Ein Leben im Bann von "Eretz Israel"

Christian Buckard erzählt das "extreme Leben" von Arthur Koestler als lebenslange Suche nach der Verwirklichung des zionistischen Traums

Von H.-Georg LützenkirchenRSS-Newsfeed neuer Artikel von H.-Georg Lützenkirchen

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Die Geschichte des 1905 geborenen ungarischen Schriftstellers und Journalisten Arthur Koestler, so eröffnet der Autor Christian Buckard sein Buch über Koestler, "ist die Geschichte eines Extremisten im Jahrhundert der Extreme." Diese Feststellung bezieht er auf den Schwerpunkt, unter welchem er das Leben Koestlers beschreibt: es ist der Jude und Zionist, der ihn interessiert. Infolgedessen konzentriert sich die Darstellung sehr auf Koestlers Verständnis seines eigenen Judentums, seine zionistischen Überzeugungen sowie das daraus sich ergebende Verhältnis zu den Juden in Palästina und dem späteren Staat Israel.

Koestlers Hinwendung zum Zionismus begann während seiner Studienzeit in Wien, wohin die Familie 1914 von Budapest übergesiedelt war. Er trat der Jüdisch Akademischen Verbindung "Unitas" bei, deren Mitglieder als "rauflustige", "diskutierfreudige und trinkfeste Zionisten" galten. Die extreme Körperlichkeit, mit der man ein jüdisch-nationales Selbstbewusstsein gewissermaßen 'trainierte', mochte Koestler auch deshalb gefallen, weil sie ihm ein radikales Auftreten erlaubte, mit dem er eigene Komplexe zu kompensieren vermochte. Buckard schildert den Studenten als jungenhaften Aktionisten mit Hang zu radikalen Thesen. In der Tat weist der Zionismus Koestlers elitäre und unangenehm an nationalistisch-rassistische Wurzeln erinnernde Aspekte auf. Heftig attackierte Koestler die "Sklavenmentalität" der Juden, insbesondere der "Ghettojuden" des Ostens. Sie habe sich bis ins körperliche Erscheinungsbild ausgewirkt. In Haltung und Physiognomie verkörpere der "Ghettojude" seine Unterwerfung, bestätige so das antisemitische Bild, ja mehr noch: leiste selber derart antisemitischen Einstellungen Vorschub. Demgegenüber bewunderte er bei seinen Aufenthalten in Palästina die Erscheinungen der Juden dort: in ihrem jugendlich schönen und aufrechtem Auftreten verkörperten sie für ihn die Befreiung von der verachteten Sklavementalität. Koestlers Theoriekonstrukte mochten in seiner Wiener Zeit einer gewissen Mode des 'Selbsthasses' à la Weininger geschuldet sein. Aber auch später vertrat er Variationen der Theorie einer jüdischen Elite, die immer wieder Ähnlichkeiten mit rassistischen Denkstrukturen aufwies, wenn er beispielsweise die nach Israel kommenden Überlebenden der Konzentrationslager als "psychologische Problemfälle" mit einem Hang zur Asozialität bezeichnete, wodurch sie sowie die vielen einreisenden "Armutsjuden" zu einer "beträchtlichen Wertminderung in jenem menschlichen Material" beitrügen, mit dem der junge jüdische Staat aufgebaut werden sollte.

Die Heftigkeit und Uneinsichtigkeit, mit der Koestler seine Thesen vertrat, ist wesentlich einem gestörten Identitätsgefühl geschuldet. Bereits der erste Besuch in "Eretz Israel" 1926 wird in dieser Hinsicht prägend: im Kibbuzim bleibt er nur ein Gast. Eine gewisse Unverträglichkeit wird deutlich zwischen dem hedonistisch veranlagten Koestler und der entbehrungsreich sowie anspruchslosen Lebensweise der von ihm verehrten zionistischen Siedler. Später wird ihn Israels erster Ministerpräsident Ben Gurion einmal als "Fremden und Goy" bezeichnen. Schmerzhaft spürt Koestler in solchen Momenten seine Zerrissenheit. Er will dazugehören, bleibt aber doch draußen. Umso heftiger fallen dann aber seine politischen Einmischungen aus. Dabei war er, so resümiert der Autor, "in seinem Aktionismus mitunter voller mitreißender, doch blinder Naivität".

Ähnlich verlief auch Koestlers Zugehörigkeit zur KPD. Aus der Sicht eines Zionisten war schon der Eintritt in die KPD 1931 nur schwer verständlich. Koestler selbst machte später eine "kontrollierte Schizophrenie" für den Schritt mitverantwortlich. Buckard leuchtet tiefer: Es war die "Leitidee der Moderne", die Planbarkeit des Fortschritts, die Koestler reizte. "Es war der wissenschaftsbegeisterte Koestler, der in die KPD eintrat." Bereits 1938 trat er wieder aus der KP aus. Seine bitteren Enttäuschungen und Lehren verarbeitete er in seinem wohl bis heute bekanntesten Buch "Sonnenfinsternis".

Mit der Gründung des Staates Israel schien für den Zionisten das Ziel erreicht. Doch Koestlers Sympathie für den jungen Staat verband sich einmal mehr mit einer radikal anmutenden Ablehnung der jüdischen Diaspora: Entweder müsse man Jude in Israel sein oder sich lossagen von seiner jüdischen Identität. Es gebe "rational betrachtet keine Rechtfertigung für eine jüdische Existenz außerhalb Israels."

Derart extreme, die Komplexität der Sachverhalte negierende Einschätzungen, machten Koestler umstritten. Das gilt beispielhaft auch für das 1976 erschienene Buch "Der dreizehnte Stamm" über die asiatischen Chasaren, die im 8. Jahrhundert geschlossen zum Judentum konvertierten. Mit dem Versuch, nachzuweisen, "dass die meisten der heute lebenden Juden 'den Hunnen, Uiguren und Magyaren näher sind als dem Samen Abrahams, Isaak und Jacobs'", wollte Koestler den antisemitischen Rassenwahn gewissermaßen mit dessen eigener Logik ad absurdum führen. Nicht nur, dass er damit aber dem Rassenwahn letztlich einen Kern 'Logik' zusprach, die These von der "nichtjüdischen" Abstammung der Juden wurde selber zum Bestandteil rechtsextremen antisemitischen und antizionistischen Denkens. Koestler sah sich veranlasst, gegen dieses 'Missverständnis' seiner These Einwand zu erheben.

Das "extreme Leben" Koestlers endete am 1. März 1983. Gemeinsam mit seiner 22 Jahre jüngeren Frau Cynthia nahm er sich das Leben.


Titelbild

Christian Buckard: Arthur Koestler. Ein extremes Leben 1905-1983.
Verlag C.H.Beck, München 2004.
416 Seiten, 24,90 EUR.
ISBN-10: 3406521770

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