henri Barbusse entpuppt sich als subjektiver Bericht. Kein Tagebuch, wie der Untertitel verspricht, sondern die Schilderung der Erlebnisse einer Einheit auf französischer Seite in einem Zeitraum von knapp eineinhalb Jahren. Barbusse berichtet chronologisch und ohne Nebenschauplätze von den täglichen Kampfhandlungen, den Ängsten, den Sorgen und Nöten, aber auch den Träumen und Hoffnungen der Soldaten. Ohne Pathos, aber mit einer Spur intellektueller Distanz, die nie auch nur in den Verdacht der Überheblichkeit geriete, schildert er die Veränderungen seiner Kameraden und die sinnlose Grausamkeit des Kriegs, die nur durch eine ebenso tiefe wie selbstverständlich menschliche Verbindung im täglichen Umgang miteinander gemeistert wird. Barbusse entwickelt diese Bausteine des Alltags aus der immer wieder neu zu gewichtenden Relation von Kameradschaft und Überlebensdrang. Essen, Post, Angehörige, Frauen, Vorgesetzte, politische Diskussionen gehören zu den zentralen Themen, die den ständig wechselnden Tagesablauf in den Kriegspausen bestimmen. Spätere Autoren werden diese tatsächlichen Versatzstücke aufgreifen und variieren. Auch die Frage des "Warum" durchzieht das Buch, ebenso wie das Verhältnis von abstrakter Macht und individueller Kriegsgeschichte, von der ersten bis zur letzten Seite.

Singulär macht Barbusse jene bereits erwähnte Spur intellektueller Distanz, die in der leidenschaftlichen Anklage und auch in der Form dominanter Landschaftsbeschreibungen und -metaphern auftaucht. Er pointiert seine politische Haltung in einem Gespräch der Soldaten zum Schluss: Kurz vor der direkten Anklage der Kapitalisten, Traditionalisten, Priester, kurz der Anklage der nationalen Überheblichkeit, kommen die später auch Barbusses politische Karriere bestimmenden Kernthesen: "Die Massen müssen sich verständigen" und "Der Tag muss kommen, an dem alle Menschen gleich sind." Ebenso dominant wie penetrant erscheint dieses allzu deutliche Bekenntnis nach knapp 300 dicht bedruckten Seiten, die Politik nicht als parteiliche Angelegenheit betrachtet haben.

Der Roman wird zu Recht in über 50 Sprachen übersetzt, sein Autor erhält den "Prix Goncourt". Ein leidenschaftliches Dokument menschlicher Barbarei, durchzogen von dem Glauben an die Zivilisation.

Titelbild

Henri Barbusse: Das Feuer. Tagebuch einer Korporalschaft.
Schwartzkopff Buchwerke, Berlin 2004.
294 Seiten, 14,50 EUR.
ISBN-10: 3937738088

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