Macht, ökologisch
Benjamin Bühlers interdisziplinäre Erkundung der Ökologie als Herausforderung für die Demokratie
Von Juliane Prade-Weiss
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseBenjamin Bühlers hoch informativer und vorzüglich lesbarer Band Ökologische Gouvernementalität. Zur Geschichte einer Regierungsform könnte auch ‚Ökologie und Politik‘ heißen, denn er beschreibt eine Problemlage: Durch welche Politik ist die ökologische Grundlage menschlichen und anderen Lebens vor der Zerstörung durch Menschen zu bewahren? Der Gegensatz, dem sich Bühler insbesondere widmet, ist jener zwischen der Form demokratischer Willensbildung durch Diskussion und Meinungsbildung auf der einen Seite und wissenschaftlichen Fakten als Grundlage von Machtausübung auf der anderen. Gegenüber der alternativlos scheinenden Diktion von Fakten und Expertenwissen gerät die Gegenwarts-, Vorteils- und Menschenbezogenheit demokratischer Willensbildung, die von zukünftigen Nachteilen vor allem für andere Lebensformen abzusehen neigt und zumeist auf die Grenzen von Nationalstaaten limitiert ist, zunehmend ins Hintertreffen.
Ökologische Politik wird darum oft zum diskussionsbereinigten Regulieren, wie Bühler an konkreten Beispielen, Begriffsgeschichten und Theorien diskutiert. Dabei zeigt er aber auch, dass die Lage komplexer ist, als es die Entgegensetzung von demokratischer Meinung und naturwissenschaftlicher Tatsache suggeriert: Messergebnisse bedürfen der Deutung, um zu wissenschaftlichen Fakten und Theorien werden zu können, ebenso wie demokratische Regierungsformen der Verhandlung bedürfen. Dieser Hinweis redet keinesfalls populistischer Verdammung der Umweltwissenschaften das Wort. Er weist darauf hin, dass gerade um wissenschaftliche Untersuchungen über die Ursachen und Folgen der Erderwärmung und ihrer Folgen ernst zu nehmen, der populäre Szientismus verabschiedet werden muss, der von den Naturwissenschaften Eindeutigkeit erwartet, und Sozial- und Geisteswissenschaften darum gern abtut. Denn das Feld der Ökologie, das Bühlers Band aufschließt, durchmisst Physik, Biologie und Meteorologie genauso wie Soziologie, Stadtplanung, Recht, Gesellschaftstheorie und eigentlich jeden Bereich, der sich mit Grundlagen und Organisationsformen des Lebens beschäftigt, und das sind tatsächlich alle. Politik versteht Bühler jedoch nicht als einen unter den vielen Bereichen, welche die Ökologie angehen, sondern politisch ist ihm zufolge das gesellschaftlich wirksame Handeln, das diese Bereiche zusammenbringt – oder nicht.
Ökologische Gouvernementalität begreift Bühler als Gegenprogramm zu der von Michel Foucault begrifflich erfassten Gouvernementalität der Neuzeit, die Machthandeln hauptsächlich als Erfassung, Lenkung und Formung der Bevölkerung versteht. Das nennt Foucault „Biopolitik“. In Entwürfen ökologischer Gouvernementalität stellt diese statt der Ökonomie, die das Regulativ moderner Nationalstaaten und ihrer Verbände bildet, die Ökologie ins Zentrum des Machthandelns, das heißt das Leben und Überleben sämtlicher Lebensformen und -gemeinschaften. In beiden Paradigmen des Regierens sind Literatur und Kunst – sowie Literatur- und Geisteswissenschaften – keine Nebenschauplätze oder gar Fluchträume, sondern gehören ins Epizentrum des Politischen, wie Bühler immer wieder ebenso knapp wie präzise erläutert: Komplexe ökologische Zusammenhänge, die sich oft der direkten Anschauung entziehen, bedürfen der Darstellung, der Verbildlichung und Narrativierung. Um die Relevanz ökologischer Erkenntnisse für das Leben Einzelner – den demokratischen Entscheidungsträgern – zu vermitteln, sind besondere Sprachformen wie Warnen, Drohen und Fordern nötig sowie utopische oder dystopische Zukunftsfiktionen. Wie die Literatur- und Kulturwissenschaftlerin Eva Horn gezeigt hat, birgt die Fiktionalität aller denkbarer Klimaszenarien eine eminente Schwierigkeit für das kritische Denken, das als Grundlage des demokratischen Subjekts gilt: In „blinder Reflexivität“ weist diese darauf hin, dass es sich bei den Klimaszenarien eher um Hypothesen handelt, als dass die Fiktion auffordert, ihr folgend das eigene Handeln zu ändern. Die Momente der Darstellung und der Fiktion verbinden sich in der Einbettung der Ökologie in historische Formen – wie etwa prominent die Tragödie, deren poetische Begriffe ‚Krise‘ und ‚Katastrophe‘ die Erwartung eines Umschlags bringen und möglicherweise auch die Handlungsbereitschaft dafür. Die Formen des öffentlichen Diskurses über Ökologie zu analysieren, tritt bei Bühler als ein Mittel auf, im Szenario der Existenzbedrohung der menschlichen Spezies einen Spielraum für das Denken und Handeln wiederzugewinnen, der zwischen Alarmismus einerseits und Polemik andererseits zu verschwinden droht.
Es gehört zu den Stärken des Bandes, Fragen aufzuwerfen, welche über die zahlreichen diskutierten Begriffe, Theorien und Handlungsfelder hinausgehen. Wenn Bühler etwa eingangs anhand einer Begriffsgeschichte erläutert, dass die „Ökonomie der natürlichen Welt“ noch im 17. Jahrhundert nicht deren wirtschaftliche Verwertbarkeit meinte, sondern ihre Ordnung durch Gott, und weiter erklärt, dass die Ambivalenz des religiösen wie säkularen Begriffes es erlaubte, die erstere Dimension zu „kappen“ – dann ermöglicht dies die Annahme, dass die metaphysische Dimension nicht abgeschafft wurde, sondern bloß freigelegt wurde, um neu gefüllt zu werden. Die gottgleiche Anthropomorphisierung dessen ‚was der Markt will‘ trägt sich im Neoliberalismus in diese metaphysische Leerstelle ein, ebenso die konträre Forderung nach einer zentralen Steuerungsmacht ökologischer Gouvernementalität. Vor dem Hintergrund dieser Begriffsgeschichte erscheint die Frage des ‚Glaubens‘ an wissenschaftliche Erkenntnisse über Erderwärmung und Artensterben nicht mehr als unverständliche Aberration, sondern als zentrales Element der demokratischen Auseinandersetzung über ökologische Macht – die allerdings das System der Demokratie an den Rand der Artzerstörung treiben kann.
Bühler befasst sich kaum mit den Populismen, die gegen ökologische Gouvernementalität das Wort ergreifen. Sein Band ermöglicht vielmehr die Einsicht, dass sie ein Resultat der Entpolitisierung des Regierungshandelns zum bloßen Regulieren auf der Basis von Expertenentscheidungen ist, in dem öffentliche Debatten den Entscheidungen nachgelagert werden zum bloßen Überzeugen. Dagegen schließt Bühler mit einem Plädoyer für die Demokratie als Streit – und parallel dem Hinweis, dass Demokratie jene Zukunftsoffenheit brauche, die Erderwärmung und Artensterben faktisch verunmöglichen. Das lässt vermuten, dass die Repolitisierung des ökologischen Diskurses in der Auseinandersetzung über die Frage liegen mag, ob und welche Form der Demokratie die Anforderung zu übernehmen in der Lage ist.
Ein Beitrag aus der Redaktion Gegenwartskulturen der Universität Duisburg-Essen
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