Weiblicher Widerstand

In „Aufstand der Frauen“ ermittelt Petros Markaris’ Athener Kommissar Kostas Charitos zum ersten Mal nicht selbst

Von Dietmar JacobsenRSS-Newsfeed neuer Artikel von Dietmar Jacobsen

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Kostas Charitos ist aufgestiegen. Um die Mordfälle, mit denen er sich bisher herumschlagen musste, kümmert sich jetzt seine Nachfolgerin Antigoni Ferleki. Trotzdem fällt ihm das Loslassen schwer. Und als neuer Leitender Kriminaldirektor der Polizeidirektion Attika ist er ja auch nicht so weit weg von den kriminellen Machenschaften rund um Athen. Im Gegenteil: Wenn einmal irgendeine Ermittlung nicht so läuft wie gewünscht, trifft ihn der Blitz aus dem Ministerium nun sogar noch eher als bisher.

So wie man Charitos aus den vorausgegangenen 14 Romanen kennt, tut er sich immer noch schwer damit, den Zorn von Vorgesetzten und Ministeriellen einfach weiterzuleiten auf seine Untergebenen. Lieber steht er Letzteren zur Seite, packt selbst mit an, wo es nötig ist und ohne sich dabei in den Vordergrund zu spielen. Und so wird die Freude über den verdienten Aufstieg – Ehefrau Adrianis ab sofort besser ausgestattete Haushaltskasse erlaubt statt der obligatorischen gefüllten Tomaten nun ab und an sogar einmal Lammbraten zu festlichen Anlässen – bald wieder von den Sorgen des Alltags eingeholt.

Die bereitet ihm zunächst der Auftrag, sich um die Sicherheit einer Gruppe ausländischer Investoren zu kümmern, die mit großen Plänen angereist sind. Um nichts Geringeres als die Wiedererrichtung der athenischen Demokratie geht es den von den Verschleißerscheinungen der modernen Demokratien in ihrer westlichen Heimat aufgeschreckten Wirtschaftsbossen vordergründig. Deshalb sollen nicht nur große Firmensitze nach Griechenland verlegt werden, sondern auf der von Waldbränden schwer in Mitleidenschaft gezogenen Insel Euböa plant man die Errichtung einer Gemeinschaft ganz im Sinne von Platons Idealstaat. Dass es dort kaum Altertümer gibt und zu Zeiten des berühmten Philosophen auch keine Yachthäfen für die Boote der Superreichen existierten – wen stört das schon? Denn Künstliche Intelligenz ist ja längst in der Lage, von allem, was es je gab, Kopien herzustellen. Demokratie aus dem 3-D-Drucker sozusagen – mit dem Sahnehäubchen eines Weltraumflughafens, von dem aus man ein Abbild des antiken Griechenlands hinauf ins All befördern könnte. Welche Griechin und welcher Grieche wäre da nicht von Stolz erfüllt?

Kostas Charitos hat schon viele Investoren kommen – und auch schnell wieder gehen sehen. Und deshalb sorgt er sich mehr um die potenziell kriminellen Begleiterscheinungen, die solcherart Auftritte noch jedes Mal hatten, als dass er an die versprochene rosige Zukunft für seine Heimat glaubt. Bevor freilich die für einen Kriminalroman obligatorischen Gewalttaten die Athener Mordermittler unter ihrer neuen Leiterin in Aufregung versetzen, taucht eine Gemeinschaft von jungen Frauen auf, die sich „Die Karyatiden“ nennen. Damit spielt die zum großen Teil aus Studentinnen der Archäologie sich rekrutierende Gruppe auf jene Frauen-Gestalten aus der griechischen Mythologie an, die als Vorbilder für die in der Architektur verbreiteten Frauenskulpturen als tragende Elemente von Ziergiebeln dienten, und protestiert in deren Namen gegen die Pläne der ausländischen Investoren.

Als im Laufe der Geschichte immer wieder zu Opfern gewordene wahre Träger „unserer Häuser, unserer Familien und unserer Kultur“ rufen die „Karyatiden“ zum Widerstand gegen die Instrumentalisierung der altgriechischen Zivilisation zu Zwecken ausländischer Kapitalvermehrung auf. Und ahnen wohl schon von Anfang an, dass sie sich nicht nur in die Tradition all jener im Verlaufe der Jahrhunderte zu Opfern gewordenen Frauen – angefangen mit Iphigenie, Antigone und Kassandra – stellen, sondern auch ähnlich gefährdet sind wie die, auf die sie sich in ihrem Kampf, der in der Öffentlichkeit und vor allem in den sozialen Medien bald ein äußerst kontroverses Echo erfährt, berufen.

Auch der fünfzehnte „Fall für Kostas Charitos“, besitzt wieder jenen erzählerischen Charme, für den seine Leserinnen und Leser den in Athen lebenden, in diesem Jahr 87 Jahre alt gewordenen Petros Markaris lieben. Denn die Mordfälle, denen Kostas Charitos und seine Kolleginnen und Kollegen nachgehen, oft in akribischer Kleinarbeit und unter großem Druck von oben, sind nur das eine an den stets aus der Perspektive der Hauptfigur erzählten Romanen. Sie werden in der Regel auch unspektakulär gelöst. Verfolgungsjagden und wilde Schießereien gibt es in der Romanwelt von Petros Markaris höchst selten. Denn statt auf seine Dienstwaffe vertraut Kostas Charitos lieber auf das Dimitrakis-Lexikon, das von ihm denn auch in jedem Band zu Rate gezogen wird.

Wer die seit 1995 erscheinende Reihe – auf Deutsch seit 2000 bei Diogenes und durchgehend in der Übertragung von Michaela Prinzinger, die für ihre literarischen Übersetzungen aus dem Neugriechischen 2015 mit dem Österreichischen Staatspreis ausgezeichnet wurde – von Beginn an verfolgt hat, hat auch an den Aufs und Abs der Familiengeschichte ihrer Hauptfigur teilgenommen, erlebt, wie sich die Familie nicht nur mit einem Schwiegersohn und zuletzt dem von allen vergötterten Enkel Lambros vergrößerte, sondern auch ehemalige Kontrahenten des Kommissars wie der Altlinke Sissis oder nun, in Aufstand der Frauen, die neue Leiterin der Mordkommission, Antigoni Ferleki, praktisch als Familienangehörige mit allen Rechten und Pflichten solcher adoptiert wurden.

Nicht zuletzt aber stellen die fünfzehn Kostas-Charitos-Romane auch so etwas wie eine Chronik der griechischen Geschichte der letzten dreißig Jahre dar. Mit seinem Helden und dessen Familie hat Petros Markaris die Finanzkrise Anfang der 2000er Jahre überstanden und ist über die Corona-Zeit hinweggekommen. Der Gewinn der Fußball-Europameisterschaft 2004 in Portugal durch die griechische Mannschaft und die Olympischen Sommerspiele in Athen im gleichen Jahr hinterließen Spuren in seinen Romanen. Thematisiert wurden die Rolle der sogenannten Troika im Kampf gegen die Staatsschuldenkrise nach 2010 und die damit einhergehende Verschärfung der Widersprüche zwischen Arm und Reich. Die Verbrechen, zu deren Bekämpfung Charitos und sein Team in den meisten Bänden der Reihe aufgebrochen sind, haben in der Regel immer einen deutlich erkennbaren Hintergrund in gesellschaftlichen Konflikten. Und während Charitos, was seinen politischen Standort und die Vergangenheit, die er als Polizist mitbringt, betrifft, eher in die konservative Mitte zählt, hat sich der Autor mit dem in der Gegenwart ein mit Finanz- und anderen Problemen kämpfendes Obdachlosenheim leitenden Linken Lambros Sissis ein Alter Ego in seinen eigenen Büchern erschaffen.

Dass es drei junge Frauen aus den Reihen der „Karyatiden“ sind, die in Aufstand der Frauen ihren Mut mit dem Leben bezahlen, lässt die Neue an Charitos Seite in ihrem ersten richtigen Fall als Leiterin der Mordkommission schnell an ihre Grenzen kommen. Aber sie ist ja nicht allein. Und so löst sie gemeinsam mit ihrem Team die drei Mordfälle, die nicht zuletzt durch Hassbotschaften in den sozialen Medien ausgelöst wurden, zur allgemeinen Zufriedenheit und hat am Ende sogar noch eine ganz besondere Aufgabe für die jungen Archäologinnen, deren Mut und Couragiertheit nicht nur ihr imponiert haben.

Dass auch die Investoren, die mit ihren verwegenen Plänen dazu beigetragen haben, dass Teile der Öffentlichkeit sich vor Begeisterung kaum zu halten vermochten, während besonnenere Zeitgenossen den Beginn des Ausverkaufs nationaler Werte hinter den Vorhaben witterten, vor den Protestaktionen der Karyatiden schnell kapituliert und Griechenland fluchtartig verlassen haben, stellt einen weiteren Sieg der Vernunft dar. Und so sind es die Frauen, die am Ende triumphierend zurückbleiben – aber sie haben auch diesmal, wie schon so oft in der Geschichte, wieder Opfer bringen müssen.

Titelbild

Petros Markaris: Aufstand der Frauen. Ein Fall für Kostas Charitos.
Aus dem Neugriechischen von Michaela Prinzinger.
Diogenes Verlag, Zürich 2024.
320 Seiten, 25,00 EUR.
ISBN-13: 9783257073072

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