Der Zusammenprall der Kulturen
Ein Katalogbuch zu Saladin und den Kreuzfahrern
Von Georg Patzer
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseSaladin - das war für uns immer der tolerante Herrscher aus Lessings "Nathan der Weise". Dort ist er ein unumschränkter, auch willkürlicher Herrscher, der Nathan seine Fangfrage nach der richtigen Religion stellt, die dieser mit der berühmten Ringparabel beantwortet. Er erzählt ihm von einem Stein, der "hatte die geheime Kraft, vor Gott / Und Menschen angenehm zu machen, wer / In dieser Zuversicht ihn trug." Und als nach des Vaters Tod drei Ringe mit gleichen Steinen bei den drei Söhnen und Erben auftauchten, war die Unsicherheit groß, welcher der richtige war: "Man untersucht, man zankt, / Man klagt. Umsonst; der rechte Ring war nicht / Erweislich." Genauso wenig ist der rechte Glauben erweislich, fährt Nathan fort, denn darum ging es in Saladins Frage. Und erst jetzt sieht der Herrscher seine fast gotteslästerliche Anmaßung ein und bittet Nathan um seine Freundschaft: Ein wirklich aufgeklärter Herrscher, der weiß, dass alle Religionen gleich zu achten sind, auch wenn sie kulturelle Unterschiede aufweisen. So benutzte jedenfalls Lessing ihn, um den so wenig aufgeklärten Herrschern Mitteleuropas einen Spiegel vorzuhalten.
Ganz so verhielt sich der historische Saladin zwar nicht. Aber innerhalb der Grenzen des Islam war er durchaus tolerant. So verbot er zwar 1183 Nicht-Muslimen den Handel im Roten Meer - und damit die Beteiligung am lukrativen Indiengeschäft. Aber unter seiner Herrschaft gab es keine Christenverfolgungen, nie wollte er den Besiegten seinen Glauben aufzwingen, nie war der Krieg ein Dschihad, ein heiliger Krieg. Und als er Jerusalem eingenommen hatte, gewährte er nicht nur Juden, sondern auch den orientalischen Christen so etwas wie den Bürgerstatus. Nicht allerdings den katholischen Kreuzfahrern und ihren Nachfahren. Die orientalischen Christen, die von den Katholiken nie anerkannt worden waren, dankten es ihm mit treuer Gefolgschaft. Und seine Versprechungen auf freien Abzug, wenn er eine Stadt oder eine Burg belagerte, hielt er immer: So gelang es ihm, viele Burgen schnell einzunehmen. Das war auch bei Christen nicht unbedingt üblich: von wegen "Deine Rede sei ja, ja, nein, nein"...
Die Kreuzfahrten sind ein düsteres Kapitel der westlichen Geschichte. Seit 637 stand Jerusalem unter arabischer, seit 1078 unter türkischer Herrschaft, die Wallfahrten der Christen wurden allerdings unter ihnen nie behindert. Der erste Kreuzzug (1096-1099) war von Papst Urban II. ursprünglich geplant, um die Türken von Byzanz abzulenken. Seine Predigten stießen auf größeren Widerhall als erwartet. Besonders die Gegenden Europas, in denen Hungersnöte und Epidemien herrschten, stellten die Haupttruppen des ersten Kreuzugs. Zudem konnte man mit den "bewaffneten Wallfahrten" auch Vergebung von den Sünden erlangen.
Die Durchführung war oft ein Desaster, der Streit unter den Parteien größer als die Einigkeit im Kampf. Hunderttausende starben auf dem ersten Kreuzzug, ehe sie Palästina überhaupt erreichten. 1099 wurde Jerusalem erobert, Palästina fiel aber bald wieder zurück an die Moslems. Salah-ed-Din (Saladin), Sultan von Ägypten und Syrien, nahm 1187 die Stadt wieder ein. Der zweite Kreuzzug (1147-1149) brachte kaum Erfolge für die Christen. Der dritte Kreuzzug (1189-1192) wurde von Friedrich Barbarossa, dem englischen König Richard Löwenherz und dem französischen König Philipp II. August angeführt. 1191 wurde Akron erobert, ein Jahr danach ein Waffenstillstand geschlossen, der später von den Kreuzrittern gebrochen wurde, Jerusalem blieb unter Saladins Herrschaft. In diesem Jahr spielt Lessings Stück.
Die Bilanz der Kreuzzüge ist trostlos. Jerusalem wurde von den Christen nicht dauerhaft beherrscht; die Muslime besannen sich als Reaktion auf die Angriff bald wieder auf den Dschihad; als Folge des christlichen Fanatismus gab es viele antisemitische Ausschreitungen in Europa; und die Feindschaft unter den verschiedenen christlichen Gruppen wurde so groß, dass im vierten Kreuzzug (1202-1204) zunächst einmal das christliche Byzanz eingenommen, geplündert und gebrandschatzt wurde.
Ein opulentes, wunderbar ausgestattetes Katalogbuch mit exzellenten Essays, das zu einer durch Deutschland reisenden riesigen Ausstellung gehört (März bis Juli in Oldenburg, Juli bis November in Mannheim) erzählt von dieser Zeit des Hochmittelalters, als die christliche und die islamische Welt mit Wucht aufeinander prallten. Ein wenig prallen auch die Aufsätze aufeinander, die penibel die abendländische und muslimische Sicht auf die Dinge analysieren und schildern, allerdings auf hohem Niveau und trotzdem immer verständlich, auch für den interessierten Laien. Hier wird kein Fachhistorisch geredet, hier wird allerdings eine hohe Konzentration, ein starkes Interesse vorausgesetzt. Das wird aber dann auch kräftig bedient. Es bleibt kaum ein Aspekt ausgespart: das Leben der beiden Hauptgegner Saladin und Richard Löwenherz wird ebenso dargestellt wie der Kreuzzug Friedrichs II., die Entwicklung der Städte in der Mittelmeerregion, die Sicht der Moslems auf die "Franken", die Vorurteile und das Wissen der Kreuzfahrer von der fremden Welt im Nahen Osten, das friedliche Miteinander und die kriegerischen Auseinandersetzungen, die Rolle von Jerusalem in den drei Weltreligionen, die orientalischen Höfe und sogar so ausgefallene Kapitel wie die Wissenschaften im Orient, Keramik-, Glas- und Goldschmiedekunst oder die Probleme der sprachlichen Verständigung. Damit wird das dicke Buch nicht nur zu einem Schmöker ersten Ranges, sondern auch zu einem lange brauchbaren Handbuch.
Der großformatige Katalog präsentiert in aller gebotenen Kürze alle wichtigen Erkenntnisse der Geschichte. Zeittafeln, Herrscherdynastien, wunderbare Karten und sehr schöne Fotos von Artefakten aller Art, reichverzierte Reliquiare, Waffen, Münzschätze, astronomische Geräte, ergänzen die Essays. Und das alles zu einem Spottpreis.