Traurig bis amüsant

Sachsen für Kenner und die, die es werden wollen

Von Christiane HartmannRSS-Newsfeed neuer Artikel von Christiane Hartmann

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

"Eine ästhetische Erkundungsreise durch die gegenwärtige literarische Landschaft Sachsens" verspricht uns der Klappentext. 46 Autoren, darunter nur fünf Frauen, sind mit in den neunziger Jahren publizierten Kurzgeschichten und Gedichten in der Anthologie "Landschaft mit Leuchtspuren" vertreten. Dieser Titel macht neugierig auf das, was da leuchten soll. Passend dazu erscheint das farbenfrohe, ebenfalls leuchtende Titelbild nach einem Aquarell von Ernst Hassebrauk. Da das Buch im Reclam Verlag Leipzig erschienen ist, mag es nicht verwundern, dass fast die Hälfte der Verfasser dort lebt oder geboren ist - oder etwa doch? Konzentriert sich tatsächlich das literarische Leben Sachsens so stark in dieser kulturell zweifellos bedeutenden und schönen Stadt? Oder hat die Redaktion bei ihrer Auswahl anderen Autoren zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt? Was noch auffällt: Das rechnerische Durchschnittsalter aller Verfasser liegt bei 49 Jahren. Wo bleibt die nächste Generation?

Gleichwohl: Man hat sich offensichtlich bemüht, auf gut zweihundert Seiten eine breit gefächerte Auswahl zu bieten. Und es gibt Gutes zu berichten. Bei mehreren Beiträgen, insbesondere bei einigen Kurzgeschichten, gelingt den Beiträgern etwas Bemerkenswertes: Sie vermitteln dem Leser einen so intensiven Eindruck davon, was es heißen mag, in Sachsen zu leben oder gelebt zu haben, dass man fast glaubt, selbst dabeigewesen zu sein: etwa beim Aufwachsen in der DDR, bei der Vorbereitung einer Flucht, beim Berufsalltag im Kohleabbau.

Wolfgang Hilbigs "Die Erinnerungen" ist mit achtzehn Seiten Umfang der längste Beitrag: Der Schriftsteller C. sucht immer wieder seine frühere Heimatstadt auf. Hier erinnert er sich, verwandelt sich zurück in den Arbeiter von einst. Halb betäubt vom Frost hastet er an dunklen, eisigen Wintermorgen zur Arbeit und trifft dort auf seinen alten, etwas unheimlichen polnischen Kollegen Gunsch, den niemand richtig kennt. In der Retrospektive, die immer wieder von der Gegenwart unterbrochen wird, spürt C. die tiefe Einsamkeit dieses alten Mannes auf und findet Parallelen zum eigenen Großvater und zu sich selbst. Das alles schildert er in so anrührender Sprache, dass man sich tatsächlich selbst zu erinnern glaubt.

Diese Geschichte lohnt es ebenso zu lesen wie etwa "Spiele I", besonders aber "Spiele II" von Jens Wonneberger. Hier schildert der Ich-Erzähler einfühlsam und mit einem Augenzwinkern, wie ihm "kein Geringerer als Walter Ulbricht die Unschuld gerettet" hat. Wieder scheinen wir in eigenen Erinnerungen zu leben. Wir gleiten mit dem Erzähler durch die Tiefen eines warmen Sommersees und liegen mit seiner Karin auf dem warmen Holz eines Anglerstegs, wir spüren die Tropfen, die an unserer Haut abperlen.

Ganz anders, doch nicht weniger eindrücklich liest sich Werner Heiduczeks "Nachdenken über Nietzsche". Es ist zugleich ein Nachdenken über unsere Existenz und ihre "kurze Dauer". Es ist ein Sinnieren darüber, im wiedervereinigten Deutschland "Selbstinszenierung von historischer Aufarbeitung und zur Schau gestellter Redlichkeit" zu betreiben, wenn "Visionen [...] zertrümmert, Ideale zerbrochen", "Utopien in die Ecke gefegt" werden. Scharfsinnig verknüpft Heiduczek gegenwärtige Alltagsproblematik mit Textbeispielen aus dem Werk Nietzsches. Ein nachdenkliches Vergnügen ist es, diesen Gedanken zu folgen.

Ein kurzes und amüsantes Vergnügen dagegen ist es, Wolfgang Davids "Kulturgeschichte der Toilette", genannt "Kleine Orts-Kunde", zu lesen. Unter anderem führt sie uns vor Augen, wie wenig fortschrittlich wir doch mit unserem heutigem WC sind, denn: "Griechische und römische Herrscher kannten es ebenso wie der König der Azteken. Über Epochen hinweg war es ein Statusmerkmal ersten Ranges. Wer spülte, hatte es geschafft." Wer dazu mehr wissen will, möge den Text selber lesen.

Auch mehrere andere Beiträge in diesem vielseitigen Buch sind zu empfehlen. Hervorgehoben seien noch vier Kurzgeschichten: In "Der Soldat" von Rainer Klis werden sehr persönliche, sehr lebendige Erinnerungen an einen Großvater geweckt, der trotz seiner vermeintlichen Unzulänglichkeiten die Familie zusammenhält. "Indianerfüße" von Henner Kotte lässt uns traurigen und bewegenden Kindheitseindrücken begegnen. Einen gelungenen Abschluss findet die Anthologie und die gesamte Erkundungsreise mit "Johann S." von Regine Möbius und "Trompeter" von Gunter Preuß.

Titelbild

Sächsischer Literaturrat: Landschaft mit Leuchtspuren.
Reclam Verlag, Leipzig 1999.
250 Seiten, 9,70 EUR.
ISBN-10: 3379016543

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