Eine kleine Welt und ein kleines Grauen

Markus Orths schreibt von abstrusen Leben

Von Georg PatzerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Georg Patzer

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Das Leben als Schriftsteller kann schon nervig sein: Da sitzt man an seinem Computer und versucht zu schreiben, und dann klopft ständig ein Nachbar und erzählt eine Geschichte, die man unbedingt notieren soll. Eine tolle Geschichte, die beste Geschichte der Welt. Sagt er. Wie kann man da noch in Ruhe arbeiten? So geht es auch Florian Kruft. Halbtags arbeitet er in einem Büro, und von halb drei bis sechs Uhr sitzt er zu Hause und schreibt. Erzählungen sind bereits erschienen, auch ein Band mit Essays. Nichts Besonderes, meint er.

Und dann kommt Schill. Als Kruft eines Tages von seinem Manuskript aufblickt, steht er im Garten: Er interessiert sich für die Wohnung über ihm. Zehn Tage später ist er eingezogen und kommt mit einer Flasche Wein zu ihm. Und dann geht es los wie befürchtet: "Auch wenn er, Schill, nicht schreiben könne, so habe er doch bereits seit langer Zeit eine grandiose Idee." Aber Kruft will sie nicht hören. Ein anderes Mal, sagt er. Am nächsten Tag hört er das Akkordeon, nachmittags, zu der Zeit, "die Kruft für sich und sein Schreiben reserviert hatte, eine Zeit, in der er regelmäßig das Telefon aus der Buchse zog und sich in Jogginganzug und Pantoffeln an den Schreibtisch setzte." Als er nach oben geht, um Schill zu bitten, mit der Musik aufzuhören, erpresst der ihn: Nur wenn Kruft sich seine Geschichte anhört.

Markus Orths, der mit seinem satirischen Roman "Lehrerzimmer" bekannt wurde, hat neue Erzählungen veröffentlicht, in denen er wieder vom Leben in all seinen abstrusen Varianten schreibt. Denn meistens geht es nicht mit rechten Dingen zu. Da wird ein Mann von einer berühmten Frau in ihr Haus nach Spanien eingeladen, und er bekommt Angst, dass sie ihn ermorden will. Ein anderer entdeckt, dass ihn alle Leute an andere erinnern: eine Maya-Frau in Chiapas an Frau Oberschruff in Hohenmemmingen, Stefan Knirsch an Rüdiger Knie - bis er merkt, dass "diese ganze verdammte Welt, die ich bislang als die äußere und äußerste Realität und Wahrheit angenommen und angesehen habe, aus nichts anderem bestand als aus - mir selbst." Da lässt sich eine Frau von Konrad zulabern, bis dessen Freundin Heike ihn mit einer Axt erschlägt. Da wächst Katharina zu gigantischen Ausmaßen, bis sie eine Riesin ist, und statt ihr Kind zu gebären, bleibt es in ihrem Leib.

Ein paar nette Einfälle hat Orths, ein paar ironische und sogar sarkastische Ideen, wie sich die Realität plötzlich umstülpt, wie sie ein neues Gesicht preisgibt, eine Fratze vielmehr, die bisher immer hinter der Maske der Normalität versteckt war. Aber die Erzählungen lassen einen trotzdem kalt, sie packen nicht, sie gruseln nicht, sie regen auch nur mäßig zum Nachdenken an. Zu deutlich ist von Anfang an die Absicht des Autors, uns zu verwirren, und viel zu durchschaubar und platt sind seine schriftstellerischen Tricks, mit denen er seine Spuren legt. Zu durchsichtig ist sein gesamtes Unternehmen. Da schleicht sich nicht langsam das Grauen an, entwickelt sich nicht aus den Alltäglichkeiten, greift nicht unmerklich Besitz vom Leser.

Viel zu eindimensional entwickelt Orths seine Plots, und wenn es einmal eine unerwartete Schlusspointe gibt, wie in der Kruft-und-Schill-Geschichte, die wie eine Endlosschleife wieder von vorn anfängt, ist es nicht mehr als ein Gag. Oder sie ist häufig so vorhersehbar wie in "Das große O", wo der Student wegen seiner Arbeit groß gefeiert wird, obwohl er eigentlich total versagt hat. Einige kleinere stilistische Unsicherheiten verstärken noch den Eindruck, dass diese Erzählungen ein wenig zu schnell erschienen sind, dass der Autor nicht genug an ihnen gearbeitet hat.


Titelbild

Markus Orths: Fluchtversuche. Erzählungen.
Schöffling Verlag, Frankfurt a. M. 2006.
168 Seiten, 17,90 EUR.
ISBN-10: 3895610984

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