Zum zweiten Mal verschwunden

Mit „Moonlight Mile“ hat Dennis Lehane 2010 seine Kenzie & Gennaro-Reihe abgeschlossen – nun hat Peter Torberg den Roman neu übersetzt

Von Dietmar JacobsenRSS-Newsfeed neuer Artikel von Dietmar Jacobsen

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Zwischen 1994 und 1999 veröffentlichte Dennis Lehane die ersten fünf Bände seiner Kenzie & Gennaro-Reihe. Dann ließ er sich elf Jahre Zeit – in dieser Zeitspanne erschienen unter anderem seine auch erfolgreich verfilmten Meisterwerke Mystic River (2001)und Shutter Island (2003) –, ehe er nochmals auf das Detektivduo Patrick Kenzie und Angela Gennaro zurückkam und mit Moonlight Mile (2010) die Reihe abschloss. Das Besondere an diesem sechsten und letzten Band: Er rekrutiert auf Band 4 der Serie, Gone, Baby, Gone (1998), in dem die Bostoner Detektive die Spur eines entführten vierjährigen Mädchens aus dem White-Trash-Milieu verfolgen und sich am Ende zu entscheiden haben, ob sie entweder Recht und Gesetz folgen oder auf ihr Mitgefühl hören wollen.

Inzwischen sind mehr als zwölf Jahre ins Land gegangen, Kenzie und Gennaro miteinander verheiratet und selbst Eltern einer vierjährigen Tochter namens Gabriella. Da werden sie plötzlich an die damals entführte Amanda McCready erinnert. Denn deren Tante wendet sich ein zweites Mal an Patrick Kenzie mit der Bitte, ihr bei der Suche nach der erneut Verschwundenen zu helfen. Patrick arbeitet inzwischen als freier Mitarbeiter für die renommierte Privatdetektei „Duhamel-Standiford Global“ in Boston. Eine Festanstellung wurde ihm von deren Bossen in Aussicht gestellt. Aber obwohl er die ihm übertragenen Fälle zur allgemeinen Zufriedenheit löst, bemerkt man doch sein inneres Widerstreben, wenn er reichen Klienten zu Vorteilen verhelfen muss, die diesen eigentlich nicht zustehen. Also zögert man in der Agentur noch damit, ihn mit einem ein festes monatliches Gehalt garantierenden Vertrag auszustatten.

Allein das Leben ist teuer geworden. Und die Pläne, die Patrick und Angela für ihre Zukunft haben, lassen sich ohne die entsprechenden finanziellen Mittel nicht verwirklichen. So bleibt Patrick Kenzie fast gar nichts anderes übrig, als sich auf die Suche nach Amanda McCready zu machen, auch wenn er alles andere als gute Erinnerungen an jene Zeit hat, als man die Vierjährige zum ersten Mal ausfindig machte und zu ihrer Familie zurückbrachte. Dass aus Amanda inzwischen eine junge, selbstbewusste Person geworden ist, überdurchschnittlich intelligent, nicht auf den Mund gefallen und mit glänzenden Zukunftsaussichten, beruhigt zwar das Gewissen der beiden Kenzies, deren Beziehung damals, als man sich zu entscheiden hatte zwischen Recht und Gefühl, fast in die Brüche gegangen war, bringt andererseits aber auch neue Probleme mit sich.

Mit Moonlight Mile schließt der Züricher Diogenes Verlag seine Neuübersetzung der Kenzie & Gennaro-Bände – die deutsche Erstübersetzung für den Ullstein Verlag hatte zwischen 1999 und 2011 Andrea Fischer besorgt – ab. Bis auf den ersten Band, der von Steffen Jacobs übertragen wurde, hat sich einer der renommiertesten deutschen Übersetzer aus dem Englischen, Peter Torberg – übersetzte neben vielen anderen Werke von Patricia Highsmith, John le Carré, Ray Bradbury und John Irving –, nun der Reihe angenommen. Da seit der deutschen Erstausgabe inzwischen gut anderthalb Jahrzehnte vergangen sind, wirkt seine Übertragung nicht nur deutlich moderner, sondern bringt einer neuen Generation von Leserinnen und Lesern einen Autor nahe, der unterm Strich kaum etwas von seiner Aktualität verloren hat.

Was Letzteres betrifft, so fällt an Moonlight Mile im Unterschied zu den fünf vorangegangenen Bänden der Reihe vor allem die kritische Auseinandersetzung Lehanes mit dem Amerika der Bush-Jahre auf. Und der Autor nimmt kein Blatt vor den Mund, wenn es um soziale Verwerfungen, Arbeitslosigkeit und die verheerenden Folgen von Finanz- und Immobilienkrise geht. Alles, was einst unter dem Schlagwort des „Amerikanischen Traums“ subsumiert wurde, scheint inzwischen in weite Ferne gerückt. So dass einer jener zahlreich im Roman auftretenden Figuren, die sich mit den sozialen Folgen des spürbaren Niedergangs herumschlagen müssen, Patrick Kenzie gegenüber nur noch illusionslos konstatieren kann: „All das, was unsere Väter für gegeben hielten, solange man nur hart arbeitete, das große Sicherheitsnetz und der faire Lohn und die goldene Uhr am Ende? Davon ist hier nichts mehr übrig, mein Freund.“

Deshalb auch führen Patricks und Angelas Wege auf den Spuren von Amanda McCready sie in Orte, die der zuende gegangene Bauboom als Ruinenlandschaften hinterlassen hat. Konfrontieren sie mit Ärzten, die ihren Job aufgegeben haben, nachdem ihnen klar geworden war, dass man von ihnen nicht erwartete, Leben zu retten, sondern Profit zu machen. Und lassen einen alten Freund des Pärchens, Bubba Rogowski, neuerdings im „Schwarzmarkt für Gesundheitsleistungen“ tätig sein, indem er illegal beschaffte Pillen an diejenigen vertickt, die sich die in die Höhe schießenden Preise der Pharmaindustrie schon längst nicht mehr leisten können.

Letzten Endes hat das Leben der zurückliegenden Jahre auch dafür gesorgt, dass aus dem coolen Paar, das einst jeden Kampf angenommen hat, als wäre es der letzte, zwei Menschen geworden sind, die nicht zuletzt auch die Verantwortung für ihre vierjährige Tochter dazu gebracht hat, sich nach und nach hinter ihre je eigenen „Schutzmauern“ zurückzuziehen. „Ihre Mauer besteht aus verhaltenem Zorn und misstrauischer Abkopplung. Meine besteht aus Humor und Sarkasmus. Zusammen ähneln wir einem Komiker, der in der Aggressionsbewältigungstherapie scheitert“, lässt Dennis Lehane seinen männlichen Protagonisten deshalb abgeklärt resümieren.

Weil aber Unrecht Unrecht bleibt, auch wenn sich die Koordinaten, innerhalb derer sich das Leben von Patrick und Angela abspielt, verschoben haben und man sich, was den Fall Amanda McCreadys betrifft, immer noch zwar im Einklang mit dem Recht, aber nicht mit seinem eigenen moralisch-ethischen Kompass befindet, kommt es auch diesmal nicht in Frage, klein beizugeben. Und so opfern Lehanes sympathische Helden ein letztes Mal ihr friedlich-beschauliches Leben und werfen sich in den Kampf gegen russische Mafiosi und Menschenhändler im Gewand biederer Beamter. Und das alles ohne einen Funken schlechten Gewissens. Denn wie Patrick Kenzie am Ende erkennt: „Meine guten Taten übertreffen mein Bedauern.“

Titelbild

Dennis Lehane: Moonlight Mile. Ein Fall für Kenzie & Gennaro.
Diogenes Verlag, Zürich 2025.
400 Seiten , 19,00 EUR.
ISBN-13: 9783257300475

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