Was geschah mit Septimus Heap?
Angie Sage gönnt ihren Lesern keine Pause auf der Flucht durch ihr Reich voller "Magyk"
Von Susanne Blümlein
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseWas geschah mit Septimus Heap? Er hätte einer der größten Zauberer werden können, war er doch der siebte Sohn eines siebten Sohnes und sein Vater, Silas Heap, ebenfalls ein Zauberer. Doch er starb bei seiner Geburt, Septimus Heap. Zumindest behauptet das die Hebamme und verschwindet mit dem toten Baby in der Dunkelheit.
Wie gut, dass der Verlag Angie Sages Buch mit "Septimus Heap. Magyk" betitelt hat. So wissen wir, dass dieser Junge irgendwann in diesem Buch wieder auftauchen wird - auch wenn der Geschichte selbst dadurch leider die Pointe genommen wurde. Und wie gut, dass Silas in jener dunklen Nacht, als Septimus Heap geboren wird und stirbt und ein Meuchelmörder die Königin der Burg und ihren außergewöhnlichen Zauberer Alther Mella erschießt und die neue außergewöhnliche Zauberin Marcia Overstrand das Baby der toten Königin versteckt, wie gut, dass Silas Heap in jener Nacht ein verlassenes Baby, ein Mädchen, im Schnee findet und es seiner Frau bringen kann. Die kleine Jenna wächst zehn Jahre lang behütet bei Sarah und Silas Heap und ihren sechs "Brüdern" auf. So behütet, wie man eben in einer Zaubererfamilie aufwachsen kann, in der sämtliche Familienmitglieder blond, sommersprossig und reichlich chaotisch sind.
In jenen zehn Jahren verändert sich das Leben auf "der Burg", so heißt die Inselstadt auf der die Heaps wohnen, nachhaltig. Die Gardewächter ergreifen langsam die Macht in dem Stadtstaat, der ohne Königin führerlos ist, und errichten eine Diktatur mit nur einem Ziel: den verbannten Zauberer Dom Daniel wieder als außergewöhnlichen Zauberer einzusetzen. Menschen werden zu Nummern und Spitzel gibt es allerorten. So bleibt es nicht lange verborgen, dass bei Familie Heap ein Mädchen heranwächst, das so gar nicht in die Zaubererfamilie passen will, der toten Königin aber von Jahr zu Jahr immer ähnlicher wird. Die Lage spitzt sich zu und nach fünf Kapiteln und 57 Seiten muss die Familie Heap fliehen. Zusammen mit der außergewöhnlichen Zauberin Marcia Overstrand und Junge 412, der eigentlich nur zur falschen Zeit am falschen Ort war, begehen sie eine abenteuerliche Flucht, die sie tief in die Marram Marschen führt, wo sie letztendlich nach vielen Abenteuern von Dom Daniel höchstpersönlich aufgespürt werden.
Ein großes Plus, das man Angie Sage nicht hoch genug anrechnen kann, ist es, eine Welt erfunden zu haben, die ihren eigenen Regeln folgt, ohne dafür allzu viel von anderen Fantasy-Autoren übernommen zu haben. Viele Verlage sind der (falschen) Meinung, dass sich Fantasy nur dann verkaufen lässt, wenn die Welt genauso aussieht, wie man sie aus anderen Büchern kennt; als Leser ist man Angie Sage deshalb umso dankbarer, sich diesem Diktat widersetzt zu haben. Zusätzlich sprüht das Buch nur so vor originellen Einfällen, dieser Welt ein eigenes Gesicht und Besonderheiten zu geben. Umso unverständlicher ist es deshalb, dass sie so offensichtlich bei anderen Autoren, und insbesondere bei J. K. Rowling abschreibt, die sie als eines ihrer Vorbilder angibt. Die Familie Heap blond statt rothaarig zu machen, verschleiert überhaupt nicht, dass sie nach dem Vorbild der Familie Weasley aus "Harry Potter" gestaltet ist. Ja, es sind Eltern mit sechs Söhnen und einer "Tochter", ja, es sind auch Zwillinge darunter, ja, sie sind arm und ja, niemand scheint sie richtig ernst zu nehmen. Ach, was für ein Zufall, dass einer der Söhne später auch noch zum Verräter an seiner Familie wird! Und dass die Autorin die vielen Familienmitglieder nur dazu braucht, um die Zahl Sieben zu erhalten, wird spätestens dann klar, wenn sich vier der Söhne in den wilden Wald verabschieden um dort zu leben und kein Leser sie vermisst.
Unbehagen drängt sich auch auf, wenn allzu bekannte Namen und Bezeichnungen auftauchen: Jennas Steintier heißt Petroc Trelawney (Trelawney ist auch der Name der Lehrerin für Wahrsagen in "Harry Potter"); Familie Heap wohnt in der "Hin-und-Zurück-Straße" (Tolkien: "Der Hobbit") und Marcia Overstrand trägt ein "Echnaton-Amulett". Geradezu schade ist das, denn solche Anleihen hat die Geschichte gar nicht nötig.
Auffällig ist die schnelle Erzählweise des Buchs. Jenna, ihr Bruder Nicko und Junge 412 stolpern von einem Abenteuer ins nächste und der Leser folgt ihnen atemlos. Einerseits hält die Autorin so permanent die Spannung, andererseits bleibt dem Leser damit keine Zeit, länger bei den schon genannten Schwächen des Buchs zu verweilen. Doch gerade die schnelle Erzählweise ist eine weitere. Angie Sage nimmt sich nicht genug Zeit, ihre Geschichte zu erzählen. Der Leser wünscht sich oft, mehr über diese phantastische Welt und das Leben dort zu erfahren, anstatt von einer Station zur anderen gehetzt zu werden.
Ein weiteres Manko sind die Figuren. Zwar sind sie liebevoll angelegt, doch wird jede Figur an ihren Platz gestellt und muss von dort aus agieren, ohne auch nur eine Chance zu haben, eine Entwicklung durchzumachen. Persönliche Entwicklungen der Figuren werden stets nur behauptet und nicht durch ihre Handlungsweise legitimiert und begründet. Und so verwundert es nicht, dass in verfahrenen Situationen so gut wie immer ein rettender Deus Ex Machina in Erscheinung tritt. Die Figuren müssen niemals etwas lernen, um sich mit dem Gelernten selbst aus der Patsche zu ziehen. Immer kommt ihnen irgendetwas oder irgendjemand zu Hilfe.
Doch "Septimus Heap. Magyk" soll ja nur der erste von drei Bänden sein. Angie Sage hat also noch die Möglichkeit, ihre Welt mit mehr Geschichte zu untermauern, als das in diesem ersten Band der Fall ist. Und ihr bleibt auch die Möglichkeit, genauer zu recherchieren, um so peinliche Fehler wie im ersten Band zu vermeiden. Zwar behauptet die Autorin lange über Gezeiten, Schifffahrt und Schiffsbau recherchiert zu haben, ja, auch selbst Kanu gefahren zu sein, (und Kanus sind in den letzten zwei Dritteln des Buchs das Hauptfortbewegungsmittel), doch dann nicht zu wissen, dass man Kanus von hinten anstatt von vorne steuert, ist einfach peinlich.