Neues zur Kunstfigur

Klaus Klopschinski schreibt ein Buch, das Clemens Brentano und E.T.A. Hoffmann Konkurrenz macht

Von Michael NiehausRSS-Newsfeed neuer Artikel von Michael Niehaus

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Es erscheinen noch Bücher, in denen die Kapitel schöne Untertitel haben, wie etwa gleich das erste Kapitel von Klaus Klopschinskis Das Geheimnis des Puppenturms: „Worin der Justizrat Fürchtegott Stiefhut sich verschluckt“! Vielleicht ist dies aber auch die einzige Neuerscheinung des Jahres, in der solche Unterüberschriften (und solche Eigennamen!) vorkommen – in der ein Justizrat und seine schöne Tochter Susanna, ein Antiquar und ein verdächtiger Zuckerbäcker aufsehenerregende Schicksale erleiden können, ohne dass über diese Figuren gespottet würde. Dieses Buch führt uns ohne doppelten Boden zurück in die Zeit der Hoffmannschen Fantasiestücke (in Callots Manier) und Nachtstücke, in eine Zeit, in der Geschichten noch wirklich erzählt werden konnten. Die Geschichte spielt in der deutschen Residenzstadt B*** in einer etwa auf die zweite Hälfte des 18. Jahrhunderts anzusiedelnden Zeit, denn es gibt nur Kutschen, enge Gassen und einen Rabenstein, der sogar Schauplatz einer Hinrichtung werden soll. Und natürlich gibt es den mysteriösen Puppenturm, Schauplatz sagenhafter Begebenheiten aus früheren Zeiten. Es werden also, was Dekor, Personal und Handlung angeht, alle Register der Schauerliteratur gezogen, angesiedelt zwischen dem unzweifelhaft Wunderbaren und dem möglicherweise bloß Unheimlichen. Gleichwohl liest sich das Resultat weniger schauerlich als vergnüglich, weniger nervenaufreibend als geistreich.

Das liegt zum einen an der sprachlichen Form. Zwar atmen auch und gerade die elegant abgezirkelten Satzperioden den Geist früherer Zeiten, aber sie lassen eben auch den leisen Humor durchscheinen, von dem dieses Buch getragen ist. Zum zweiten liegt es am Thema. Denn das Schauerliche ist hier im ernsten Sinne des Wortes mit dem Romantischen gepaart, nämlich mit der Kunstreflexion. Das Leitmotiv des Buches wird mit einem Wort aufgerufen, das Clemens Brentano in einem Märchen, dessen Titel jeder für sich herausfinden kann, für uns erfunden hat: das Wort ‚Kunstfigur‘. Kunstfiguren erscheinen in diesem Buch an ganz unvermuteten Stellen und in unterschiedlichen Formen und vor allem Größen – als zierlichstes Zuckerwerk, als Puppe aus Ton oder als Bildnis in der Kirche. Da diese Kunstfiguren in verschiedener Weise ein Eigenleben entwickeln, bleiben Bezugnahmen auf den Pygmalion-Mythos nicht aus. Ist das alles nicht aus der Zeit gefallen? Gewiss – aber auf die beste Art und Weise! Nämlich so, dass die Leserinnen und Leser ermächtigt werden, Schlüsse daraus für ihr Hier und Jetzt zu ziehen. Das Buch liest sich ganz vorzüglich, es entfaltet eine ganz eigene Ergebnisspannung und sogar eine Art „Sog“ – nicht zuletzt deshalb, weil es auch von einer Art Sog erzählt. Gleichwohl handelt es sich um einen Sog für fortgeschrittene Leser oder solche, die es werden wollen.

Ist Das Geheimnis des Puppenturms nun ein Roman? Die Frage ist insofern müßig, als man ja alles einen Roman nennen kann – mit knapp zweihundert Seiten Umfang könnte man dem Buch zweifellos Romanformat bescheinigen. Die Frage ist aber in diesem Fall durchaus von Interesse. Denn der Sog, den dieses Buch entfaltet, ist eigentlich kein romanhafter Sog (dem Buch ist wohlweislich keine Gattungsbezeichnung beigegeben). Wir interessieren uns nämlich weniger für das Leben dieser Figuren, die in gewisser Weise – auf einer anderen Ebene – ebenfalls Kunstfiguren sind, als für den Fortgang der Geschichte sowie für das Ineinandergreifen der Motive. Es gibt auch kein Ausruhen, weder für uns Leserinnen und Leser noch für die Figuren, die förmlich vorwärtsgetrieben werden durch eine Handlung, die nur wenige Tage umfasst. Warum es übrigens nur unverheiratete Männer sind, die hier als getriebene Akteure auftreten, darf man als eine eigene Denkaufgabe betrachten, wenn man am Ende Bescheid weiß, wie die Sache für die schöne Susanna ausgegangen ist.

Ein Beitrag aus der Redaktion Gegenwartskulturen der Universität Duisburg-Essen

Titelbild

Klaus Klopschinski: Das Geheimnis des Puppenturms.
Conte-Verlag, St. Ingbert 2024.
194 Seiten, 18,00 EUR.
ISBN-13: 9783956022531

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