Tochter sein ist nicht alles im Leben, oder doch?

Lily King schildert in ihrem Roman „Vater des Regens“ die aufopfernde, naive Liebe einer Tochter zu ihrem alkoholsüchtigen und cholerischen Vater

Von Sandra StaschokRSS-Newsfeed neuer Artikel von Sandra Staschok

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Daley Amorys Vater ist Alkoholiker, aber sie liebt ihn. Sie erzählt, wie sie als Elfjährige in den 1970er Jahren bei der Scheidung ihrer Eltern zwischen die Fronten einer zerbrechenden und einer neuen Familie gerät, mit der ihr Vater die alte ersetzt. Mit 29 Jahren hat sie endlich ihr eigenes Leben, wird aber zurück in die Heimat gerufen, als ihr Vater erneut in einer Trennung steckt und in eine Krise fällt. Sie ist bereit alles aufzugeben für die Chance endlich einen Vater zu haben, wie sie ihn sich immer gewünscht hat, bis ein Zwischenfall droht, sie für immer mit dem Vater brechen zu lassen. Jahre später ist sie selbst Mutter und hadert damit, wieder Kontakt zu ihrem Vater aufzunehmen.

Nach dem Erfolg des preisgekrönten Bestsellers Euphoria der amerikanischen Autorin Lily King ist nun auch einer ihrer früheren Romane – der bereits 2010 erschienene Father of the Rain – ins Deutsche übersetzt worden. Es ist ihr dritter Roman und damit der Vorgänger von Euphoria, eines am Leben der Ethnologin Margaret Mead inspirierten Romans, der sich ebenso wie Vater des Regens auf die Darstellung der emotionalen Verstrickungen weniger Hauptpersonen konzentriert. Auch in ihren anderen Romanen stehen Einzelschicksale und Beziehungsstrukturen im Mittelpunkt ihres Erzählens. Seit 2000 gewann sie dafür regelmäßig verschiedene amerikanische Buchpreise und mit Euphoria gelang ihr 2014 schließlich der internationale Durchbruch.

In Vater des Regens stellt die Dozentin für die Fächer Englische Literatur und Kreatives Schreiben mit der schlichten und nüchternen Erzählweise ihrer Ich-Erzählerin unter Beweis, wie eindrucksvoll einfache, schnörkellose Sprache sein kann. Allerdings versäumt diese Sprache leider, tiefere psychologische Einblicke oder weitere Erklärungen zuzulassen, die dem Leser das Verständnis einer Geschichte vereinfacht hätten, zu der man aufgrund ihrer Darstellung einer ungesunden Vater-Tochter-Beziehung nur schwer einen Bezug findet.

Der Roman ist in drei Teile unterteilt, die jeweils durch einige Jahre zeitlich voneinander getrennt sind. Dabei schildert die Protagonistin immer aus der gegenwärtigen Situation heraus einschneidende Erlebnisse in ihrem Leben, die sich auf das Verhältnis zu ihrem alkoholsüchtigen, manipulativen Vater beziehen. Ziel der Geschichte scheint es zu sein, die Unlösbarkeit dieses schwierigen Verhältnisses darzustellen, frei nach dem Motto: „Blut ist dicker als Wasser.“ Denn Daley schafft es – obwohl häufiger im Roman zumindest angedeutet wird, dass sie ihn durchschauen kann – nicht, sich ihrem Vater zu entziehen. Der Autorin gelingt es dabei allerdings ebenso wenig, die Anziehungskraft des Vaters zu verdeutlichen, der meist nur abstoßend wirkt, wie die inneren Vorgänge und Entscheidungen der Protagonistin nachvollziehbar zu machen. Tatsächlich muss der Leser zwangsläufig Daleys Urteilskraft in Frage stellen, als sie ihre Professur für Ethnologie in Berkley, sowie die stark idealisierte Beziehung zu ihrem Traummann schließlich für einen Vater aufgibt, der in ihrem Leben bisher stets die Rolle eines Antagonisten übernahm.

Dem Leser ist es kaum möglich, sich mit der Erzählerin zu identifizieren. Alle anderen Charaktere bleiben oberflächlich oder stilisiert, sind reine Statisten in einer mikroskopisch kleinen Welt, die kaum Platz hat für Vater und Tochter. Die Figur des Vaters selbst strotzt vor Klischees: Er ist ein weißer, amerikanischer, erzkonservativer Mann aus der begüterten Oberschicht, dem Alkohol, Geld und Tennis – in dieser Reihenfolge – über alles gehen. Er amüsiert sich ausschließlich auf die Kosten anderer und scheint sich zum Lebensziel gemacht zu haben, sein Glück im Unglück seiner Mitmenschen zu suchen.

Der erste Teil über Daleys Kindheit zieht sich unheimlich zäh dahin, obwohl die Schilderungen des jungen Mädchens, das mehr verrät als es selbst versteht, eine eindrucksvolle, schockierende Wirkung auf den Leser haben. Allein die schiere Länge dieser Ausführungen untergräbt diesen Effekt, sodass er Überdruss und Ekel weicht. Auch im zweiten Teil aus der Sicht der Erwachsenen wird dieses Potential nicht ausgeschöpft. Nach einem vorgetäuschten Selbstmordversuch des Vaters, beschließt Daley, dass er sie unbedingt brauche, um trocken zu werden, und gibt alle ihre Lebenspläne auf. Mehrfach schildert sie Szenen, in denen dem Leser klar wird, dass der Vater wohl doch nicht ganz so abstinent ist, wie er vorgibt, doch sie geht darüber hinweg. Mehr noch: sie möchte sich täuschen lassen, ist absichtlich blind. Das führt dazu, dass sich der Leser regelrecht über den Gewaltausbruch freut, der die Beziehung jäh auseinanderbrechen lässt.

Aber die Autorin lässt es sich nicht nehmen, in einem weiteren Teil über das Wiedersehen am Totenbett doch noch irgendwie eine Versöhnung zu initiieren. Obwohl der Roman ohne diesen letzten Teil vermutlich extrem unbefriedigend enden würde, hinterlässt ebendieses Ende einen faden Beigeschmack. Die Protagonistin kann sich zu keinem Zeitpunkt emotional von ihrem Vater befreien und der Roman legt als letzten Ausweg nahe: „Manche Menschen kann man besser aus der Ferne liebhaben.“

Falls man hier Familiendrama, Intrigen oder psychologischen Tiefgang erwartet, wird man enttäuscht. Bei „Vater des Regens“ handelt es sich um einen Roman, der wenig Spannung aufbauen und noch weniger halten kann, dessen Charaktere stumpf und eindimensional bleiben und der über weite Strecken beim Leser nur Unverständnis hervorrufen kann. Leider ein schwacher Vorgänger von Euphoria.

Anmerkung der Redaktion: Die Rezension gehört zu den studentischen Beiträgen, die im Rahmen eines Lehrprojekts im Sommersemester 2018 entstanden sind und gesammelt in der Oktoberausgabe 2018 erscheinen.

Ein Beitrag aus der Komparatistik-Redaktion der Universität Mainz

Titelbild

Lily King: Vater des Regens. Roman.
Übersetzt aus dem Englischen von Sabine Roth.
Verlag C.H.Beck, München 2016.
400 Seiten, 21,95 EUR.
ISBN-13: 9783406698057

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