Ans Kreuz der Kunst geschlagen

In seinem neuen Buch „Die Richtige“ hat Martin Mosebach Künstler- und Gesellschaftsroman raffiniert miteinander verschmolzen

Von Dietmar JacobsenRSS-Newsfeed neuer Artikel von Dietmar Jacobsen

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Eigentlich muss sich Louis Creutz keine Sorgen mehr machen. Denn inzwischen ist er anerkannt in seinem Metier, der Malerei, ein Malerfürst wie er im Buche steht. Deshalb kann er es sich auch locker leisten, den Eröffnungsvortrag eines namhaften Kunstkritikers auf der Vernissage seiner neuesten Ausstellung zu schwänzen, denn „so wie er auftrat, galt er als Inbegriff der Unbeeindruckbarkeit, unerschütterlich bis zur Gleichgültigkeit“. Er weiß, wer er ist, das muss er sich von niemand anderem mehr sagen lassen.

Doch als er sich dann endlich vor den Gästen der ihm und seinen Werken gewidmeten Veranstaltung zeigt, fällt ihm eine Frau ins Auge, die sich mit zeitloser Eleganz durch die Räumlichkeiten der Galerie, entlang an den wenigen Gemälde, an denen er zum Teil über Monate und Jahre gearbeitet hat, bewegt – Porträts von Frauen, bei denen vor allem die verschiedenen Hauttöne der Modelle ihn künstlerisch herausgefordert haben:

die gelbstichige und die graustichige Haut, die der Rothaarigen und die der Blonden, die ins Oliv gehende Samtigkeit und die müde Unfrische […] nicht zu reden von der jugendlichen und später erschlaffenden Haut, der gesunden und der kränklichen.

Astrid Thorblén heißt die weltgewandte Frau, die von diesem Abend an fest zur Entourage des Künstlers zählt. Seine alten Freunde Rudolf und Beate – „der Mann Teilhaber eines Unternehmens der mittelständischen Industrie, die Frau schon vor ihrer Heirat bekannt mit Louis Creutz, sie hatte ihn gleichsam in ihre Ehe mit eingebracht“, beide inzwischen Mäzene und Sammler des Künstlers – haben die 35-Jährige zur Vernissage mitgenommen in der Hoffnung, sie Rudolfs Bruder Dietrich, der sich schon immer ein wenig unbeholfen angestellt hatte, wenn es um Frauen ging, als zukünftige Ehefrau schmackhaft machen zu können. Doch anstelle von Dietrich, der sich als trockener Geschäftsmann zunächst nur wenig für die ins Auge fallende Deutschschwedin zu interessieren scheint, ist es der Maler, dem sie vom ersten Augenblick an auffällt: „Einen Augenblick öffnete sich die Menschenmauer, und er sah sie ganz, schlank, in vorzüglicher Haltung, Gesicht, Hals und Arme sehr hellhäutig, ein nordischer Typ, aber von den Lippen her rosig erwärmt.“ Von da an ist es Louis Creutz‘ zunächst nahezu unbewusster, dann immer deutlicher werdender Wunsch, diese Frau zu seinem neuen Modell zu machen.

Ein Wunsch, der sich schließlich erfüllt und bald auch eine erotische Komponente einschließt – da ist Astrid bereits, woran Louis Creutz nicht ganz unschuldig ist, mit dem spröden, der blutigen Jagd mehr als dem schönen Schein zugeneigten Dietrich, der ihr jeden Wunsch von den Lippen abliest und ihr für die Zukunft ein sorgenfreies Leben garantiert, verheiratet. Und natürlich ist sie auch längst gewarnt. Eine obdachlose Stadtstreicherin von „spätantiker Schönheit, mit übergroßen Augen und griechischer Nase“, einst als Modell für den Künstler tätig, inzwischen von ihm behandelt wie ein Gegenstand, den man in seiner Nähe dulden oder aber auch aus dieser verbannen kann je nach Lust und Laune, hat ihr den aus offensichtlich leidvoller Erfahrung gewonnenen Rat gegeben: „Werden Sie nicht sein Modell! Machen Sie das nicht!“

Aber wenn es schon mit der eigenen Karriere als Sängerin nicht so recht klappen will, soll wenigstens ein kleiner Anteil an der Kunst – auch aus Rücksicht gegenüber ihrem eher kunstfern lebenden Ehemann Dietrich empfindet sie es als angenehm, wenn Creutz sie als Rückenakt malt – sie mit der Welt des Schönen verbinden. Allein sie rechnet nicht damit, dass sie für den Künstler nur Mittel zum Zweck ist, sein Interesse an ihr bis zum Schluss nur oberflächlich bleibt, er in das auf der Leinwand entstehende Bild mehr Gefühle investiert als in den lebendigen Menschen, den es darstellt. „Ich will mein Modell so malen, daß die Begegnung mit dem realen Modell eine gewisse Enttäuschung auslöst“, hat Creutz in einem früheren Moment einmal als eine Art Credo seiner Kunst definiert, die alles dem Werk opfert und, sollten die Modelle sich aus den ihnen während des Malakts verordneten starren Positionen lösen und eigene Ansprüche und Wünsche anmelden, für den Künstler mehr sein wollen als lediglich ein auslösendes Moment für seine schöpferische Arbeit, ihn sich augenblicklich von ihnen abwenden lässt.

Dass es mit dem Arrangement zwischen dem Künstler und seinem Modell nicht gut ausgehen wird, ahnt man als Leser von Anfang an. Astrid Thorblén verliert – nicht nur ihr Kind. Louis Creutz gewinnt – den Ruf, sich mit dem im Zorn darüber, dass sein Modell plötzlich eigene Ansprüche anmeldet, wild übermalten Porträt seines letzten Modells neu erfunden zu haben. Von dieser Wende des Künstlers von einem „Vollkommenheitstick, der unfruchtbar war“ zu „diese[r] neue[n] Brutalität, die so neu aber gar nicht ist, denn sie schlief in ihm, […], nur bisher gegen sich selbst gewandt und jetzt freigelassen“, handelt das dreiunddreißigste und letzte Kapitel des Romans. Es ist zugleich das einzige, dem der Autor eine Überschrift vorangesetzt hat: „Ein Sextett der Mißverständnisse“. Da dürfen sie dann alle – der Junior-Geschäftsführer von Creutz‘ Galerie, Beate und Rudolf, Astrid, Dietrich und der Künstler selbst – in Briefform noch einmal vortreten und anlässlich einer erfolgreichen Pariser Louis-Creutz-Schau, von der Presse gefeiert dafür, dass der neue Creutz „sein germanisches Korsett abgeworfen“ habe und sich „nicht mehr vom Modell versklaven“ lasse, in schön gesetzten Worten ihr Unverständnis demonstrieren.

Halten die einen Martin Mosebach für einen der letzten großen Stilisten innerhalb der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur, stoßen sich andere eher an seinen gelegentlich ein bisschen umständlich-antiquiert daherkommenden Sätzen. Wer auf Stil und hohen Ton hält, wird freilich auch wieder in Die Richtige auf seine Kosten kommen. Ein „ph“ statt des schnöden „f“ im Wort „Telephon“ scheint fast schon ein Muss, das Beharren auf einem „ß“, wo seit den letzten Bemühungen um die deutsche Orthographie das – auch historisch ungute Assoziationen auslösende – verdoppelte „s“ üblich geworden ist oder das „Inkarnat“ einer Menschenhaut noch bevor die dazugehörige Person auf Creutz‘ Leinwand malerisch in Szene gesetzt wird – alles hat bei Mosebach einen edlen Klang, hallt noch nach, lange nachdem man das Buch zur Seite gelegt hat. Dass der Text seines 14. Romans außerdem weitgehend handy- und komplett genderfrei daherkommt, muss man bei einem Mann wie Martin Mosebach dann kaum noch besonders betonen.

Mosebachs Roman glänzt mit wunderbar beobachteten Kleinigkeiten, die Menschen genauer charakterisieren als es die bloße Nennung eine Charaktereigenschaft je zustandebringen könnte. Und auch die bei diesem Autor immer wieder faszinierenden Beschreibungen des Verhaltens von Tieren, in dem sich dann Denken und Tun seiner Protagonisten spiegeln, sind in Die Richtige nicht nur auf den ersten drei Seiten zu finden, wenn der Autor das tägliche Balzspiel zweier Vögel, zwischen denen eine Fensterscheibe von Creutz‘ Atelier eine nahezu unsichtbare, aber nichtsdestotrotz vorhandene Grenze bildet, so meisterhaft wie allegorisch aufgeladen darstellt.

Was er freilich über die Szene zu sagen hat, in der sich seine Protagonisten bewegen, ist alles andere als freundlich, denn er beschreibt sie als eine kalte Welt voller Kalkül und Egoismus, in dem es jeden und jeder nur um sich selbst zu gehen scheint. Frauen wie die Stadtstreicherin Flora Ortiz oder Astrid Thorblén hätten in dieser Umgebung nur eine Chance, wenn sie sich widerstandslos unterordnen würden. Dann und nur dann wären sie tatsächlich „die Richtige“.

Titelbild

Martin Mosebach: Die Richtige. Roman | Zwei Frauen, ein Maler und eine Warnung.
dtv Verlag, München 2025.
352 Seiten , 26,00 EUR.
ISBN-13: 9783423284554

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