Wie das Leben so läuft, wenn man elf oder zwölf ist

Alexa Hennig von Langes "Mira"-Romane

Von Arnd BeiseRSS-Newsfeed neuer Artikel von Arnd Beise

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Mira hat einen kleinen Bruder, eine Mutter und zwei Väter. Der eine ist mit der Mutter verheiratet, einigermaßen ungesellig und arbeitet als Biologe. Der andere besitzt eine "piefige Hot-Dog-Bude" und wohnt in einer gammeligen Wohngemeinschaft. Er ist Miras "richtiger" Vater, hat aber die Mutter kurz nach ("Mira reicht's") oder kurz vor ("Mira schwer verliebt") ihrer Geburt verlassen, weil er sich zu jung für eine Familie fühlte. Mit Miras Mutter und ihrem Stiefvater versteht er sich gar nicht, weil er sie für Spießer hält.

Mira besucht ihren leiblichen Vater jeden Samstag, was nicht immer ein reines Vergnügen ist. Lieber ist sie doch zu Hause. Aber vielleicht könnte man bei ihm das Pony unterstellen, das die Eltern Mira versprochen haben, wenn sie es auf das Gymnasium schafft. Außerdem hätte ein Pony den weiteren Vorteil, dass Mira "schick" wäre und nicht mehr die Außenseiterin in der Klasse. Damit könnte sie womöglich auch Moritz beeindrucken, denn: "Alle Jungs verlieben sich in Mädchen, die Haflinger besitzen." Doch Mutter und Stiefvater stellen sich quer. Und Moritz scheint sich auch mehr für Desiree oder Diana zu interessieren.

Auf der Klassenfahrt ins Landschulheim an der Nordsee muss Mira außerdem neben Astrid sitzen, die in der Klasse unbeliebt und ebenfalls eine Außenseiterin ist. "Ich weiß echt nicht, warum ich keine beste Freundin habe. Alle Mädchen haben eine beste Freundin, nur ich nicht." Die Klassenfahrt entwickelt sich dann zu einer Katastrophe. Es ist nicht nur das Übliche, dass sich nämlich die anderen abgesprochen zu haben scheinen, Mira "blöd und albern" zu finden, sondern Jonas stellt sie vor den anderen wegen ihrer Liebe zu Moritz bloß.

Nun will Mira nur noch weg. Weil sie zu Hause niemanden erreicht, ruft sie ihren richtigen Vater an, der sie auch abholt, um einmal "ein bisschen Zeit" mit ihr zu verbringen, ohne dass "jemand reinquatscht". Er überredet Mira, in den Osten zu fahren, um ein Pferd zu fangen, eine ziemlich unsinnige Idee, die mangels Benzin irgendwo im Nirgendwo mit einem gebrochenen Bein des Vaters und in einem Straßengraben endet, aber auch mit einer Mira, die ausnahmsweise nicht heult, sondern einen "kühlen Kopf" bewahrt und ihre Rettung zu Stande bringt.

Im zweiten Buch ist Mira ungefähr ein halbes Jahr älter und Astrid ihre beste Freundin. Manchmal nervt die zwar auch, weil sie "wirklich kein Gespür für andere Leute" hat und auch schon mal richtig "verbohrt" ist, doch meistens ist sie "sehr nett" und verteidigt Mira in schwierigen Lagen. Auch die Sache mit Moritz ist immer noch virulent. Obwohl er sie ständig ärgert, mag sie ihn "voll gern". Seit der Geschichte im Landschulheim "ist er nur noch fies" zu Mira; allerdings nicht ganz so fies wie seine Kumpel Jonas und Steffen.

Nach einem üblen Streich der Jungs überlegt sich Mira: "Vielleicht sollte ich Moritz ab heute ignorieren. So lange, bis er sich in mich verliebt. Das kann allerdings dauern. Ehrlich gesagt glaube ich, es wird nie passieren. Leider!" Der Ärger mit den Mitschülern beeinträchtigt auch Miras schulische Leistungen. Das können ihre Eltern natürlich nicht hinnehmen. Ihr Stiefvater will sich daher die "Würstchen", wie er die Mitschüler nennt, einmal vornehmen; und tatsächlich stellt er sie recht geschickt zur Rede. Moritz scheint dies imponiert zu haben. Ohnedies hat er wohl nur "unfreiwillig", "aus so einer Art Gruppenzwang heraus", mitgemacht, damit ihn "Steffen und Jonas nicht plötzlich blöd finden".

Das motiviert Mira auch zu verstärkter Anstrengung in der Schule. Denn wenn sie sitzen bleiben würde, müsste sie nicht nur ein Jahr länger in die Schule gehen, sie wäre auch mit Moritz nicht mehr in einer Klasse - das aber will sie unbedingt "bleiben! Vielleicht werden wir ja doch ein Liebespaar." Das werden sie dann auch, als sich Moritz bei der Verteidigung der neuen, aus Ägypten stammenden Mitschülerin Nurit von seinen Kumpeln abwendet und zu Astrid und Mira steht. Und das Schönste: Am Ende bekommt Mira sogar einen Fallabella-Haflinger von ihrem Vater geschenkt. Bleibt nur die eine Frage offen: Ist ihre Freundin Astrid womöglich die Tochter ihres Stiefvaters? Niemand kennt Astrids Vater, weil der abgehauen ist, als sie noch ein Baby war und sich nie wieder meldete...

Das wäre doch noch Stoff für einen dritten Roman um Mira, zumal die Liebesgeschichte zwischen Mira und Moritz noch nicht über den ersten Tag Händchenhalten hinausgekommen ist. Für die Astrid-Geschichte war allerdings eine kleine Korrektur zwischen dem ersten und zweiten Roman nötig: Im ersten lebte Astrid noch bei "ihrer dicken Mama", im zweiten Roman lebt sie bei ihrer Oma, weil die Mutter zusammen mit dem Vater abgehauen sein muss, damit die Herkunft entsprechend dunkel bleibt. Das wird junge LeserInnen irritieren, denn im Gegensatz zu Erwachsenen können sie sich auch noch die marginalsten Details merken.

Hennig von Lange erzählt die "Mira"-Romane aus der Sicht und mit dem Verstand ihrer elf- bis zwölfjährigen Titelfigur. Beide Erzählungen sind als Mischung aus innerem Monolog und Erlebniserzählung verfasst. Die spezielle Technik der Verschränkung, in der das Ergebnis des längeren inneren Gedankengangs dann laut wiederholt den Dialog fortsetzt, kennt man bei Hennig von Lange seit "Relax", die direkte Leseransprache ("Ratet mal, wo ich bin!" "Leute, ihr werdet es nicht glauben") aus den "Lelle"-Romanen.

Mira ist weder besonders schlau, noch ist sie dumm. Sie ist ziemlich normal, und auch, was sie erlebt, ist ziemlich normal. Es geht nicht um Abenteuer oder Detektivgeschichten, sondern um den Alltag und wie Mira ihn erlebt, was schon aufregend genug ist. Gelegentlich scheint die Autorin ihre 'Heldin' mit leiser Ironie zu betrachten, aber nie wird sie vorgeführt, sondern stets so ernst genommen, wie sie sich selbst nimmt. Allerdings ist die Denke eines frühpubertierenden Mädchens manchmal komisch genug, das weiß auch Mira selbst. In dem zweiten Buch reflektiert sie einmal ihre Naivität während der Pferdefanggeschichte mit ihrem Vater aus dem ersten Buch: "Heute würde ich nicht mehr auf so eine Babylüge reinfallen. Na ja, damals war ich ja auch noch voll jung."

Die Wirklichkeitssicht einer knapp Zwölfjährigen ist ziemlich gut eingefangen. Dazu gehört zum Beispiel auch, dass jugendsprachliche Akzente relativ sparsam eingesetzt werden. In dem Alter haben die meisten Kinder noch nicht das Bedürfnis, sich per Slang von den Erwachsenen auf provokative Weise abzugrenzen. Mira erzählt einfach von dem, was bewegt. Ob die Welt, in der sie lebt, aber wirklich die von heute ist? Wie realistisch ist es, dass in Miras Umgebung neue Medien so gar keine Rolle spielen? Natürlich kennt sie Filme und weiß daher, dass es offenbar verschiedene Arten sich zu küssen gibt. Aber ferngesehen wird in Miras Welt nur "ausnahmsweise" und dann auch eher ein Pferdespringwettbewerb als eine Telenovela. Und wenn Astrid mit "offenem Mund" auf den Fernseher "glotzt", wo "Pferde in Zeitlupe über Hürden hüpfen", dann erinnert das ältere Leser eher an die eigene Kindheit, wo der Blick in eins der drei damals nur existierenden Programme ein seltenes Ereignis war. Handys gibt es zwar, doch nur zum Telefonieren, nicht etwa um sich autistisch irgendwelchen Spielen hinzugeben. Gesimst wird merkwürdigerweise auch nicht.

Und iPods oder Computer gibt es in Miras Umgebung gar nicht. Es ist eine ziemlich heile Welt, in der sie lebt, fast eine Idylle - Patchworkfamilien hin oder her. Und wenn am Ende der Traum von einem Pony in Erfüllung geht, dann befinden wir uns vollends in Märchenland. Davon zu lesen ist aber schön.


Titelbild

Alexa Hennig von Lange: Mira reicht's. Mit Illustrationen von Julia Kaergel.
Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg 2004.
142 Seiten, 12,90 EUR.
ISBN-10: 3499212978

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch

Titelbild

Alexa Hennig von Lange: Mira schwer verliebt.
Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg 2006.
128 Seiten, 12,90 EUR.
ISBN-10: 3499213451

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