Kleiner Junge, teures Spielzeug

War der dämonische "Citizen Kane", der Zeitungstycoon William Randolph Hearst, in Wirklichkeit nur ein verspielter, geltungssüchtiger Kindskopf? Dies suggeriert ein US-Historiker in einer neuen Biografie

Von Peter MünderRSS-Newsfeed neuer Artikel von Peter Münder

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Als herrschsüchtigen, raffgierigen Alten im düsteren Mausoleum, den die alkoholsüchtige Lebensgefährtin im Stich lässt, haben Generationen von Kinobesuchern den Herrn über "Xanadu" im Gedächtnis. So hatte der geniale Filmregisseur Orson Welles den umstrittenen "Citizen Kane", den amerikanischen Zeitungszaren William Randolph Hearst, 1941 porträtiert. Der empörte 77-jährige Hearst fühlte sich damals vom 24-jährigen Jungfilmer verunglimpft und veranlasste sofort umfassende Boykottmaßnahmen, die einem Aufführungsverbot gleichkamen. Er versuchte auch - allerdings ohne Erfolg - für 800.000 Dollar das Negativ aufzukaufen, das dann sofort vernichtet werden sollte.

Das Bild vom einsamen dämonischen Außenseiter korrigiert der New Yorker Historiker David Nasaw mit seiner brillanten Biografie "The Chief". Nasaw zeigt den "Citizen Hearst" als verwöhntes, lebenslustiges Muttersöhnchen, das schon früh auf Kunstobjekte fixiert war und im Schlepptau der Mutter zwischen Ost-und Westküste und auf langen Einkaufs-Trips durch Europa ohne väterliche Fürsorge aufwuchs. Das Familienoberhaupt George Hearst hatte mit dem Aktienhandel von Gold- und Silberminen Millionen zusammengezockt. Er kümmerte sich lieber um seine Claims als um die Familie.

Als Hearst junior sich später auf seinem märchenhaften Schloss in San Simeon auf einem 80 Kilometer langen Küstenstreifen am Pazifik eingerichtet hatte, das er mit Preziosen regelrecht vollstopfte, gab er zu: "Mir geht es wie einem Säufer, der an der Flasche hängt - ich bekomme all diese Kunst- und Sammlerkataloge und kann nicht widerstehen".

William Randolph Hearst (1863-1951) beschreibt Nasaw als objektfixierten Sammler, geltungssüchtigen Selbstdarsteller und skrupellosen "Yellow Press"-Tycoon, aber auch als anhänglichen Liebhaber und Tierfreund, der sich Dackel hielt und Mäuse lebend fangen lässt, um sie dann wieder freizulassen. Den größten Privatzoo der Welt hatte der Mann der Superlative sich damals auch gegönnt.

Der "Chief" litt an der Berufskrankheit, von der die meisten einflussreichen Zeitungsverleger heimgesucht werden: am Größenwahn. Für den New Yorker Gouverneursposten kandidierte er ebenso wie für den Präsidentenjob im Weißen Haus - vergeblich. Einen befreundeten Schmierfettproduzenten wollte er zum Vorsitzenden einer dritten großen Volkspartei hochpuschen - auch Fehlanzeige. Immerhin schaffte er es, als Abgeordneter in den Kongress gewählt zu werden. Von rund 170 Sitzungen hatte Hearst laut Nasaw aber nur an zwei teilgenommen.

Der Zeitungs-Tycoon sei kein dogmatischer Ideologe gewesen, meint Nasaw, sondern ein von widersprüchlichen Neigungen gebeutelter opportunistischer Rattenfänger. Einerseits kämpfte er für die Interessen des kleinen Mannes und gegen die mächtigen Trusts, andererseits war Hearst ein erzreaktionärer nationalistischer Hetzer, der gegen Asiaten, Linke und Mexikaner - vor allem nach Enteignung seiner mexikanischen Ländereien - polemisierte und eigene Spitzelkolonnen auf die Hexenjagd gegen rote "Bolshies" schickte. Als Präsident Roosevelt während der Wirtschaftskrise eine Sondersteuer für Millionäre beschloß, diffamierte ihn Hearst in seinen Blättern als "Stalin Delano Roosevelt".

Im Hollywood-Kapitel analysiert Nasaw die Machtverhältnisse, die es dem millionenschweren Hearst erlaubten, seiner Geliebten Marion Davies eine Karriere als Filmstar zu finanzieren. In das18-jährige Showgirl hatte sich der 52-jährige Vater von fünf Söhnen verliebt, als er sie in einem Musical sah. Da Ehefrau Millicent gegen eine Scheidung war, hielt sich Hearst die alkoholabhängige Nebenfrau bis zu seinem Tode.

Er sympathisierte mit den Nazis und hatte einen direkten Draht zum Führer, den er selbst in Deutschland besuchte. Aber er setzte sich auch für die Juden und einen selbstständigen jüdischen Staat ein. Diese Widersprüche werden von Nasaw genau beschrieben, erklären kann er sie jedoch nicht, weil der Medienmogul zu irrational gestrickt war.

Der Herr über 28 Zeitungen, mehrere Magazine, Radiostationen und zwei Filmstudios sammelte nicht nur wertvolle Kunst, er heuerte auch die prominentesten Dichter, Denker und Staatsmänner seiner Zeit als Kommentatoren an. Aldous Huxley und George Bernard Shaw, Oswald Spengler, H. G. Wells und Leo Trotzki, Winston Churchill, aber auch Benito Mussolini und Adolf Hitler hatte Hearst als Kolumnisten für den anspruchsvollen "New York American" gewonnen - eine geschickte Imageaufwertung. Das fürstliche Honorar von 1.500 Dollar pro Artikel-Anfang der 30er Jahre eine ungeheure Summe - war einigen jedoch nicht genug. Der unersättliche Duce schraubte seine Forderungen immer weiter in die Höhe und recycelte dröge Artikel aus der Schublade. Außerdem hielt er sich nicht an die Hearst-Vorgabe, Diskussionen über einen aliierten Schuldenerlass zu vermeiden. Hitler hingegen verpasste meistens die vereinbarten Abgabetermine. "Ist Hitler das wirklich wert?", telegrafierte der entnervte Textchef Vannemann Ranck aus Berlin an Hearst. "Der Führer liefert seine Beiträge viel zu spät ab und verlangt immer höhere Honorare. Er will so viel wie Mussolini haben. Offen gesagt glaube ich nicht, dass er so viel wert ist wie der Duce. Was halten Sie von Göring?" Prompt feuerte Hearst den Führer und verpfichtete den 1932 zum Reichstagspräsidenten avancierten Hermann Göring. Der lieferte mit einem Bericht über ein neues Parteiprogramm einen veritablen Scoop. Denn im Reichstag wurde dieses Programm erst nach der von Hearst veröffentlichten Story vorgestellt.

Nasaw deutet auch an, wie gut damals das ,Old Boys Network' funktionierte: Den direkten Zugang zum "Führer" hatte sich Hearst über den Harvard-Studienfreund Ernst ("Putzi") Hanfstaengel verschafft, der bis zu seiner Emigration 1938 Hitlers Auslandspressechef war.

David Nasaw konnte unbekanntes Archivmaterial auswerten, das bislang in Lagerhäusern des Hearst-Konzerns verstaubte. Manche selbstgestrickte Hearst-Legende entpuppt sich nun als PR-Gag. So war der Harvard-Student, der sich einen Alligator als Haustier hielt, keineswegs wegen ungebührlicher Streiche von der Prestige-Uni geflogen. Der Frauenheld war schlicht zu faul gewesen, trieb sich lieber am Broadway als auf dem Campus herum und musste wegen miserabler Prüfungsergebnisse die gelehrte Anstalt verlassen.

Der Uni-Rausschmiss erwies sich für Hearst als Segen, denn er stellte die Weichen für die Verlegerlaufbahn. Nun konnte der 23-Jährige nämlich seine Vorstellungen von Infotainment beim "San Francisco Examiner" verwirklichen. Das dahinsiechende Blättchen hatte der Zocker-Vater George beim Pokern gewonnen und seinem filius überlassen. Der sorgte mit fetzigen Sportberichten, Comics und Crime schnell für höhere Auflagen. Nach dieser success-story folgten weitere: Im Zeitungskrieg gegen den New Yorker Verleger Joseph Pulitzer gelang es Hearst, seinem Erzrivalen die besten Leute wegzukaufen, weitere Zeitungen zu übernehmen und ein Medien-Imperium aufzubauen, das in seiner Blütezeit zwanzig Millionen Leser hatte.

Als "ernstes, unbedarftes Kind, das mit teuerstem Spielzeug spielt", beschrieb Winston Churchill den damals 63-jährigen Verleger während eines mehrtägigen Besuchs in San Simeon, wo er fast alle berühmten Hollywood-Stars kennen lernte und sich mit Charlie Chaplin anfreundete. Nasaw berichtet über Hollywood-Intrigen und Machtkämpfe, aber auch über Partys und Gelage auf Hearst Castle, die an hedonistische Exzesse von Fitzgeralds "Great Gatsby" erinnern und den machtgierigen "Citizen Kane" als verspielten Jungen zeigen. Hearst veranstaltete exotische Kostümfeste, auf denen die reiferen Jungs sich austobten. Gary Cooper trat als Dr. Fu Manchu auf, Groucho Marx trabte als "Rex das Wunderpferd" herum, während Hearst als prächtig kostümierter Cowboy oder Tiroler Bergbauer (Nasaw: "Er konnte exzellent jodeln") allen die Show stahl.

Zu den prominenten Bewunderern der geräumigen Hearst-Spielwiese am Pazifik gehörte auch George Bernard Shaw. "So ein Refugium wie in San Simeon", erklärte der scharfsinnige Dramatiker, "hätte sich Gott auch erbaut - wenn er dafür das Geld gehabt hätte".


Titelbild

David Nasaw: The Chief: The Life of William Randolph Hearst. The Rise and Fall of the Real Citizen Kane.
Houghton Mifflin Company, Boston 2000.
687 Seiten, 29,00 EUR.
ISBN-10: 0395827590

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