Dass nicht sein kann, was nicht sein darf

In Max Annas Roman „Morduntersuchungskommission“ lässt ein DDR-Kriminalpolizist einen brisanten Fall nicht auf sich beruhen

Von Dietmar JacobsenRSS-Newsfeed neuer Artikel von Dietmar Jacobsen

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Nachdem der letzte Roman von Max Annas die Leser in eine dunkel-bedrohlich ausgemalte Zukunft mitnahm – die EU ist in Finsterwalde (2018) Geschichte, Nationalismus und Ausgrenzung dominieren das europäische Klima, in Deutschland geht man rigoros gegen alle vor, die nichtdeutscher Herkunft sind –, handelt das aktuelle Buch des heute in Berlin lebenden Autors im Jahr 1983 in der DDR. Es geht um das einem realen Kriminalfall aus dem Jahre 1986 nachempfundene brutale Verbrechen an einem mosambikanischen Gastarbeiter und die Art und Weise, wie der ostdeutsche Staat, nach außen stets für „Völkerfreundschaft“  und „internationale Solidarität“ eintretend, mit Rassismus und rechter Gewalt umging.

„Wenn ich über eine neue Geschichte nachdenke, beginne ich mit Figuren, die nicht Macht, sondern ihre Auswirkungen erleben“, hat Annas 2016 in einem ZEIT-Gespräch bekannt.  Das gilt auch für die zentrale Figur in Morduntersuchungskommission, Otto Castorp. 32 Jahre alt, verheiratet, drei Kinder, eine heimliche Geliebte, systemtreue Eltern und ein Bruder, der für die Staatssicherheit Inoffizielle Mitarbeiter anwirbt und führt – alles in allem eine Biografie, wie sie nicht selten gewesen sein dürfte in der DDR der 1980er Jahre.

Eines freilich hat Annasʼ Held, der bei der Morduntersuchungskommission Gera arbeitet und in Jena wohnt, all jenen voraus, die in diesem Land lebten, ohne sich viel um dessen Wohl und Wehe zu bekümmern: Otto Castorp nimmt seinen Beruf ernst. Wo ein Mord ist, da ist auch ein Täter und den gilt es zu ermitteln, heißt die Überzeugung, für die er eintritt und nach der er handelt. Das hat ihm in der Vergangenheit den Ruf eingebracht, einer der Eifrigsten seines Teams zu sein, führt ihn im Fall eines auf furchtbare Weise zu Tode gekommenen Mosambikaners allerdings in schwere Konflikte. Denn so sehr verbeißt sich Castorp in die Sache, dass er sogar dann noch um Aufklärung bemüht ist, als er und seine Kollegen längst die Anweisung bekommen haben, ihre Ermittlungen einzustellen und den Fall auf sich beruhen zu lassen.

Teo Macamo heißt der mosambikanische Staatsbürger, dessen grausam entstellte Leiche eine Frau an der Bahnstrecke zwischen Kahla und Jena im heutigen Thüringen entdeckt. Er gehörte zu jenen Vertragsarbeitern, die ab den 60er Jahren des letzten Jahrhunderts jeweils befristet und ohne die Absicht, sie letztendlich zu integrieren, in Ländern wie Vietnam, Angola, Nikaragua oder eben Mosambik angeworben wurden. In der DDR sollte mit ihrer Hilfe dem Arbeitskräftemangel in der Wirtschaft entgegengesteuert werden. Die Männer und Frauen, die in der Fremde einen Facharbeiterabschluss machen konnten, lebten in Wohnheimen meist unter sich. Private Beziehungen zu DDR-Bürgern waren staatlicherseits nicht gern gesehen und konnten zum Entzug der Aufenthaltsgenehmigung führen. Konflikte zwischen Vertragsarbeitern und Einheimischen – rassistische Anfeindungen und brutale Auseinandersetzungen inbegriffen – waren nicht selten, wurden von der offiziellen DDR aber in der Regel vertuscht. Denn es konnte nicht sein, was nicht sein durfte.

Mit genau diesem Problem bekommt es die Geraer Morduntersuchungskommission, zu der Otto Castorp gehört, zu tun. Und je klarer es den fünf Männern wird, dass es sich bei dem Motiv der Gewalttat an dem Mosambikaner, dessen Identität man zunächst mühsam ermitteln muss, um Fremdenfeindlichkeit handelt, ja dass hinter dem Mord Angehörige einer neonazistischen Gruppierung, die bestens vernetzt ist, stehen, umso mehr Steine werden den Kriminalisten von den eigenen Genossen in den Weg gelegt. „Nazis sind eine Folge des kapitalistischen Wirtschaftssystems. Die gibt es folglich in der Bundesrepublik Deutschland. Nicht bei uns in der DDR“, muss sich Otto Castorp von seinem Bruder Bodo deshalb belehren lassen, als der seine Karriere bei der Staatssicherheit durch  Ottos nicht zu bremsenden Eifer plötzlich in Gefahr sieht.

Max Annasʼ Roman erzählt die Geschichte eines Mannes, dessen Welt Stück für Stück zusammenbricht, als er erfahren muss, dass in seinem Land zweierlei Wahrheit gilt und er die eigenen Überzeugungen zurückzustellen hat, will er nicht in Konflikte geraten, die ihn mehr als nur den mit Leidenschaft ausgeübten Beruf kosten könnten. Dabei lebt dieser Otto Castorp mit seiner Familie auf der einen und einer Geliebten, der Buchhändlerin Karin, auf der anderen Seite bereits ein Doppelleben. Allein während er sich in seinen privaten Beziehungen zu keiner Entscheidung durchzuringen vermag, was letzten Endes zu Spannungen in seiner Ehe führt, hält er in der Mordsache Teo Macamo auch dann noch an der Tätersuche fest, als die offizielle Lesart das Verbrechen längst zu einem „Arbeitsunfall“ herabgestuft hat und sämtliche Ermittlungen erst an die Staatssicherheit übergeben und auf deren Betreiben schließlich eingestellt werden.

Allein Castorp geht es gegen den Strich, dass Menschen, die ein brutales Verbrechen begangen haben, nur deshalb straflos davonkommen sollen, weil politische Interessen der Durchsetzung des Rechts im Wege stehen. Und deshalb ermittelt er privat weiter, bis ihm von seinen Vorgesetzten die Tragweite dieses Handelns unmissverständlich klargemacht wird. Dass er am Ende selbst zum Gewalttäter wird, ist die erschütternde Konsequenz aus dieser Situation. Man darf sehr gespannt sein, welchen Weg Max Annas für seinen Helden in den geplanten weiteren Bänden um die Geraer Morduntersuchungskommission vorgesehen hat.

Titelbild

Max Annas: Morduntersuchungskommission.
Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg 2019.
346 Seiten, 20,00 EUR.
ISBN-13: 9783498001032

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