Beziehungsstatus: Es ist kompliziert!

Eva Illouz und Dana Kaplan thematisieren in „Was ist sexuelles Kapital?“ das intime Verhältnis von Sex und Kapitalismus

Von Carina GrönerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Carina Gröner

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Sex sells, das ist klar, ebenso wie die Tatsache, dass Sex und Ökonomie auf vielerlei Weise miteinander zu tun haben. Das wissen wir schon lange, dank vieler Beispiele aus Kunst, Literatur und aus der Geschichte, wo diese Themen sich großer Beliebtheit erfreuen. Sex und Geld sind eben immer interessant.

Aber wie genau funktionieren diese Zusammenhänge? Die Basis einer systematischen Erklärung bildet Pierre Bourdieus Erweiterung des Kapitalbegriffs um immaterielle Wertesysteme, nämlich soziales oder kulturelles Kapital[1] aus den 1980er Jahren, auf der auch der vorliegende Essay von Eva Illouz und Dana Kaplan aufbaut. Analog zu Bourdieu wird die Metapher „sexuelles Kapital“ immer wieder bereits unsystematisch verwendet. Der Begriff „sexuelles Kapital“ baut auf Catherine Hakims „erotischem Kapital“ auf[2], das sie als eine weiblich konnotierte Fähigkeit versteht, Sexualität in ökonomischen Vorteil umzuwandeln (S.14).

Illouz und Kaplan gehen einen Schritt weiter und versuchen sich im vorliegenden Essay an einer systematischen Definition: „Die Metapher des sexuellen Kapitals unterstellt, dass Sex weit über die sexuelle Aktivität an sich hinaus ein Produktionsmittel für künftige Gewinne ist“ (S. 10). Sie definieren den Begriff des sexuellen Kapitals anhand von vier idealtypischen Kategorien: Als erste nennen sie „Vorgegebenes sexuelles Kapital: Keuschheit und Häuslichkeit“ (S. 57–62). Diese Kategorie leitet sich aus der historisch und religiös patriarchal geprägten Unterscheidung zwischen „gutem“ Sex zur Reproduktion und „schlechtem“ Sex zum Erwerb von Kapital ab. Als zweite Kategorie sexuellen Kapitals erscheint der „Mehrwert des Körpers“ (S. 62–71), der zum Beispiel in der Prostitution verkauft werden kann. Hierbei zeigt sich ein Wandel in der jüngeren Vergangenheit, bei dem sich Sexarbeit langsam an reguläre Dienstleistungstätigkeiten anzunähern beginnt und einen Dienstleistungsgedanken in den Vordergrund stellt, etwa im Bereich der Internetpornographie, wo Arbeitende eine höhere Selbstbestimmung und weniger soziale Abwertung aufgrund der Arbeit erfahren.

Die dritte Kategorie ist „verkörpertes sexuelles Kapital: Begehrtheit, Sexyness und praktisches sexuelles Wissen“ (S. 71–82). Bei dieser Art sexuellen Kapitals ziehen ganze Branchen Mehrwert aus sexualisierten Körpern und dem sexuellen Selbst, wie man es gerade auch in der Kulturproduktion oder in kulturellen Bilderwelten gut beobachten kann (S. 44). Als Beispiele hierfür lassen sich zahlreiche Instagram Storys oder Fernsehproduktionen wie Paula kommt nennen.

Als letzte und impliziteste Kategorie beschreiben Illouz und Kaplan „Neoliberales sexuelles Kapital, Selbstwertschätzung und Arbeitsmarktfähigkeit“ (S. 82–97) und identifizieren sexuelles Erleben als bedeutsamen Bestandteil der Persönlichkeitsentwicklung von Individuen der Mittelkasse, die durch sexuelle Erfahrungen Selbstbewusstsein aufbauen, Autonomie erleben, soziale Kompetenz steigern und eine höhere Zufriedenheit erlangen können. All diese impliziten Effekte wirken sich positiv auf die Arbeitsmarktfähigkeit aus.

Diese Idee des neoliberalen sexuellen Kapitals stellt die zentrale These des vorliegenden Essays dar und geht damit über die zuvor im Text diskutierten TheoretikerInnen hinaus: Illouz und Kaplan

verstehen neoliberales sexuelles Kapital als die Summe individuell akkumulierter sexbezogener affektiver Zustände, die Gefühle des Selbstwerts und der Selbstbestimmung hervorrufen, insbesondere solche, die mit Risikobereitschaft, Einzigartigkeit, Selbstverwirklichung, Kreativität und Ehrgeiz zusammenhängen. (S. 88)

Dabei gilt dies nur für diejenige gesellschaftliche Gruppe, welche soziale Privilegien im beruflichen Umfeld schafft und reproduziert, nämlich „Menschen mit Mittelklasse-Habitus“ (S. 91) und es gilt gleichermassen für Frauen und für Männer. Damit wird für diese Gruppe „verkörperte Eigenschaften und Beschäftigung“ (S.100) verknüpft. Das stützt die feministische These, dass Sexualität und die ganze „Sphäre der Reproduktion […] unmittelbar an der Erhaltung des kapitalistischen Systems und an der Kapitalbildung mitwirkt“ (S. 102), denn die Kategorie von neoliberalem sexuellem Kapital ist auf eine sehr große soziale Gruppe anwendbar und damit besonders wirkmächtig.

In diesem stringent argumentierten und gleichzeitig durchaus genussvoll zu lesenden Essay finden wir nicht nur eine detaillierte Definition der vier Kategorien des Begriffs „sexuelles Kapital“, welche sich von offener bis zur impliziten Monetarisierung der Sexualität erstrecken, sondern gleichzeitig eine historisch und soziologisch überzeugend zusammengetragene Erklärung für komplexe Zusammenhänge zwischen Sexualität und Ökonomie und daraus resultierender sozialer Phänomene. Das hier vorgestellte neue Konzept des neoliberalen sexuellen Kapitals schafft also erstmals eine logische Verbindung zwischen privatem sexuellem Erleben, der Zugehörigkeit zur „Mittelklasse“ und zu der Wirtschaftsform des Kapitalismus als Basis menschlichen Handelns im privaten und ökonomischen Bereich.

Sex sells, wird also auch in Zukunft gelten und Geschichten und Bilderwelten zu diesem Themenbereich werden weiter florieren. Aber dank dieses Essays können wir vielleicht die Zusammenhänge ein wenig besser verstehen.

[1] Pierre Bourdieu: Ökonomisches Kapital, kulturelles Kapital, soziales Kapital. In: Reinhard Kreckel (Hg.): „Soziale Ungleichheiten“ (Soziale Welt Sonderband 2), Göttingen 1983, S. 183–198.

[2] Catherine Hakim: Erotisches Kapital. Das Geheimnis erfolgreicher Menschen. Übers. V. Susanne Kuhlmann-Krieg, Frankfurt a.M /New York 2011.

Titelbild

Dana Kaplan / Eva Illouz: Was ist sexuelles Kapital?
Aus dem Englischen von Michael Adrian.
Suhrkamp Verlag, Berlin 2021.
125 Seiten , 22,00 EUR.
ISBN-13: 9783518587720

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