Tragik in leichtfüßiger Fragmentierung
In ihrem Roman "Im Warten sind wir wundervoll" erzählt Charlotte Inden mit verhaltenem Elan die Geschichte einer War Bride
Von Anne Amend-Söchting
Eines Nachts wurde Charlotte Inden, so erzählt sie in der „Author’s note“ am Ende ihres Romans, von einem Fait divers so überwältigt, dass die Geschichte dahinter sie nicht mehr losließ. In einem Archivtext im Internet stieß sie auf den Fall von Elisabeth Albinus, einer sogenannten War Bride, die von München nach New York flog und dort vergeblich auf ihren Verlobten wartete. In guter alter Tradition des Realismus verarbeitete Inden dieses Fundstück zu einem Roman.
Gleichzeitig hat die Autorin sich, so hat es zumindest den Anschein, von einem ihrer Romane für Kinder und Jugendliche inspirieren lassen. In Anna und Anna (2013) erzählt sie von einem zwölfjährigen Mädchen und ihrer Großmutter. Beide heißen Anna. Sie spenden sich gegenseitig Trost In Freundschafts- und Liebesangelegenheiten.
Im Warten sind wir wundervoll beginnt mit einer Szene auf dem Flughafen Idlewild, später John F. Kennedy: kurz vor Weihnachten 1948 kommt „Fräulein Luise Adler“ dort an. Mit ihrem Verlobten Jo Hunter hat sie vereinbart, dass er sie abholt. 70 Jahre später macht sich Luises Enkelin Elfie auf den Weg von Frankfurt nach New York, um ihren Verlobten, der seit einem knappen Jahr in den USA weilt, zu überraschen. Da sie an Flugangst leidet, beginnt sie, ihrem Sitznachbarn, dem Engländer Stephen, die Geschichte ihrer Großmutter zu erzählen.
Dass die Geschichte der Großmutter eigentlich den Status einer Binnenerzählung einnimmt, wird kaum deutlich. Grundsätzlich laufen beide Stränge des Romans, mit den erzählten Jahren 1945 bis 1948 und respektive 2018, weitestgehend autonom nebeneinander ab.
Als Elfie ihren Verlobten trifft, ist sie zwar enttäuscht, dass er offensichtlich eine andere Partnerin gefunden hat, kann sich aber schnell mit Stephen trösten. Er und Elfie haben Gefühle der Zuneigung füreinander entwickelt und können sich eine gemeinsame Zukunft in London vorstellen.
Luise Adler, Elfies Großmutter, trifft kurz vor Ende des Zweiten Weltkrieges „Staff Sergeant Jo Hunter“ und dessen Freund „Corporal Henry Wilson“. Hunter, auf der Suche nach einem „paper boy“, der die Zeitschrift Stars and Stripes, gedruckt für Angehörige der amerikanischen Besatzungszone, austragen könnte, entschließt sich kurzerhand dazu, mit Luise ein „paper girl“ anzuheuern. Mit dem Fahrrad ihres im Krieg verstorbenen Bruders fährt sie nun tagtäglich viele Kilometer in der mittelhessischen Besatzungszone, um die Zeitung an amerikanische Soldaten zu verteilen.
Nach dem Krieg holt Luise ihr Abitur nach. In Marburg beginnt sie, Kunstgeschichte zu studieren. Sie trägt weiter Zeitungen aus, trifft Hunter immer öfter. Die gegenseitige Anziehung wächst. Obwohl sie als „Amieliebchen“ dysphemisiert wird, lässt sich Luise in ihrer Liebe nicht beirren. Obwohl sie und Hunter wissen, dass eine Ehe in den USA nicht anerkannt werden würde, verloben sie sich. Er kehrt in die USA zurück, Luise verspricht, nachzukommen. Das Inkrafttreten des War Brides Act stimmt sie enthusiastisch, doch der plötzliche Tod ihres Vaters verzögert den Abschied vom Rest der Familie um viele Monate. Kurz bevor der Act seine Gültigkeit verliert, landet sie in Idlewild. Als sie einsam am Flughafen steht, nehmen sich Rosie, Mitarbeiterin einer Airline, und Ernest, ein ehemaliger Journalist, nun Zeitschriftenhändler, ihrer an. Ernest verfasst einen Artikel über sie, auf den hin sich viele Eheinteressierte melden. Nach einigen Tagen des Wartens klärt sich, warum Hunter nicht am Flughafen war und sich noch nicht einmal bei Luise gemeldet hat. Alles wird gut.
Die Rückwendung in die 1940er Jahre aus Elfies Erzählung heraus doppelt sich mit ihrem Plan, den Verlobten überraschen zu wollen. Das Alternieren zwischen den Zeiten ist zwar attraktiv und bietet die Chance wechselnder Perspektiven. Dennoch ermüdet es beim Lesen und wirft die Frage auf, ob eine Binnenerzählung in einem Guss mehr Spannung entfaltet hätte. Mit der Rückkehr zur Initialszene am Ende des Romans schließt sich ein Kreis, womit sich eine Struktur oder gar das Bedürfnis der Lesenden nach einer solchen erfüllt. Im Verlauf des Romans indessen fällt alles Strukturelle einer gnadenlosen Destruktion anheim. Über die vielen Parzellen des Erzählens hinweg – Kapitel, die in sehr kleine nummerierte Einheiten zerfallen – bleibt das Ausfeilen der Histoire hin zu einem wohldimensionierten, mehrschichtigen Discours ein fragmentarisiertes Versprechen. Einerseits. Andererseits wiederum lauert unter dieser Oberfläche ein „Fallgrubensystem“ – so wie Wolfdietrich Schnurre mit meisterhafter Metaphorik den Text und die Problematik einer Kurzgeschichte theoretisiert hat. Unter der Geschichte dräut sehr viel Denkwürdiges, Tragisches, Erschütterndes, das wohl benannt wird, aber der Elaboration harrt. Oft bieten die knappen Einheiten das, was man in einer Kurz- oder Kürzestgeschichte erwartet, was aber in einer Geschichte mit sehr viel Potenzial, einem Stoff, der regelrecht danach dürstet, in epischer Breite gestaltet zu werden, tendenziell befremdlich wirkt.
Dem Motiv der War Bride wohnt sehr viel Kitschpotenzial inne und dessen ist sich Inden zweifelsohne bewusst. Vielleicht – so lässt sich mutmaßen – hat die Autorin nach Modellierungsmöglichkeiten gesucht, die den Kitschgehalt einer bloßen Liebesgeschichte entschärfen. Außerdem könnte das formal Zersplitterte Luises Unsicherheit beim Aufbruch in den unbekannten Kontinent perfekt spiegeln, zudem den Zustand Deutschlands nach dem Krieg – ein zertrümmertes Land mit vielen traumatisierten Menschen. Eine Gestalt, die den Gehalt abbildet, begründet einen narrativen Move, der kohärenzstiftend sein könnte, jedoch in einem Potpourri an Mikroimpressionen landet. Über diesem schwebt eine neutral bleibende Erzählstimme, die nichtsdestoweniger changiert, sich unterschiedlichen Personen anpasst und sich sogar zu einer Art Bewusstseinsstrom steigern kann, der in Dialogen zu intensivem „Sprechdenken“ mutiert. Leider schreitet es nicht zu reflektierender Tiefe voran. Möglicherweise aber beziehen viele Dialoge gerade daraus ihre Lebendigkeit und betonen somit die Unmittelbarkeit zeitdeckenden Erzählens.
Einfach, doch in anaphorischer Intensität werden Luises Gedanken zu den Insassen einer abgestürzten amerikanischen Militärmaschine notiert, als sie den Unglücksort mit Hunter und Wilson besucht:
Hier waren sie gestorben.
Hier waren sie gefunden worden.
Hatte sie jemand beweint?
Hatte sie jemand betrauert?
Sie wurden geborgen.
Sie wurden begraben.
Diese Passage ist nahezu lyrisch und stark affektiv eingefärbt, im Romankontext jedoch skizzenhaft und neutral, so, als ob jemand eine Kamera auf den Ort hielte.
Die Lakonie und Schlichtheit des Erzählens in kleinen Parzellen fügen sich zu einer Strategie der Abwendung von zu viel Emotionalität, zu einer Methode des Umgehens mit den Erinnerungen an die Kriegszeit. Ihrer Freundin Annie vertraut Luise an, dass sie manchmal, wenn sie sehr betrübt sei, „so ein Hunger nach Lachen und Musik“ befalle. Dann wolle sie sich „nicht erinnern, sondern einfach nur tanzen“.
Auch als sich Hunter und Wilson über ihr Dasein als Soldaten austauschen, ergibt sich eine narrative Einheit mit hoher Bedeutungsdichte. Wenn sie bei der Entnazifizierung auf Menschen schießen müssen, bemerken sie, wie sie sich selbst und die Soldaten in ihrem Umfeld verändern, sie „wussten: Es ist falsch, zu töten. Oder gar glaubten: Es ist eine Sünde, zu töten. Aber, dachte Hunter, wenn du dir einredest, dass es kein Mensch ist, den du da tötest, sondern nur ein Übel, das du ausmerzen musst, dann lässt sich das Töten vertreten. Feiern gar. Und überleben. Vor allem überleben.“
Henry Wilson ist die tragischste Romanfigur. Er verzweifelt, wenn er sich an seinen Einsatz in Deutschland erinnert. Als stark traumatisierter Charakter – der junge Mann, der einen Suizidversuch unternimmt – ist er nicht ausbuchstabiert, jedoch prononcierter gezeichnet als andere, bei denen sich die Vulnerabilität, so etwa bei Luises Schwester Lene, nur erahnen lässt. Es ist bedauerlich, dass den meisten Figuren das Runde und Plastische fehlt. Gerade die Protagonist:innen, Luise und Hunter genauso wie Elfie und Stephen, sollten individualisierter gezeichnet sein, als weniger den Zeitläuften und der Liebe verfallen. Insbesondere diese beiden sind in einer kuriosen Gemengelage von emotionaler Nähe und rational geprägter Distanz befangen. Momente des an sich erwarteten Innamorato weichen einer Zuneigung, die quasi nebenbei entsteht.
Die mehrfach als lobenswert erwähnte Eigenschaft von Großmutter und Enkelin ist, dass sie „sich nicht kleinkriegen lassen“. Selbst als Luise „mit Schnappatmung“ am Idlewild Airport sitzt, möchte sie nicht wahrhaben, dass sie Panik hat. „An den Nerven haben es immer nur die anderen. Zusammenbrechen tun alle außer mir. Ich nie. Ich kann nicht. Ich darf nicht.“ Kann diese Resilienz, die mehr Apathie als autonomes Agieren zu sein scheint, dauerhaft Bestand haben oder wäre sie doch zu kräftezehrend? Darüber lässt sich nur spekulieren.
Zu berücksichtigen ist im besten Sinne, dass Charlotte Inden vor allem eine Autorin von Kinderbüchern ist, deren Ästhetik die Bearbeitung des Stoffes für Erwachsene beeinflusst. Die Autorin setzt sprachliche Mittel ein, die auch in ihren Kinderbüchern vorherrschen, die aber zum Gesamtduktus des Romans passen. Lediglich auf Redundanzen hätte sie verzichten sollen, allen voran auf das dreifache „tabloid star“, immer mit Bezug auf Luise, die „nicht geplant“ hatte, „tabloid star zu werden“.
Romane, die in der Nachkriegszeit, in den 1940er und 1950er Jahren spielen und deren Inhalte die intergenerationale Dimension wesentlicher biografischer Erfahrungen unterstreichen, haben aktuell Hochkonjunktur. Dem Vergleich mit ähnlichen Thematiken, etwa mit Susanne Abels Stay away from Gretchen, kann Im Warten sind wir wundervoll durchaus standhalten. Wer jedoch Reflexionstiefe im Verein mit Pageturning sucht, ist mit den Romanen der norwegischen Autorin Trude Teige in jedem Fall besser bedient – Als Großmutter im Regen tanzte (2023) sowie Und Großvater atmete mit den Wellen (2024).
Indens Roman hat dann Glanzpunkte, wenn es um die Ankunft der „War Bride“, genauer gesagt, der „War Fiancée“ geht. An diese heran reichen einige Kapitel, die im Marburg der Nachkriegszeit spielen. In all diesen Teilen touchiert die Autorin narrative Vielschichtigkeit, es koexistieren Unbeschwertes und Belastendes. Dann konstruiert Inden mit der omnipräsenten Parataxe und den rhetorischen Figuren in ihrem Gefolge eine Ästhetik, die zwar Gefahr läuft, mit ihrer federartigen Leichtigkeit zur Beliebigkeit zu verkommen, die aber gleichzeitig die Chance begleitet, einen Bodensatz angemessener Erinnerungen zu bewahren und den Aufbruch zu Neuem zu beschleunigen.
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