Das elliptische Wesen hinter den Figuren
André Bernolds "Becketts Freundschaft" in deutscher Übersetzung
Von Evelyne von Beyme
Besprochene Bücher / Literaturhinweise"Denn in jeder Antwort gibt es auch eine Frage" ist vermutlich einer der bezeichnendsten mündlichen Aphorismen Beckett''scher Schöpfung, die André Bernold in seiner (auto-)biografischen Schrift "Becketts Freundschaft" der Nachwelt überliefert hat. Sein Buch ist pünktlich zu Becketts hundertstem Geburtstag am 13. April diesen Jahres erstmalig in deutscher Übersetzung erschienen. Es umfasst die zehnjährige Zeit ungewöhnlicher Konversationen zwischen dem alten Beckett und dem mehr als fünfzig Jahre jüngeren Bernold in einem Pariser Café bei schwarzem Kaffee und Whisky, die nach Art eines Spiels verliefen - im Austausch verschiedener, nicht auf das Medium der Sprache beschränkter Zeichen.
Auf der Basis bearbeiteter Notizen zu den Zusammenkünften zwischen 1979 und 1989 entwirft Bernold ein recht umfassendes Porträt, das über den privaten Beckett hinausweist, indem es gleichermaßen die Werke des Schriftstellers sowie dessen Beziehung zu seinen Texten verhandelt. Nach Art einer Bricolage wechseln so Zitate aus Werken, Briefen, notierte Äußerungen Becketts, Gedichte und Beschreibungen einander ab, die den Akzent auf das letzte Jahrzehnt des Schriftstellers bis zu dessen Tod setzen. Über die eingeflossenen Werkübersetzungen Elmar Tophovens, mit dem Beckett und Bernold in freundschaftlicher Beziehung standen, wird in den Text zunächst formal, dann aber auch inhaltlich Tophoven als ein Dritter eingeführt, der zu einer beglaubigenden Instanz der (auto-)biografischen Schrift heranwächst und mit grotesk-realen Episoden aufwartet - etwa über die semaphorischen Gestikulationen Becketts zur Kontaktaufnahme mit einem Häftling im gegenüber seiner Wohnung gelegenen Gefängnis La Santé.
Dabei gleitet Bernolds Sprachgestus immer dann stark ins Metaphorische ab, wenn er auf die optische Erscheinung des studierten Romanisten Beckett zu sprechen kommt, welches das Suchen des Autors nach dem passenden Ausdruck für seinen verstorbenen Freund verrät, den er als ein "elliptisches Wesen" begreift. Beckett, obgleich er im Gespräch zugunsten des treffenden Wortes gern die Sprache wechselte oder Neologismen schuf, verhielt sich in der Regel eher schweigsam und zurückhaltend. Die literarischen Beschreibungen seines instantanen Mimikspiels treffen in den im schwarz-weiß-Ton gehaltenen fotografischen Porträtaufnahmen, die John Minihan 1984 von Beckett anfertigte und den Text rahmenartig illustrieren, auf die ihnen entsprechende gestalterische Prägung.
Diese Passagen widersprechen jedoch nicht dem Anspruch auf Authentizität, der einerseits gewahrt bleibt durch das Nachwort des Verfassers über seine Ansammlungen von Notizen aus einer Dekade; andererseits ist auch der Einbezug des eigenen damaligen Ich - wie bereits der Titel "Becketts Freundschaft" impliziert - von Bedeutung, da er die Wirkung des irischen Schriftstellers auf seine Umgebung beschreibt und dem literarischen Porträt über das Dialogische der freundschaftlichen Beziehung sowie über die Kombination mit den Fotografien einen dynamischen Charakter verleiht. Aufgrund des noch nicht zur Publikation freigegebenen dichterischen Nachlasses an Briefen und Aufzeichnungen gewinnt "Becketts Freundschaft" so nicht nur für das beckettinteressierte Lesepublikum, sondern auch für die Forschung an Bedeutung. So etwa durch die eingeflossenen persönlichen Äußerungen Becketts zu seinem Werk und dessen Rezeption, wie dem nur zwölf Minuten dauernden Theaterstück "Was wo" ("Quoi où"), über das sich der gebürtige Ire zwei Mal im Jahr 1983 gegenüber Bernold äußerte.
Ebenso geht der Verfasser auf Becketts Verhältnis zu seinen Figuren näher ein. Dessen Befürchtung, von den Zeitgenossen missverstanden zu werden, die zurückführt auf eine einstige Unterhaltung zwischen ihm und dem literaturinteressierten Philosophen Theodor Wiesengrund Adorno, mündet in die Gegenwart des Paris der achtziger Jahre - und zwar mit Becketts abschließender Bemerkung "Ich glaube fast, er hatte Recht". Ebenso kommt aber auch das durch seinen jungen Freund angeregte Interesse für die französischen poststrukturalistischen Philosophen Jacques Derrida und Gilles Deleuze zum Vorschein, die zu dieser Zeit an der École Normale Supérieure in der Pariser Metropole lehrten.
Vor allem erfährt auch Becketts Spätwerk, das in die Zeit dieser Bekanntschaft fällt, Berücksichtigung bei Bernold, der mit seinem Buch zugleich einen ,bescheidenen literaturwissenschaftlichen Beitrag'' intendierte, wie auch aus dem Fußnotenapparat ersichtlich hervorgeht. Seine Annäherungsweise unterliegt dabei keiner eindeutigen Methodologie. So ließe sich wohl partiell von einem biografisch-positivistischen Ansatz sprechen, der in Reversion erfolgt und allein schon aus der Anlage des Buches als biografischer Schrift resultiert.
Dennoch liefert die Studie einige interessante Interpretationsansätze, wie etwa den Verweis auf Becketts Orientierung an Heinrich von Kleists "Marionettentheater", das er in den achtziger Jahren rezipierte, oder aber die Bemerkung: "Möglicherweise hat das Polyphone in Becketts Schaffen ein wenig seinen Realismus verdeckt." Auch Bernold vermerkt die dem Spätwerk eigene Tendenz zur Verknappung, die es Beckett ermöglichte, "Partien, die schon aufgegeben waren, weiterzuführen".
Beachtenswert sind die dem Anschein nach größtenteils zitierten Vermerke über noch ausgebliebene literarische Projekte sowie über die besondere Bedeutung des Akustischen für Werke wie "Das letzte Band" ("Krapp''s Last Tape"), das Beckett 1958, inspiriert durch die Stimme eines Schauspielers, konzipierte. Eine Stimme, die er bis dahin nur aus dem Radio kannte. Ob jedoch die Niederschrift der von Bernold zitierten Sätze simultan zu den Gesprächen erfolgte oder dies erst nachträglich geschah, geht aus dem Nachwort des Autors nicht hervor.
Insbesondere der späte Beckett, der am 22. Dezember 1989 nahezu in völliger Abgeschiedenheit von der Öffentlichkeit in Paris sein Leben beschloss, verdichtet sich bei Bernold jedoch auf typografischer und fotografischer Ebene zu einer dauerhaften stimmhaften Instanz, die sonst stets hinter den murmelnden Figuren verschwand.