Unter Brüdern

Manuel Gogos untersucht den jüdischen Familienroman der 'Zweiten Generation'

Von Magnus KlaueRSS-Newsfeed neuer Artikel von Magnus Klaue

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Maxim Billers Verhältnis zur deutsch-jüdischen Geschichte ist so unverkrampft, dass sich melancholische Kollegen wie George Tabori oder Edgar Hilsenrath ein Beispiel an ihm nehmen sollten. In Billers Erzählung "Erinnerung, schweig" beklagt sich das Ich über das "jiddisch intonierte KZ-Deutsch" seines Vaters, und in "Wenn ich einmal reich und tot bin" mokiert es sich über die Behelligung mit dem "ewigen Judenzeug".

Derlei Provokationen haben als Teil einer Auseinandersetzung zwischen der älteren und der jüngeren Generation jüdischer Autoren in Deutschland durchaus ihre Legitimität. Tatsächlich stellt sich die biografisch verständliche Fixierung der deutsch-jüdischen Elterngeneration auf die Erfahrung des Genozids den Söhnen oft genug als Einengung dar, die ihnen jedes autonome Verhältnis zur Vergangenheit verunmöglicht und alle Versuche, ihr individuelles 'jüdisches' Selbstverständnis zu definieren, durch eine Art Vorzensur blockiert. Jener Zwang entspringt freilich nicht elterlicher Willkür, sondern ist historisch bedingt: Das Trauma des Völkermords ist konstitutiver Teil des kollektiven Gedächtnisses deutscher Juden und muss auch von der 'Zweiten Generation' angenommen, beantwortet werden. Billers Wunsch, von dem "Judenzeug" nichts mehr wissen zu wollen, verweist insofern bei aller Schnodderigkeit doch auf die intergenerationell tradierte Leiderfahrung.

Zugleich kommt er dem deutschen Bedürfnis nach Erledigung der Vergangenheit entgegen: Ein junger Jude spricht aus, was alte und junge Deutsche denken, und ermöglicht mit seinem koketten Zynismus endlich einen unverkrampften 'deutsch-jüdischen Dialog'. Biller ist begehrter Kolumnist in deutschen Tageszeitungen, Rafael Seligmann unterstützt die CDU und schreibt für "Die Welt". Die meisten jüdischen Autoren der 'Zweiten Generation' pflegen einen moderat realistischen Stil und erzielen damit Verkaufserfolge, von denen Hilsenrath in seinen Anfängen nur träumen konnte. In ihrer Ästhetik und Beliebtheit sind sie eher mit amerikanisch-jüdischen Autoren wie Philip Roth oder Saul Bellow vergleichbar als mit der deutschen Vorgängergeneration. Manuel Gogos nimmt diese Koinzidenz zum Anlass für eine vergleichende Lektüre US-amerikanischer und deutscher "Familienromane" jüdischer Gegenwartsautoren. Der Genrebegriff wird mehrdeutig verwendet: Er betrifft nicht nur das Thema der Texte, sondern spielt auf die "Familienähnlichkeit" zwischen jüdischen Autoren in den USA und in Deutschland an und impliziert zudem ein spezifisches Lektüreverfahren: Die Werke sollen als "Familienromane" im Sinne Freuds gelesen werden, also nicht primär als realistische Darstellungen, sondern als Entwürfe einer familialen Ikonographie, die mit der Wirklichkeit nicht verwechselt werden darf.

Leider beherzigt Gogos seine eigene Differenzierung nicht immer bei der Textlektüre. Besonders die Interpretation der Mutter- und Vaterschaftskonzepte in den Romanen von Roth, Bellow, Seligmann, Biller und anderen, die das Kernstück seiner Arbeit ausmacht, leidet unter dem permanenten Ineinandergleiten von motivgeschichtlicher, sozialgeschichtlicher und psychoanalytischer Lesart, was zu frappierend reaktionären Fehldeutungen führt. Wenn Gogos bei seiner Analyse des Bildes der "jiddischen Mamme" in Anlehnung an flapsige Äußerungen Henryk M. Broders von einem "heimlichen Matriarchat" spricht, das die jüdische Familie regiere, und den Typus des "Tate" - des zum "Kind" regredierten, dem Spott preisgegebenen jüdischen Vaters - als Darstellung der Degradation des Patriarchen zum "Fußabtreter" auffasst, dessen Schwäche die Söhne in eine "Drohnenexistenz" mit der Mutter einschließe, wird das von Seligmann und Roth entworfene Familienbild zwar adäquat beschrieben; eine Interpretation freilich hätte hier erst anzusetzen, statt sich mit derlei 'Ergebnissen' zufriedenzugeben. Werden solche Bilder unreflektiert beim Wort genommen, erscheinen Biller, Seligmann & Co., in merkwürdiger Analogie zu neudeutschen Tabubrechern à la Thor Kunkel, als Rebellen gegen eine halluzinierte linke Leitkultur, gegen Mütterherrschaft, doktrinäre Holocaust-Mahnerei und allgemeinen Werteverfall - womit man sie gar nicht erst zu lesen brauchte.

Wo er sich näher auf die Texte einlässt, bricht Gogos diese verzerrte Sichtweise auf, etwa wenn er die Stilisierung der Mutter zur Imago matriarchaler Macht mit den Besonderheiten jüdischer Genealogie und dem Diaspora-Verständnis des Judentums in Verbindung bringt, an Erica Jongs "Angst vorm Fliegen" die Zusammenhänge zwischen Familiendarstellung und Psychoanalyse-Kritik erläutert oder am Beispiel von Seligmann und Biller den Unterschieden zwischen der Vaterimago der jungen Generation und dem Vaterbild Kafkas nachgeht, der sein Autorschaftsverständnis ja ebenfalls von seinem Status als 'Sohn' ableitete. Die Differenzen zwischen Familienbild und Autorschaftskonzeption deutsch-jüdischer Autoren wie Hilsenrath und ihren 'politisch unkorrekten' Söhnen müssten freilich, nicht zuletzt in ihren sozialgeschichtlichen Zusammenhängen, systematisch entfaltet werden. Gogos dagegen springt zwischen Büchern, Autoren und Generationen hin und her und begnügt sich oft mit recht verwaschenen Resultaten wie der Diagnose, amerikanisch-jüdische und deutsch-jüdische Gegenwartsliteratur verhielten sich zueinander wie wechselseitige "Projektionen".

Hier beginnt es jedoch erst interessant zu werden, haben doch gezielte politische Unkorrektheiten wie bei Philip Roth im US-amerikanischen Rezeptionskontext einen völlig anderen pragmatischen Stellenwert als in Deutschland. Könnte die ironische Orientierung an der amerikanisch-jüdischen Literatur und an der Komik eines Woody Allen, wie sie Gogos vor allem für Biller nachzuweisen sucht, nicht auch eine Fluchtstrategie sein, um der Auseinandersetzung mit dem eigenen Status als jüdischer Autor in Deutschland auszuweichen? Die 'Entkrampfungen', die Biller dem deutsch-jüdischen Verhältnis empfiehlt, wären dann Symptom einer tiefer liegenden historischen Wunde, und der ziemlich wurschtige Umgang mit dem "jüdischen Opfermythos" würde eher dessen Wahrheitsgehalt bezeugen, als ihn zu travestieren. Auch der nicht nur bei Biller evidente Machismo gewänne vor diesem Hintergrund sozialpsychologische Aussagekraft als Versuch einer 'Verbrüderung' mit dem Gegner, bei der die 'weiblichen', zur kraftlosen "Schwundgestalt" degradierten Holocaust-Väter ebenso auf der Strecke bleiben wie die Töchter, deren Perspektive in dieser von Söhnen für Söhne geschriebenen Prosa kaum Berücksichtigung findet. Wenn Gogos solchen Problemen nicht weiter nachgeht, liegt dies wohl auch daran, dass er sich mit Harold Blooms Konzept der "Einfluss-Angst" eines poetologischen Gerüsts bedient, das literarische Traditionsbildung selbst primär als patriarchalen Akt der Vaterüberwindung qua Überbietung versteht. Insofern eröffnet seine Studie einen Raum neuer Fragen, ohne sie selbst zu beantworten.


Titelbild

Manuel Gogos: Philip Roth & Söhne. Zum jüdischen Familienroman.
Philo Verlagsgesellschaft, Berlin 2005.
321 Seiten, 38,00 EUR.
ISBN-10: 3865725279

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