Hommage an einen großen Literaten
Birgit Lahann porträtiert Peter Weiss
Von Vivien Rüffieux
Besprochene Bücher / LiteraturhinweisePeter Weiss hat Vieles in seinem Leben probiert; war Maler und Filmemacher, bevor ihm 1960 mit seinem Mikro-Roman „Der Schatten des Körpers des Kutschers“ der ersehnte Durchbruch gelang.
In 23 Stationen schildert die Journalistin Birgit Lahann in ihrer Biographie das Leben von Peter Weiss, seine Kindheit und Jugend, das ambivalente Verhältnis zu seinen Eltern, seinen erfolglosen Versuch, sich als Maler zu etablieren bis hin zu seinem relativ späten Erfolg als Schriftsteller und dem persönlichen Glück einer späten Vaterschaft.
Das Besondere dieser Biographie ist, dass Lahann gern Peter Weiss selbst und seine Witwe Gunilla Palmstierna-Weiss die Geschichte schildern lässt. Sie schließt das Buch mit einer längeren, halb zitierten, halb paraphrasierten Passage aus „Rekonvaleszenz“; eröffnet wird die Biographie mit einer Erinnerung von Gunilla Palmstierna-Weiss an die erste Begegnung zwischen ihr und Peter Weiss, wie sie Palmstierna-Weiss im Interview mit der Biographin Lahann im Februar 2016 schildert. Die Äußerungen werden in der Biographie allerdings nicht markiert, was die die Abgrenzung zum Text von Lahann erschwert.
Die Darstellung der frühen Jahre des vielbegabten Künstlers werden von der Biographin ganz aus der Perspektive der beiden Erzählungen „Abschied von den Eltern“ und „Fluchtpunkt“ geschildert. Somit folgt sie in der Schilderung der „höchst ambivalenten Beziehung“ vor allem zur Mutter und der „quälenden Bindung an die Familie“ insgesamt ganz der Selbststilisierung von Weiss. Allerdings kann man nicht alles für bare Münze nehmen, was Weiss in den Erzählungen schilderte; dass er 1947 gar nicht in Paris war, wo er seine Befreiung aus dem Exil erlebt haben will, weiß Lahann nicht, weil sie aktuelle Forschungsliteratur kaum konsultiert hat. Für sie sind „Abschied von den Eltern“, „Fluchtpunt“ und auch „Rekonvaleszenz“ biographische Quellen wie die „Notizbücher“ und die Briefe.
Für die späteren Jahre verlässt sich Lahann vielfach auf die Schilderungen von Gunilla Palmstierna-Weiss, besonders auch was das Privatleben betrifft, das turbulent gewesen sei. „Peter hat ja viele Frauen verführt“ und sei dauernd verliebt gewesen, so Palmstierna-Weiss.
Bis zum Ende der 1950er Jahre verfolgt Lahann das Thema des von aller Welt verkannten Künstlers. Die 1940er und 50er Jahre seien, gleich ob auf dem Gebiet der Malerei oder auf dem der Schriftstellerei, Jahre der Rückschläge und Enttäuschungen gewesen, ehe 1960 „Der Schatten des Körpers des Kutschers“ im deutschen Suhrkamp Verlag erschien und sich mit dem einsetzenden literarischen Erfolg alles änderte, nur angeblich nicht Peter Weiss.
Im Mittelpunkt der Biographie steht nun nicht länger der verkannte Künstler, sondern Weiss‘ literarisches Werk. Dies mag wohl auch dem Umstand geschuldet sein, dass irgendwann Leben und Werk eines Künstlers verschmelzen, zeigt aber nicht zuletzt auch, worauf die Biographin ihren Fokus richtet, nämlich die Literatur. 1964 erschien das Revolutionsdrama „Die Verfolgung und Ermordung Jean Paul Marats dargestellt durch die Schauspielgruppe des Hospizes zu Charenton unter Anleitung des Herrn de Sade“. Mikael Sylwan, der Adoptivsohn von Peter Weiss, erinnert sich, wie die beiden über Bänden zur Revolution brüteten und sich dann gemeinsam den Film „Madame Sans-Gêne“ mit Sophia Loren angesehen hätten. 1965 folgte dann das auf Aussagen des ersten Frankfurter Ausschwitzprozesses (1963-65) beruhende Stück „Die Ermittlung“, mit welchem Weiss, nach eigener Aussage, schwer zu kämpfen hatte. Beide Stücke katapultierten Weiss auf den Gipfel des Erfolgs. Obwohl Politik, Revolution und Sozialismus auch in den weiteren Werken vom „Lusitanischen Popanz“ (1967) bis „Trotzki im Exil“ (1969) zentral bleiben, konnten diese nicht mehr an den Erfolg von „Marat/Sade“ und der „Ermittlung“ anknüpfen und wurden regelrecht verrissen. Ein schwerer Rückschlag für Weiss, der sich auch körperlich äußert: Am 8. Juni 1970 erlitt er seinen ersten Herzinfarkt. In der Zeit seiner Genesung arbeitete er an seinem neuen Stück „Hölderlin“ (1971/73), welches ihm nochmals einen großen Erfolg bescherte.
Am 16. November 1972 kam dann seine Tochter, sein „Wunder“ Nadja zur Welt. Weiss und Gunilla Palmstierna hatten bereits 1964 geheiratet, aufgrund ihres Alters und der Krankheit von Peter Weiss aber nicht mehr an den Kindersegen geglaubt. Bereits vor Nadjas Geburt hatte Weiss an seinem dreiteiligen Jahrhundert-Roman „Die Ästhetik des Widerstands“ gearbeitet, welcher ihn rund zehn 10 Jahre lang beschäftigte. Die Uraufführung seines letzten Stücks „Der neue Prozess“, geschrieben in freier Anlehnung an Franz Kafkas gleichnamigen Roman am 12. März 1982 konnte Weiss noch miterleben, den ihm verliehene Büchner-Preis im Oktober des gleichen Jahres aber nicht mehr selbst entgegennehmen. Gunilla Palmstierna-Weiss reiste statt seiner zur Preisverleihung und sprach die Dankesrede, denn ihr Mann, Peter Weiss, starb am 10. Mai 1982 in Stockholm an seinem zweiten Herzinfarkt.
Wie das Leben selbst so ist auch die Biographie von Lahann nicht eine schlichte Aneinanderreihung von Ereignissen, sondern ein wohldurchdachtes, unterhaltsames Zusammenspiel von Vorausdeutungen und Rückblenden, Anekdoten und Erinnerungen. Obwohl es Weiss selbst ist, der über weite Teile der Biographie durch seine Werke und Schriften zu Wort kommt, so nimmt sich die Autorin keineswegs zurück, sondern bemüht sich, das Werk von Weiss in den historischen und literarischen Kontext einzubetten und gibt einen Einblick in den Literaturbetrieb der Nachkriegszeit. Immer wieder werden Parallelen zu Werk und Leben anderer Literaten wie Kurt Tucholsky, Bertolt Brecht, Hermann Hesse, Martin Walser oder Hans-Werner Richter gezogen, die nicht nur die Belesenheit der studierten Germanistin Lahann aufzeigen, sondern auch einen anderen Zugang, eine andere Sicht auf das Weiss’sche Werk und das Leben des Autors zu eröffnen versuchen. Dass die Literatur im Leben von Weiss zweifellos einen grossen, wenn nicht sogar den grössten Stellenwert einnahm, wird durch die Fokussierung der Biographie unterstrichen. Diese bezieht nämlich zwar die frühen malerischen Versuche von Weiss mit ein, vernachlässigt aber zum Beispiel fast völlig das filmische Werk des Künstlers, das in der Phase des endgültigen Übergangs von der Malerei zur Literatur entstand. Dies ist insofern kritisch zu sehen, da heute keineswegs mehr allein die literarischen Werke von Weiss im Zentrum des (wissenschaftlichen) Interesses stehen.
Trotz des Risikos der Stilisierung ist es Birgit Lahann gelungen, das Leben des bedeutenden Nachkriegsliteraten Peter Weiss unterhaltsam und interessant zu schildern, nicht aus der Distanz, sondern unmittelbar aus seinem Schreiben, seinen Erinnerungen und Gedanken heraus.
Wer Lahanns Biographie mit einem wissenschaftlichen Anspruch begegnet, der verfolgt einen falschen Ansatz. Mitunter unterlaufen Autorin und Verlag in dem sehr rasch publizierten Buch, in dem zum Beispiel noch ein Gespräch von Ende April 2016 zitiert wird, auch kuriose Fehler, wie dieser unkorrigiert stehengebliebene Satz: „Hermann hätte gesagt, dass der Abend leider z niedrigem Niveau gestanden habe“; oder die innerhalb von einer Seite stattfindende Umbenennung des Rostocker Literaturwissenschaftlers Manfred Haiduk in Heiduk.
Birgit Lahanns Buch hat nicht den Anspruch, das Leben des Künstlers Peter Weiss bis in den letzten Winkel zu erleuchten, vielmehr ist ihre Biographie eine Hommage an einen großen Literaten, der am 8. November 2016 seinen 100. Geburtstag hätte feiern können.