Wenn Katzen über Mäuse entscheiden

Ein Sammelband zur Gleichberechtigung, Gleichstellung und Differenz der Geschlechter in der Rechtswissenschaft

Von Birgit ThomaRSS-Newsfeed neuer Artikel von Birgit Thoma

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Die Gleichheitsfrage ist, unabhängig davon welchen theoretischen Ansätzen - ob Gleichheit, Differenz oder Dekonstruktion - letztlich gefolgt wird, schon immer auch eine Gerechtigkeitsfrage gewesen. Welchen Stellenwert hierbei das Recht als Mittel der Sozialgestaltung einnimmt, wird in dem Sammelband überzeugend und aus unterschiedlichen Perspektiven (rechtstheoretisch, rechtspraktisch, rechtspolitisch) beantwortet. Fazit: Die Gerechtigkeitsfrage im Sinne eines "Jedem das Seine" ist aus der Perspektive des Rechts ohne die Frage nach dem "Ihren" nicht (mehr) zu beantworten.

Im ersten Teil wird innerhalb der "Perspektiven und Entwicklungen" die grundsätzliche Frage nach der Möglichkeit der Integration der Kategorie Geschlecht in die Rechtswissenschaft diskutiert. Hierbei zeigen die Autorinnen, dass gerade internationale und europäische Rechtsentwicklungen die Geschlechterperspektive auch in nationale Rechtsordnungen bringen und durch den Gender-Mainstreaming-Ansatz im Amsterdamer Vertrag 1999 neue Optionen der (rechtlichen) Gleichstellungspolitik - von bottom up zur top down Strategie - eröffnet wurden (Rudolf). Konzepte der feministischen Rechtstheorie zur Gleichheit in der Differenz wurden folglich rechtspolitisch umgesetzt (Baer) und müssen nun in der Rechtsrealität fortgeschrieben werden, was oft daran scheitert, dass das Geschlecht allein nicht notwendig ausreicht, um eine Interessengemeinschaft zu begründen (Berghahn). Kommt allerdings Rudolf zu dem Ergebnis, dass die Rechtsentwicklung mit dem Amsterdamer Vertrag auf europäischer Ebene deutlich fortgeschritten ist und die europäische Rechtsprechung hinterher hinkt, so stellt Bergbahn eine gegenteilige Entwicklung auf nationaler Ebene fest. Ihr Beitrag zeigt, dass es jedenfalls in Deutschland die Gerichte waren, vor allem das Bundesverfassungsgericht, das die Gleichberechtigung und die Gleichstellung von Männern und Frauen vorangetrieben hat, und keineswegs der Gesetzgeber. Möglicherweise - so eine Erklärung der Verfasserinnen - ist auch die Zusammensetzung der jeweiligen Entscheidungsgremien relevant für die entsprechende Entwicklung im Recht, was die Entstehungsgeschichte des Artikel 3 des Grundgesetzes ("Männer und Frauen sind gleichberechtigt") deutlich belegt. An diesem Punkt zeigt sich auch schon das grundlegende Problem der Geschlechterperspektive im Recht: die Diskrepanz zwischen Rechtsanspruch und Rechtswirklichkeit. Sie ist dann besonders groß, wenn Frauen ihre Interessen mithilfe des Rechts durchsetzten wollen.

Eine Diskrepanz, die aus straf-, arbeits-, familien- und rentenrechtlicher Perspektive im zweiten Teil verdeutlicht wird: An der Entwicklung der Regelung zur "Strafbarkeit der Vergewaltigung" in der Ehe wird aufgezeigt, wie geschlechtsdifferenziert und frauenfeindlich argumentiert wird, wenn "Katzen über Mäuse entscheiden" (Nelles) und so bereits auf legislativem Wege, Rechtsansprüche verweigert werden. Als Gegenstrategie fordert sie eine angemessenere Vertretung von Frauen und Kindern im Parlament. Auf rechtspraktischer Ebene zeigen die geschlechtsspezifischen Interpretationen von Beweisen in den Fällen von sexueller Belästigung, wie weit Anspruch und Wirklichkeit auseinander liegen: das arbeitsrechtliche Beschäftigtenschutz erfasst nicht alle Betroffenen, eine Angleichung an EU-Vorgaben ist dringend erforderlich (Goy). Auch die Rechtsprechung (re-)konstruiert geschlechtsspezifische Rollenzuweisungen und verfestigt sie, wie sich besonders deutlich innerhalb des Familienrechts bei Scheidungs-, Unterhalts- und Sorgerechtsfragen zeigt (Plett). Geschlechtsspezifische Zuweisungen, die sich bis ins Alter fortsetzen, denn auch im Rentenrecht stellt nach wie vor die männliche Erwerbsbiografie die Norm dar, und bestätigt erneut das Fazit von Nelles: "wenn Katzen über Mäuse entscheiden".

Den Fragen der Implementierung des Rechts stellt sich der dritte Teil. Maßnahmen der Frauenförderung - besonders das Verhältnis zum neuen Konzept des Gender-Mainstreamings - stehen auf dem Prüfstand und nicht immer positive Erfahrungen von juristisch versierten Frauenbeauftragten fließen mit ein (Gebhardt-Benischke). Die entsprechende Skepsis ist berechtigt, denn Zielvereinbarungen werden oft nicht eingehalten und Sanktionen stehen nicht zur Verfügung. Als Steuerungsinstrument zwar zulässig, aber (bedingt) tauglich (Elke Gurlit). Wird also die Intention aller frauen- und gleichstellungspolitischen Debatten, die Verhältnisse zugunsten von Frauen zu gestalten, im Zuge der Etablierung von Gender-Mainstreaming zu einem bürokratischen (Abfrage-)Verfahren, das niemanden mehr beunruhigen muss? Es ist zu befürchten. Auch in den Elfenbeintürmen der Rechtswissenschaft greifen diese neuen Konzepte (noch) nicht und das Fazit: die Rechtswissenschaft ist (fast) ebenso männlich wie vor 15 Jahren (Limbach). Dennoch: Ansätze für einen Paradigmenwechsel zur Geschlechtergerechtigkeit sind auch hier erkennbar. Fast an allen Universitäten existieren Gender-Lehreinheiten, die verstärkt auch rechtliche Lehreinheiten enthalten, darüber hinaus zwei Studiengänge der gender studies in Berlin und Hamburg mit expliziten rechtlichen Schwerpunkten. Jeder das Ihre.


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Mechthild Koreuber / Ute Mager (Hg.): Recht und Geschlecht. Zwischen Gleichberechtigung, Gleichstellung und Differenz.
Nomos Verlagsgesellschaft, Baden-Baden 2004.
215 Seiten, 44,00 EUR.
ISBN-10: 3832907823

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