Zweierlei Liebe

Hans Keilsons Sonette für Hanna in einer deutsch-niederländischen Ausgabe

Von Kai SammetRSS-Newsfeed neuer Artikel von Kai Sammet

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Man muss bei Gedichten nicht immer viel über Autor oder Autorin sagen. Im Falle von Hans Keilsons Sonetten für Hanna schon, da private und Weltgeschichte eng verbunden sind.

Hans Keilson wurde 1909 in Bad Freienwalde/Oder geboren, wo seine Eltern, jüdisches Kleinstadtbürgertum, ein Textilgeschäft besaßen. Ab 1928 studierte Keilson Medizin in Berlin und holte seine Eltern, deren Geschäft nach der Weltwirtschaftskrise nicht mehr zu halten war, ebenfalls dorthin. Sein Studium finanzierte er sich mit Trompete- und Geigespielen in Tanzorchestern. 1933 erschien sein erster Roman, der letzte eines jüdischen Autors, den S. Fischer verlegen konnte. 1936 wurde er von seiner späteren Frau Gertrud Pfeifer-Manz zur Flucht nach Holland überredet, wo er bis zu seinem Tod 2011 lebte.

1939 brachte er seine Eltern nach Holland, allerdings konnte er deren Deportation nach Auschwitz nicht verhindern. Nach der Besetzung der Niederlande tauchte Keilson unter, 1941 wurde die Tochter Barbara geboren. Ausgestattet mit gefälschten Papieren, konnte er sich frei bewegen und war als Berater für andere Untergetauchte tätig. So lernte Keilson Hanna Sanders kennen, die mit anderen jüdischen Verfolgten versteckt in Delft lebte. Nach dem Krieg studierte er in Holland erneut Medizin, eröffnete Anfang der 1950er-Jahre eine psychiatrische Praxis und schrieb eine Dissertation über sequentielle Traumatisierung jüdischer Kriegswaisen in den Niederlanden. Überdies schrieb er Romane, Erzählungen und Gedichte.

Die Sonette, nun vorliegend in einer zweisprachigen Separatausgabe – im deutschen Original und in den Übersetzungen des niederländischen Lyrikers Jos Versteegen –, sind erstmals zusammen mit Hans Keilsons Tagebuch 1944 erschienen. Dieses Tagebuch, kurz vor seinem Tod von seiner zweiten Frau, der Literaturwissenschaftlerin Marita Keilson-Lauritz, zufällig gefunden, steht in engem Konnex zur Abfassung der Gedichte. Ist also eine Einzelausgabe angemessen? Liest man das Tagebuch 1944 parallel zu den Gedichten, lässt sich das rechtfertigen, auch wenn das Tagebuch instruktive Hintergründe bereithält.

Warum nun aber eine niederländische Übersetzung? Man kann jegliches aus jeglicher Sprache in eine jegliche Sprache übersetzen, doch liefert Marita Keilson-Lauritz eine instruktive Ansicht. Keilson habe für Hanna Sanders 46 Sonette auf Deutsch geschrieben, und das „heißt: in der Sprache des gemeinsamen Feindes“. Das habe Keilson umgetrieben. Daher schienen diese Gedichte für Keilson-Lauritz den Auftrag zu enthalten „sie zu überführen (fast möchte man sagen: zurückzuführen) in die Sprache, in der sie ‚eigentlich‘ hätten geschrieben werden sollen“. Diese Begründung scheint etwas irreführend, Keilson schrieb immer auf Deutsch, reflektierte aber seine spannungsvolle Sprachenproblematik anders und zugleich intimer. In Sonett XLIV heißt es: „Ward je der Zunge, die er sprach, ein Dichter/so gram wie ich, der ich mich bitter schäm,/dass ich bespien, besudelt von Gelichter/Zeichen und Laut aus ihrem Munde nehm?“ Überdies beklagt Keilson, dass er Sanders auf Deutsch anspricht, doch fühlt er sich etwas versöhnt, als Hanna „rauh-lieblich“ die Gedichte nachspricht, wodurch sie „neuen Glanz und Schall“ erhalten.

Das erwähnte Gedicht zeigt viele Charakteristika dieses Zyklus. Die meisten Sonette sind Liebesgedichte mit unterschiedlichem Fokus. Es finden sich direkte Anreden („Ich Sohn, Du Tochter, Kinder eines Blutes“ [I]), Dialoge ([VI]: „Komm sing! – Ich kann nicht singen. – Ein Lied?/Ich weiss nicht was.“), natürlich Beschreibungen der Geliebten (deren Ton und Frauenbild allerdings oft recht infantilisierend erscheint, z.B. in Sonett XIV), es finden sich, wenn auch etwas diffus, Beschreibungen körperlichen Begehrens (XVI: „Die ersten Zärtlichkeiten, unverwundet/ Begehren, das in Fingerspitzen strehlt“), es finden sich Reflexionen über die Liebe (so in Sonett XVII). Kurz: Liebeslyrik, die zwischen individueller Konkretion und konventioneller Bildlichkeit Verbindungen herstellt. Das wäre mäßig interessant, wenn es Keilson nicht gelingen würde (und darin liegt die Stärke dieses Zyklus), Liebeslyrik, Alltag, historischen Kontext und Reflexion auf den historischen und persönlichen Kontext (u.a. gekennzeichnet durch die Ambivalenz eines Mannes zwischen zwei Frauen – Keilson wird, wie er in seinem Tagebuch schreibt, „nicht unversehrt in ein unversehrtes Haus zu einer unversehrten Familie“ zurückkehren) oft in einem Gedicht zu verbinden und dabei thematisch und inhaltlich vielfältig zu sein.

Es finden sich Darstellungen des Jüdischseins beider (I „Ich Sohn, Du Tochter, Kinder eines Blutes“), direkt gefolgt von einer Beschreibung der Bedrohung durch die Judenverfolgung. In Sonett XXIII wird die Allgegenwart des Todes beschrieben: „Der Tod ist so alltäglich wie das Glas,/aus dem man, seinen Durst zu löschen, trinkt“, und hier findet sich eine direkte Erwähnung von Vergasungen, von deren konkretem Geschehen später ein ganzes Gedicht handelt (XXVII).

Zur Sprache kommt die bedrückende Alltagssituation, so wenn Sanders und Keilson in einer dunklen Neumondnacht spazieren gehen können (XXXIV: „Die Dunkelheit, – und wir, verstohlen Paar,/mondloser Nacht so blind berauschter Gast“), in der dann aber gleich wieder Todesdrohung aufscheint: „Da tönten Schüsse, Flieger in der Nacht.“ Oder wenn die Alltagssituation der Untergetauchten knapp umrissen wird (so in Sonett XII und VII).

Sind also diese Gedichte ‚gelungen‘ (was immer das heißen mag?). Der hohe Ton wirkt oft etwas aufgesetzt, da ist viel Stefan George und noch mehr Rainer Maria Rilke drin. Wiederholt erscheint in einem Sonett (zu) viel zusammengezwungen: Rilke, George, lebensphilosophische Versatzstücke, Alltagssituation, historischer Hintergrund, all das in vierzehn Versen klingt manchmal zu stark zusammengespannt. Umgekehrt findet Keilson doch immer wieder interessante Formulierungen. Zumindest sei ein Gedicht erwähnt, in dem Situation, Umsetzung, Bilder und Gesamtbild sehr gut übereinkommen: Sonett II stellt die biblische Situation Jakobs im Ringen mit dem Engel dar und hier entwirft Keilson starke und einfache Bilder, die sich ohne zu viele ablenkende Zwischenschübe in Vers 14 zu einem Ganzen vereinen.

Titelbild

Hans Keilson: Sonette für Hanna. Zweisprachige Ausgabe Deutsch-Niederländisch.
Übersetzt aus dem Niederländischen von Jos Versteegen.
S. Fischer Verlag, Frankfurt a. M. 2016.
219 Seiten, 24,00 EUR.
ISBN-13: 9783103972092

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