Wer nicht liebt, hat nichts zu lachen
In Maud Venturas Roman „Mein Mann“ führt ihre obsessive Liebe eine verheiratete Frau ins Abseits
Von Dietmar Jacobsen
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseEine Woche lang, von Montag bis Sonntag – die sieben Wochentage bilden das Gliederungsgerüst des Buches –, lässt Maud Ventura die Leserinnen und Leser ihres Debütromans Mein Mann an der Gedankenwelt ihrer Heldin teilnehmen. In deren Mittelpunkt: der seit 15 Jahren mit der Englischlehrerin und gelegentlichen Übersetzerin verheiratete Mann. Um ihn kreist das gesamte Denken der knapp Vierzigjährigen wie die Erde um die Sonne. Ihn analysiert die Frau von früh bis spät. Um seine Aufmerksamkeit in jeder Sekunde, in der sie zusammen sind, ist es ihr zu tun. Wie sie ihn zu lieben glaubt, soll er sie lieben. Und für alle Unaufmerksamkeiten – selbst die geringsten –, die ihm ihr gegenüber unterlaufen, hat sie im Geheimen einen Strafenkatalog entwickelt. Für jede Verfehlung des Mannes findet sich darin die adäquate Reaktion – etwa die Verweigerung von Zärtlichkeiten am nächsten Morgen, wenn er am Abend zuvor vergaß, ihr eine gute Nacht zu wünschen.
Maud Venturas Roman hat in Frankreich Kritik wie Publikum begeistert. Bereits kurz nach seinem Erscheinen wurde er zum meistverkauften Erstling des Jahres 2021, eroberte die Bestsellerlisten und erhielt den Prix du Premier Roman. Für weitere Preise ist er, wie der deutsche Verlag der Autorin mitteilt, bereits nominiert. Außerdem sind eine Bühnenadaption sowie eine Fernsehserie auf der Grundlage des Buches geplant – viel Ehre für die 1992 geborene Journalistin, die mit dem Podcast Lalala beim nationalen Sender NRJ auch das Radiopublikum in ihren Bann zieht, indem sie regelmäßig, häufig inspiriert durch Zuschriften von Hörerinnen und Hörern, über Fragen der Liebe und ihrer verschiedenen Formen öffentlich nachdenkt.
Dass die namenlose Heldin ihres Erstlings – auch der Mann taucht nie mit Namen, sondern durchgängig als „mein Mann“ auf, während Freundinnen und Freunde, Kolleginnen und Kollegen der Heldin stets bei ihren Vornamen genannt werden – eine eher ungesunde, obsessive Liebesbeziehung zu ihrem in der Finanzbranche tätigen Ehemann pflegt, ist von Anfang an unübersehbar. Hinter ihrer Liebe, deren Tiefe sie nicht müde wird zu betonen, verblassen sämtliche anderen Dinge, die ihr Leben ausmachen.
Was ihre beiden Kinder, sieben und neun Jahre alt, betrifft, so existieren sie eher am Rand ihres Aufmerksamkeitshorizontes. Ihre Halbtagstätigkeit als Gymnasiallehrerin erfüllt sie zwar mit einer gewissen Befriedigung – „Eine Schulstunde lang stehe ich im Zentrum der Aufmerksamkeit.“ –, vermag den Gedanken an „ihn“ aber nie ganz zu verdrängen. Denn schon wenn eine der Figuren in dem Textauszug, den sie mit ihren Schülern gerade bespricht, den Vornamen ihres Mannes trägt oder es um den „Austausch von Gelübden zwischen zwei Eheleuten“ geht, der zu analysieren ist, ist sie wieder bei dem sie innerlich gänzlich ausfüllenden Thema angekommen.
Maud Ventura weiß den Gedanken, dass ein äußerlich glückliches Leben – perfekter Job, idealer Partner, gelungene Kinder, Haus, Auto und kein Urlaubswunsch, der unerfüllt bliebe – durchaus seine dunkle Kehrseite haben kann, geschickt zu vermitteln. Denn was für ein Glück soll das sein, wenn der Gedanke, es könnte in jedem Moment zu Ende sein mit der gepriesenen Harmonie, der Mann seine Koffer packen und sich einer anderen Frau zuwenden, immer beherrschender wird? Zeugt es von Vertrauen in den Partner, wenn man das, was man als dessen Vergehen ansieht, minutiös in gut in der Wohnung versteckte kleine Schreibhefte einträgt, eine Liste seiner Unzulänglichkeiten – beginnend mit der Tatsache, dass er nicht schlafen zu können behauptet, wenn die Fensterläden im Schlafzimmer offen sind – führt und ständig ergänzt? Und kann man sich tatsächlich Eifersucht erlauben, wenn man selbst den bei einem Elternabend kennen gelernten Vater eines Mitschülers der Kinder zum Geliebten hat oder spontan den Ehemann einer Freundin verführt?
„Ich habe nie geschrieben, wenn ich zu schreiben glaubte, ich habe nie geliebt, wenn ich zu lieben glaubte, ich habe nie etwas anderes getan, als zu warten vor verschlossener Tür“ – diese Sentenz aus der autobiographischen Erzählung Der Liebhaber von Marguerite Duras hat Maud Ventura ihrem Roman als Motto vorangestellt. Duras‘ mit dem Prix Goncourt ausgezeichnetes Buch aus dem Jahr 1984 – es ist zugleich das Lieblingsbuch der Ich-Erzählerin – präsentiert im Grunde das Kontrastprogramm zu dem, was Venturas Protagonistin sich als ihre große Liebe immer wieder einzureden versucht.
Wenn die mit ihrem Satz „Ich liebe ihn, als wäre ich fünfzehn Jahre alt, als wären wir uns gerade erst begegnet, als würde uns nichts weiter binden, weder Haus noch Kinder.“ direkten Bezug nimmt auf die Geschichte des 15-jährigen französischen Mädchens, das sich zu Beginn der 1930er Jahre in Indochina auf eine Affäre mit einem zwölf Jahre älteren Chinesen einlässt, die den Rahmen bildet von Durasʼ Text, so ist ihre eigene Situation im Grunde doch eine ganz andere. Denn während sie alles um sich herum nur in Beziehung auf ihren Ehemann wahrnimmt, Leserinnen und Leser kaum erfahren, in welcher Zeit und Welt ihre Geschichte spielt, hat Marguerite Duras ihre Story in nicht nur überaus deutliche, sondern für ihre am Übergang zum Erwachsenenalter stehende Hauptfigur auch bedeutsame historische, familiäre und mentale Kontexte eingebettet.
Vielleicht ist dieser Unterschied auch ein wenig mit der Grund, dass man der Suada von Venturas Heldin mit zunehmender Ungeduld folgt. Denn ihr Denken führt eigentlich zu nichts. Wiederholt werden nur dieselben Argumente, Liebesbeschwörungen und Vorwürfe. Einmal ist vom langsamen Vergiften des Gatten als Strafe für eines seiner zahlreichen Vergehen die Rede. Ein anderes Mal stellt sich die Heldin vor, den vor ihr am Fenster stehenden Mann über die Brüstung hinabzustoßen. Aber beides passiert wie alles andere auch nur in ihren Gedanken. Und so wird aus der Geschichte einer obsessiven Liebe schlussendlich weder ein Thriller noch ein Entwicklungsroman, sondern ein ermüdendes Umkreisen des immer gleichen Themas. Wenn in letzter Zeit so häufig von Helikoptereltern die Rede ist, so hat man es bei Maud Venturas Ich-Erzählerin wohl mit einer Art von Helikopterehefrau zu tun, die, je öfter sie ihre Liebe zu ihrem Mann bekundet, sich umso weiter entfernt von dem, was Liebe tatsächlich bedeutet.
Dass schließlich in einem vierseitigen Epilog dem Mann das letzte Wort gegeben wird, mag vielleicht nicht jeder Leserin und jedem Leser schmecken. Allein es ist ein geschickter Griff, der das, was man vorher auf etwas mehr als 250 Seiten erfahren hat, aus der Perspektive des Anderen beleuchtet. Plötzlich wird aus einem Objekt ein Subjekt. Und dass das sein Gegenüber offensichtlich genauso manipuliert, wie dieses ihn, sollte niemand mehr verwundern. Liebe im 21. Jahrhundert: Bei Maud Ventura ist sie zu einem traurigen Konstrukt verkommen und hat mehr mit Egoismus denn mit Großzügigkeit zu tun. Man muss sie ständig anrufen, gerade weil sie nicht mehr existiert. Und je öfter ihr Name fällt, umso hohler klingt er.
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