Zirzensisch leuchtende Illusionen
"Die Familie Popescu" - ein poetisches Manifest von Cristian Popescu
Von Ron Winkler
Besprochene Bücher / Literaturhinweise"Der Stammbaum der Familie Popescu ist prächtig. Er wächst im Cismigiu-Park neben dem See. Immer ist er mit Kugeln und Silberlametta geschmückt und dazu mit einem Telegraphenmast veredelt. Zwischen seine Äste haben wir Nippesfrüchte und Porzellanfiguren gehängt. In seine Rinde haben wir mit einem Taschenmesser eingeritzt: 'Popescu + Dana + Cristi + Mama = LOVE'." (Cristian Popescu)
Es ist erstaunlich, welche poetischen Edelformate und literarischen Sonderstücke die kleine Reihe "abrasch" in der nur leicht größeren "edition per procura" immer wieder zu entdecken vermag. Gerade ist ein - aufregend zwischen Lyrik und Prosa balancierender - Zyklus von Texten erschienen, den wir der Feder des hierzulande im Prinzip unbekannten rumänischen Dichters Cristian Popescu verdanken.
Diese mit großer schnippischer Geste "Familie Popescu" betitelten Literaturkörper (im Original erstmals 1987/88 erschienen) weisen die Physik von Träumen auf, die Statik multipel surrealer Panoramen. Beinahe jede Zeile demonstriert die schöpferische Kraft eines ungewöhnlichen Blicks. Popescu handelt mit der reizvollen Währung eines harlekiniadischen Schauens - wenngleich auch der Tauschakt zwischen Autor und Leser nie ganz frei von bitterem Beigeschmack bleibt. Gleich der erste Text entführt in diese für Popescu typische Zone zwischen überschwänglichem Kreativitätskino und kühlem Statusbericht:
"Mutter verteilt sich den Rost auf den Lippen und bewegt sachte den Fächer, um das Mondlicht im Zimmer zu verteilen, damit sie sich besser erinnern kann. Ich renne schnell-schnell von einer Seite des Zimmers zur anderen und stoße so hart wie möglich an die Wände, damit es wie eine Glocke tönt."
Aber das Buch ist mehr als eine Ansammlung kleiner, mehr oder weniger aparter Skizzen. Es ist eine irre Fahrt entlang eines überbelichteten Stammbaums - eines Stammbaums, den Vater "mit einer Axt veredelt" hat. Die "Familie Popescu" ist ein scheinbar vor sich hin gaukelnder, im Kern aber abgründiger Taumel, wie man ihn in der rumänischen Lyrik nicht selten findet.
Hinter der Feier der exorbitanten Rede - Popescus Text stammt aus der Spätphase des rumänisch-sozialistischen Regimes - verbirgt sich auch die Reaktion auf ein streng materialistisches Weltbild. In der statischen Atmosphäre sozialistischer Emphatik musste eine derart hochtourige Literatur zwangsläufig wie ein heilloser Dekadenz-Overflow wirken.
All die Persiflagen nur als Strategie zu lesen, hieße, diesen Ansatz misszuverstehen. Er wurzelt tief in surrealistischen Traditionen. Die "Familie Popescu" ist eine große Fantasiegeste, die sich innerhalb jeder Literatur strikt von der Zone gut gemeinter realistischer Langeweile absondern würde. Denn wie fabelhaft ist es, dass Schwarze unter den Fingernägeln als Schnee niedergehen zu lassen; wie unübertrefflich, wenn man durch einen Wald aus Stammbäumen spazieren kann; wie wunderbar befremdlich, Theoriestraßenbahnen zu erfinden, in denen nur Brautpaare fahren.
Die Figuren - Vater, Mutter, Tante, Großvater, Großmutter, Schwester - haben auch den Charakter von Theoremen. Sie sind Gestalten auf der prunkvollen Bühne einer Sprache, die auf den Fundamenten eines faden Lebens errichtet ist. Sie dienen als Projektionsfläche für den Charme von Unfug, für die Sonderbarkeit eines poetischen Wahrnehmens inmitten der Rationalitätsraster des Alltags.
Von Beginn an "märchenhaft tragisch" (Radu Teposu) inszeniert, bildet diese "Familie Popescu" ein Universum von irrelevant idealistischen Verrichtungen, zirzensisch leuchtenden Illusionen, versehen mit metaphorischen Rettungsankern und einer darin eingebetteten entwaffnend absurden Aufrichtigkeit.
"Da sind etliche Schmetterlinge im Wattepaket, Großmutter. Ich habe sie dir hinein getan. Vielleicht wehren sie sich noch, vielleicht aber haben sie sich schon beruhigt. Auch das Innere des Brotes ist aus Watte. Weiß und flaumig. Dein Foto ist traurig, zufrieden und zärtlich, dein kleines Foto wird auf allen Weinflaschen als Etikett benutzt. Wir trinken. Weiße Watte ist in den Gläsern, wie Milch. Verzeih mir, Großmutter, für dieses Gedicht. Vielleicht ist es besser, wenn du es nicht hörst. Die Seiten der Bücher, die du von mir ausgeliehen hast, leckten dir die Hände wie ein treuer Hund. Was war das für ein Ereignis, als dir der Rock bis über die Knie hoch rutschte und du es nicht merktest. Alle haben wir uns gefreut."
Cristian Popescu, der clowneske Halbrenegat, paart die Liebeserklärung mit dem Kollaps und verbindet Verluste zu einer zärtlichen Symphonie. Das lässt selbst durch das muntere Vaudeville hindurch immer wieder ein "beunruhigendes Trommeln" (Daniel Banulescu) spüren. Im artistischen Gewand stecken Sentiment, Sentimentalität und immer auch der Schrei nach Individualität.
Cristian Popescu verstarb 1995 fünfunddreißigjährig, die Todesumstände sind nicht geklärt. Mit "Familie Popescu" hinterließ er ein wunderbares, vitales Manifest eruptiver Phantasie und barocker Abschweifung. Zugleich aber auch ein subtil verzweifeltes Bekenntnis, uneigenwillig nicht denken, nicht leben zu können. Sein Spiel ist eben nicht nur ein zeitloser Tanz der Artistik zu einer hochmetaphorischen Melodie, sondern zugleich auch das Klagelied auf "das verlorene Leben des Cristian Popescu" - und: eine Furie.
"Aus meinem Namen", schreibt Popescu einmal, "kann sich niemand ein Gebet machen." Dafür aber eine formidable Lektüre.